Bundestagswahl 2021

SSW-Kandidatin: Jung, weiblich, ungewählt

SSW-Kandidatin: Jung, weiblich, ungewählt

SSW-Kandidatin: Jung, weiblich, ungewählt

SHZ
Husum
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Maylis Roßberg ist in diesen Tagen von Norderstedt bis Flensburg unterwegs, um für den SSW zu werben. Foto: Michael Ruff/shz.de

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Wie die 21-jährige Bundestagskandidatin Maylis Roßberg für eine Regionalpartei wirbt, obwohl sie keine Chance hat, ins Parlament einzuziehen.

Auf die Frage will Maylis Roßberg als Erste antworten: „Was wollen Sie tun, um Jugendliche für die Politik zu begeistern?“, will die 17-jährige Moderatorin Lea-Marie von der SSW-Bundestagskandidatin wissen. „Wir müssen das Wahlalter senken“, sagt die 21-Jährige und schaut in die Gesichter der rund 50 Schüler, die vor ihr in der Turnhalle der Dänischen Schule in Husum auf dem Boden hocken. „Und wir müssen dafür sorgen, dass junge Leute in der Politik eine größere Rolle spielen und gehört werden.“

Wahlkampf vor jungen Leuten, die nicht wählen dürfen

Solche Sätze sagen viele Politiker in diesen Tagen. Schließlich ist Wahlkampf und deswegen haben sich auch sieben Parteivertreter von Linkspartei bis AfD in dieser Schule versammelt. Eigentlich könnte sich Roßberg so einen Termin sparen. Denn erstens sie steht auf Platz 3 der Liste des SSW für den Bundestag – wenn es gut läuft zieht aber allenfalls der Spitzenkandidat der Regionalpartei ins Parlament ein – zum ersten Mal nach 1949. Zweitens sind die Jugendlichen in der Dänischen Schule ohnehin mit Belangen von Minderheiten vertraut. Und drittens ist niemand, der in der Turnhalle sitzt, wahlberechtigt.

Doch Roßberg macht das trotzdem Spaß. „So bekomme ich mit, was die Jugendlichen interessiert.“ Drei bis vier solcher Veranstaltung absolviere sie im Wahlkampf pro Tag – von Norderstedt, wo sie erstmal erklären muss, was der SSW ist, bis zu ihrer Geburtsinsel Sylt. Mancher in ihrer Partei hält die Politik-Studentin nicht nur für fleißig, sondern für ein politisches Naturtalent. Sie wollte Spitzenkandidatin werden. „Wenn ich Politik nicht als Job hätte machen wollen, hätte ich das nicht getan.“ Doch die eher älteren SSW-Delegierten entschieden sich für den Verwaltungsfachmann und Dänemarkkoordinator der Landesregierung, Stefan Seidler.

Roßberg kann damit leben, sie hängt sich trotzdem voll rein bei der Podiumsdiskussion, die die Schüler organisiert haben. „Ist ja noch gar nicht lange her, dass ich selbst noch zur Schule gegangen bin“, sagt Roßberg. Letztes Jahr hat sie Abitur gemacht.

Bei einigen Jugendlichen wirkt das. „Die kann die Sachen irgendwie besser erklären als der Mann da“, sagt eine 13-Jährige und deutet auf einen verdienten CDU-Lokalpolitiker, 69 Jahre alt, Mitglied des Landtages – „und so leise, dass ich ihn kaum verstehe“, sagt ein 15-jähriger, der in der Turnhalle am Rand sitzt. Seinen Satz kann man im doppelten Sinne verstehen: Nachdem der CDU-Mann über die Einheit von Ökonomie, Ökologie und Sozialpolitik philosophiert und erzählt hat, dass er schon viele junge Leute auf seiner Heimatinsel Pellworm angesprochen habe, um sie für die Politik zu gewinnen, ist Roßberg dran. Sie klagt darüber, dass es zunächst keine Impfungen an dänischen Schulen gegeben habe – etwas, dass alle Schüler betrifft.

„Manchmal sind die Jugendlichen viel direkter, fragen das, was Erwachsene sich so nicht trauen“, sagt Roßberg. Zum Beispiel das: „Was sagen Sie dazu, dass Ihre Partei oft als rechtsradikal beschrieben wird?“, wollen die Moderatorinnen vom AfD-Kandidaten wissen. Der 31-Jährige argumentiert, dass er als Russlanddeutscher selbst Migrationshintergrund habe und es nur einige Meinungsmacher seien, die seine Partei als rechts brandmarkten. Für die Beteiligung von Jugendlichen sei er auch, aber mit 16 seien doch noch viele desinteressiert und „die Manipulation durch die Medien ist oft so stark, dass sie sich nicht richtig entscheiden können“.

Rhetorische Duelle in der Turnhalle

Man kann sehen, dass es manchem Politiker auf dem Podium in den Fingern juckt. Die SPD-Kreisvorsitzende sagt, dass sie es den Jugendlichen durchaus zutraue, sich eine Meinung zu bilden. „Ihr seid das Morgen“, ruft die 31-Jährige in die Halle – und bekommt damit zum ersten Mal Applaus. „Man muss in einfachen Worten sagen, was man will“, hat sie vorher erklärt.

Doch was sind die Themen, die junge Leute interessieren? „Klima“, sagt eine 13-Jährige, die ganz hinten sitzt. „Klima“, sagt ihre 14-jährige Freundin. „Klima“, sagt ein 15-Jähriger, der sich an den Rand gehockt hat. Deshalb versuchen die Parteivertreter das Thema zu besetzen – mit unterschiedlichem Erfolg. Bei der einen Schülerin kommt die 26-jährige Grünen-Kandidatin am besten an, bei einem Mitschüler der 69-jährige CDU-Mann von Pellworm.

Politische Karriere beginnt mit einem Poetry Slam

Maylis Roßberg wird die Auswirkungen des Klimawandels vermutlich noch am eigenen Leib zu spüren bekommen. Nicht nur deswegen mischt sie sich ein. „Bei mir ist alles politisch.“ Angefangen habe das vor sechs Jahren als sie nach den Anschlägen von Paris für einen Poetry Slam den Text „Terror“ verfasst – ein Gedicht über die Gefühle einer 15-Jährigen in einer unübersichtlicher werdenden Welt schreibt. Dadurch wird der SSW auf sie aufmerksam, sie engagiert sich in der Jugendorganisation, hat keine Angst, sich einzumischen. Natürlich habe sie auch gehört, sie sei zu jung für die Politik, aber das interessiert Roßberg nicht. Wenn es nicht klappen sollte mit dem politischen Mandat, studiere sie eben weiter, sagt sie. Eigentlich habe sie schon immer einen Job im Auswärtigen Dienst oder bei den Vereinten Nationen gewollt.

Nun kämpft sie erstmal einen Kampf für den Bundestag, dem sie nicht angehören wird. „Wir wollen als Team, dass der SSW und die Minderheiten eine Stimme in Berlin bekommen“, sagt sie den Schülern. Und. „Wir werden oft vergessen.“ Sie meint damit den Norden des Landes, aber man könnte es genauso gut auf Frauen und junge Leute in der Politik beziehen. Oft habe sie bei Veranstaltungen gehört, dass ein Mandat in Berlin doch nichts bringe, so Roßerg. „Eines ist besser als keins“, sagt sie dann immer. Und ein Mandat für den SSW sei allemal besser als das fünfte oder sechste für SPD oder Grüne in Schleswig-Holstein

Keine Spur von Politikverdrossenheit

Das verstehen die Schüler – aber auch ihnen dürfte klar sein, dass ein SSW-Vertreter in Berlin nicht viel ändert. Ein Schüler aus dem Publikum sagt, dass er die Grünen wählen würde, wenn er dürfte. Sein Freund, der daneben steht, sagt, dass er sich mit 15 Jahren noch keine Entscheidung zutraue, aber sich weiter informieren wolle. Eines wird auch an solchen Sätzen klar: partei- oder politikverdrossen ist hier keiner. „Im Gegenteil: Wir haben richtig Bock auf Politik“, sagt eine 15-Jährige, die die Diskussion mit organisiert hat. Und da helfe es, wenn junge Menschen Berufspolitiker werden wollen – egal wie viel Erfahrung sie hätten. So wie Maylis Roßberg. „Die macht das gar nicht schlecht“, sagt ein 15-Jähriger als er die Turnhalle verlässt.

Und so wie er es sagt, klingt es wie ein großes Kompliment.

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