Referendum

„Es geht vor allem um einen Frieden nach dem Krieg“

„Es geht vor allem um einen Frieden nach dem Krieg“

„Es geht vor allem um einen Frieden nach dem Krieg“

Apenrade/Aabenraa
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Im Medienhaus debattierten (v. l.) Henning Hyllested (Einheitsliste), der ehemalige Chef der Fighter Wing in Skrydstrup, Michael Fleischer (Venstre), der BDN-Hauptvorsitzende Hinrich Jürgensen und Benny Engelbrecht (Soz.) über das Für und Wider einer Abschaffung des EU-Verteidigungsvorbehaltes. Foto: Nils Baum

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Bei einer Debatte über den EU-Verteidigungsvorbehalt im Medienhaus haben der ehemalige Chef der Fighter Wing in Skrydstrup, Michael Fleischer (Venstre), Benny Engelbrecht (Soz.), Henning Hyllested (Einheitsliste) und der BDN-Hauptvorsitzende Hinrich Jürgensen ihre Argumente ausgetauscht.

„Dafür oder dagegen?“ lautete die Frage, als am Mittwochnachmittag auf Einladung der Europabewegung, des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN) und des „Nordschleswigers“ eine Debatte zum bevorstehenden Referendum über den EU-Verteidigungsvorbehalt im Medienhaus in Apenrade (Aabenraa) stattfand.

Diskutiert haben der ehemalige Chef der Fighter Wing in Skrydstrup, Michael Fleischer (Venstre), der sozialdemokratische Politiker Benny Engelbrecht, Henning Hyllested von der Einheitsliste und der BDN-Hauptvorsitzende Hinrich Jürgensen. Moderiert hat die Debatte „Nordschleswiger“-Chefredakteur Gwyn Nissen.

 

Die Standpunkte der Diskussionsteilnehmer

Henning Hyllested (Einheitsliste)

„Ich finde es unanständig, dass man einen Überfall wie den Russlands auf die Ukraine dafür benutzt, um den Verteidigungsvorbehalt abzuschaffen. Das gehört sich nicht. Die Einheitsliste plädiert für Abrüstung und Besonnenheit. Mir ist natürlich bewusst, dass wir uns in einer unsicheren Situation befinden, und es fällt schwer, die Ruhe zu bewahren. Aber der Verteidigungsvorbehalt hat nichts mit der Invasion in die Ukraine zu tun. Stattdessen geht es darum, dass wir uns künftig einer ganzen Reihe an Missionen außerhalb der EU anschließen sollen. Es geht darum, eine europäische Einsatztruppe aufzubauen. Ich kann allerdings nicht sehen, was das mit Russlands Überfall auf die Ukraine zu tun hat.“

Michael Fleischer (Venstre), ehemaliger Chef der Fighter Wing in Skrydstrup

„Wenn ich dafür plädiere, mit ‚Ja‘ zu stimmen, dann deshalb, weil ich mit vielen Russen zusammengearbeitet habe. Ich habe kein Vertrauen mehr in die Russen, nachdem Putin völlig überraschend am 24. Februar einen Krieg begonnen hat. Wir müssen deshalb mit am Tisch sitzen, und dann benötigen wir natürlich auch die Nato, die ein sehr starkes Bündnis ist. Aber wir wissen nicht, wer der nächste US-Präsident wird. Je enger wir mit denen zusammenarbeiten, mit denen wir das bereits heute täglich tun, umso besser ist es. Lasst uns der neuen Weltlage in die Augen sehen: Putin ist ein gefährlicher Mann.“

Hinrich Jürgensen, Hauptvorsitzender des Bundes Deutscher Nordschleswiger

„Die deutsche Minderheit ist traditionell sehr pro-europäisch. Wir haben auf unserer Delegiertenversammlung am Dienstagabend eine Empfehlung angenommen, mit ‚Ja‘ zu stimmen. Was mich vor allem interessiert ist das Soziale, der Zusammenhalt. Wenn wir mit ‚Nein‘ stimmen, stellen wir den Zusammenhalt infrage. Deswegen ist es für mich sehr wichtig, dass wir bei der Verteidigungszusammenarbeit mit dabei sind.“

Benny Engelbrecht (Sozialdemokraten)

„Ich bin alt genug, um mich an den Fall der Mauer zu erinnern. Ich kann das Heulen der Sirenen noch in meinem Kopf hören. Und ich denke auch noch an die Angst davor, dass jemand auf den Atomknopf drückt, und dann dauert es nur zwei Minuten, bis wir alle ausgelöscht sind. Ich kenne das permanente mulmige Gefühl, das wir während des Kalten Krieges hatten. Der 24. Februar dieses Jahres war genauso eine große Veränderung wie der Fall der Mauer. Deshalb sind wir heute in einer neuen Epoche, in der wir mehr Geld für unsere Verteidigung aufbringen und in der wir unabhängig von Russlands Energieversorgung werden müssen. Wir können uns nicht nur auf die Nato verlassen, wir müssen auch Teil der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit der EU sein.“

Keine dänischen Soldaten außerhalb der EU

Die rund 15 Gäste, die der Einladung zur Debatte gefolgt waren, lauschten den Ausführungen der drei Politiker und des BDN-Hauptvorsitzenden genau.

Dabei waren die Positionen von Anfang an klar. Henning Hyllested von der Einheistliste fiel als Einzigem die Aufgabe zu, sich gegen eine Abschaffung des EU-Verteidigungsvorbehaltes auszusprechen.

Dies tat er unter anderem mit den Worten, dass ihm bei der Vorstellung, dänische oder europäische Soldaten außerhalb des EU-Territoriums zu entsenden, nicht wohl sei. Zudem hob er hervor, dass die europäischen Pläne für eine Einsatztruppe aus 5.000 Soldatinnen und Soldaten alles andere als ausreichend seien und erinnerte daran, dass diese Zahl seinerzeit bei 50.000 auf dem Balkan lag.

Wir haben eine Klimakrise, uns fehlen Hände im Pflegebereich, wir kämpfen mit steigenden Preisen, uns droht ein Engpass bei der Versorgung mit Lebensmitteln. Es gibt genug andere Herausforderungen, für die wir das Geld verwenden können.

Henning Hyllested (Einheitsliste)

Geld an anderer Stelle dringender benötigt

Zudem könne das Geld, das jetzt für die Aufstockung des Verteidigungsetats vorgesehen ist, an anderer Stelle besser verwendet werden.

„Wir haben eine Klimakrise, uns fehlen Hände im Pflegebereich, wir kämpfen mit steigenden Preisen, uns droht ein Engpass bei der Versorgung mit Lebensmitteln. Es gibt genug andere Herausforderungen, für die wir das Geld verwenden können“, sagte er.

Benny Engelbrecht stimmte ihm zu, dass eine 5.000 Personen umfassende Eingreiftruppe nicht ausreichend sei.

„Aber wir kommen nicht umhin, anzuerkennen, dass Deutschland seine Verteidigungsausgaben markant erhöht. Es ist sehr sinnvoll, dass die europäischen Länder der Ukraine helfen, doch daran könnte sich Dänemark nicht beteiligen“, sagte er mit Verweis auf den bestehenden dänischen Verteidigungsvorbehalt.

Michael Fleischer vertrat die Auffassung, dass es die dänischen EU-Vorbehalte niemals hätte geben dürfen. Foto: Nils Baum

Keine reelle Mitentscheidung

Henning Hyllested ließ sich jedoch nicht beirren und verwies auf das oft genannte Argument, dass Dänemark dann mit am Tisch sitze, wenn der Verteidigungsvorbehalt abgeschafft sei.

Zwar sei es richtig, dass das Folketing dann beschließen könne, dass sich Dänemark an einer EU-Mission beteiligt. Aber sollte Dänemark ein Veto gegen eine militärische Zusammenarbeit einlegen, dann wäre das gleichzeitig ein Einspruch gegen die gesamte Mission.

„Dann stellen wir uns gegen Deutschland, gegen Frankreich. Dann stehen wir großen, schwergewichtigen Staaten gegenüber“, gab er zu bedenken.

Die Politiker an der kurzen Leine halten

Hinrich Jürgensen stellte die Frage, wann denn der richtige Zeitpunkt für eine Volksabstimmung sei. „Ich bin sehr gegen Aufrüstung, aber ich muss auch erkennen, dass die Tagesordnung heute eine andere ist“, gab der BDN-Vorsitzende zu bedenken.

Henning Hyllested griff Jürgensens Fragestellung auf und sagte, dass es niemals einen guten Zeitpunkt für eine Volksabstimmung gebe.

Die dänischen EU-Vorbehalte seien zudem die Versicherung der Bevölkerung, ihre pro-europäischen Politikerinnen und Politiker an der kurzen Leine zu halten. Im Zweifelsfall müsse deshalb immer gelten, mit ‚Nein‘ zu stimmen, denn man könne nie ganz sicher sein, was man befürworte, würde man mit ‚Ja‘ stimmen.

Ich bin sehr gegen Aufrüstung, aber ich muss auch erkennen, dass die Tagesordnung heute eine andere ist.

Hinrich Jürgensen, Hauptvorsitzender des Bundes Deutscher Nordschleswiger

EU-Vorbehalte hätte es niemals geben dürfen

Dem widersprach Michael Fleischer und meinte, dass Dänemark die vier EU-Vorbehalte niemals hätte haben dürfen.

„Ich bin mir sicher, dass das Folketing schon ‚Nein‘ sagen wird, wenn es um eine Mission geht, an der wir uns nicht beteiligen wollen. Ich finde es ganz unglaublich, dass wir uns an der Räumung von Minen nicht beteiligen konnten, denn darin sind wir gut. Lasst uns deswegen so schnell wie möglich in die Gänge damit kommen“, so Fleischer.

Aktive Beteiligung notwendig

Karsten Lund aus Apenrade (Aabenraa) verwies auf den Beschluss der Einheitsliste, nicht länger für einen sofortigen Austritt aus der EU zu sein.

„Man hat einen Standpunkt, bis man einen neuen einnimmt. Aber es nützt nichts, außerhalb des Spielfelds zu stehen. Wenn man Fußball spielt, dann muss man rauf aufs Feld. Das sollte man berücksichtigen, so wie sich die Welt verändert hat“, sagte er.

Karsten Lund aus Apenrade (Aabenraa) griff den Beschluss der Einheitsliste auf, nicht länger für einen sofortigen Austritt aus der EU zu sein. Foto: Nils Baum

Finger auf dem Atomknopf

Michael Fleischer warnte daraufhin vor Stimmen, die dafür plädierten, dass die Russen jetzt komplett niedergemacht werden sollten.

„Die Debatte dreht sich viel um Putin. Wir reden von einem Mann, der seinen Finger auf dem Atomknopf hat. Ich hoffe, dass der russische und der amerikanische Verteidigungsminister regelmäßig in Kontakt miteinander stehen. Es wird zwar nicht einfach werden zu verhandeln, und die Verhandlungen können lange dauern. Aber man darf Putin nicht bloßstellen, denn er sitzt mit dem Finger auf dem Atomknopf. Es geht deshalb vor allem um einen Frieden nach dem Krieg“, sagte Michael Fleischer.

Ich bin mir sicher, dass das Folketing schon ‚Nein‘ sagen wird, wenn es um eine Mission geht, an der wir uns nicht beteiligen wollen.

Michael Fleischer (Venstre)

Schwächung der Nato durch EU-Eingreiftruppe

Zuhörer Sven Zachariassen aus Feldstedt (Felsted) sprach eine eventuelle künftige Nato-Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens an, eine Bemerkung, die Henning Hyllested mit den Worten aufgriff, dass es auf eine Schwächung der Nato hinauslaufe, sofern die EU jetzt ihre eigene militärische Eingreiftruppe aufbaut. Und kam noch einmal auf sein Argument zurück, dass 5.000 Soldatinnen und Soldaten keinesfalls ausreichend seien, wenn Europa es wirklich ernst meine. Stattdessen bräuchte man dann eine europäische Armee.

Hinrich Jürgensen warf ein, dass nur eine gemeinsame Lösung möglich sei.

„Das bedeutet unglaublich viel für meine eigene Sicherheit. Wenn wir mit ‚Nein‘ stimmen, dann schreiben wir jede Menge Möglichkeiten ab. Deshalb finde ich es wichtig zu diskutieren, was es für unseren Alltag bedeutet, wenn wir mit ‚Nein‘ stimmen“, so Jürgensen.

Für Hinrich Jürgensen kann es nur eine gemeinsame Lösung geben. Foto: Nils Baum

Es geht in erster Linie um humanitäre Zusammenarbeit

Auf die Frage von Inger Sønderborg, ob es bei einem Einsatz Dänemarks in erster Linie um einen militärischen oder zivilen Beitrag gehe, betonte Benny Engelbrecht noch einmal, dass es nicht um eine militärische, sondern in erster Linie um eine humanitäre Zusammenarbeit gehe.

Die EU wird sicher einen Beitrag in der Ukraine leisten, wenn der Krieg vorbei ist. Daran kann dann auch Dänemark beteiligt sein.

Benny Engelbrecht (Soz.)

„Die EU wird sicher einen Beitrag in der Ukraine leisten, wenn der Krieg vorbei ist. Daran kann dann auch Dänemark beteiligt sein. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass es nach einem Friedensabkommen keinen Bedarf für Beobachter und friedenssichernde Truppen gibt. Da wird die Nato jedoch keinen Beitrag leisten können, denn das würde von Russland als Aggression aufgefasst werden. Wer bleibt dann noch übrig? Ich glaube nicht, dass die Afrikanische Union dazu einen Beitrag liefern kann“, so Engelbrecht.

Beitrag zur Stärkung der Demokratie

Die Notwendigkeit einer Truppe zur Friedenssicherung stand auch für Henning Hyllested außer Frage.

„Es muss eine Art friedenssichernde Truppe geben. Doch daneben wird eine umfassende zivile Wiederaufbauarbeit zu leisten sein. Dänemark kann dazu einen Beitrag leisten. Wir sind gut im Schlichten und gut darin, einen Beitrag zur Stärkung der Demokratie zu leisten. Mit einer solchen Arbeitsteilung könnte ich gut leben“, so Hyllested.

Die Zuhörerinnen und Zuhörer folgten den Standpunkten mit großem Interesse. Die Debatte hätte durchaus noch um einiges länger dauern können. Foto: Nils Baum
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