Spuren durch die Hauptstadt

Per Rad entlang der Côtes d’Ama’r

Per Rad entlang der Côtes d’Ama’r

Per Rad entlang der Côtes d’Ama’r

Kopenhagen
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Entlang der Ostküste von Amager sind attraktive Wohnungen entstanden. Foto: Walter Turnowsky

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Die Kopenhagener Insel Amager hatte lange keinen besonders guten Ruf. Doch sie hat sich gemausert und eine Vielfalt von Aktivitäten sowie gefragten Wohnraum zu bieten. Mit dem Rad lässt sich die Küste der Insel hervorragend erforschen.

Amager – oder Ama´r, wenn man etwas Lokalkenntnis raushängen lassen möchte – war einst als Lorteøen verschrien; in der deutschen Übersetzung würde das noch hässlicher klingen. Doch es hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren einiges getan, und um dieses Einige zu erforschen, schnappen wir unser Rad – oder eines, das wir gemietet beziehungsweise geliehen haben.

Wir legen jedoch bequem los und steigen bei der Königlichen Bibliothek an Bord des Hafenbusses Richtung Orientkaj. Als Teil des ÖPNV kann man diese Fähren mit einer Reisekort oder – hat man diese nicht – mit einem City Pass nutzen.

Alle einsteigen – aber bitte darauf achten, dass der Hafenbus in die richtige Richtung fährt. Foto: Walter Turnowsky

Sicherheitshalber haben wir uns vorher den Fahrplan angeschaut, denn die Hafenbusse fahren nur im 30-Minuten-Takt. Gemütlich gleiten wir am Schauspielhaus und der Oper vorbei und steigen bei Refshaleøen aus.

Links das Schauspielhaus und hinten rechts die Oper – über die Gestaltung der letzteren gab es Streit zwischen dem Architekten Henning Larsen und dem Geldgeber A.P. Møller. Foto: Walter Turnowsky

Bis 1996 lag hier die Schiffswerft Bumeister & Wain (B&W) mit zum Schluss noch 1.300 Mitarbeitenden; in den 70er-Jahren waren es noch 8.000 gewesen. Nach dem Konkurs 1996 lag das Gelände einige Jahre brach. Doch nachdem die Strandbar „Halvandet“ 2003 öffnete, wandelte es sich allmählich vom Geheimtipp zu einem der hippen Spots in der Hauptstadt mit immer mehr Angeboten.

Schwimmende Studienwohnungen auf der Refshaleø Foto: Walter Turnowsky

Wir rollen am Streetfood-Markt „Reffen“ vorbei. Noch wird er für die neue Saison hergerichtet, aber am 24. März geht es wieder los. Wer also zu Ostern herkommt, kann hier Leckereien aus aller Welt genießen. Doch sei darauf vorbereitet, dass du nicht die oder der Einzige sein wirst: Der ehemalige Geheimtipp steht mittlerweile auch in Touristenführern.

Es braucht noch ein paar Nägel und etwas Farbe, bevor der Streetfood-Markt in die neue Saison gehen kann. Foto: Walter Turnowsky

Eine Kletterhalle befindet sich in einer ehemaligen B&W-Werkshalle. Die weltweit agierende dänische Craft-Bier-Brauerei „Mikkeller“ ist hier ebenfalls ansässig und der Saxo-Bank-Gründer Lars Seier Christensen hat sich gleich nebenan das Spitzenrestaurant „Alchemist“ eingerichtet.

In den Hallen der ehemaligen B&W-Werft befindet sich unter anderem eine Kletterhalle. Foto: Walter Turnowsky

Gegenüber finden wir eine kleine Stichstraße des Refshalevej Richtung Westen und gelangen auf einen großen, leeren Platz. Mitte Juni ist dieser doch alles andere als leer, denn dann findet dort alljährlich das Heavy-Metal-Festival „Copenhell“ statt.

Die Ruhe trügt: Im Juni werden sich hier die Heavy-Metal-Fans tummeln. Foto: Walter Turnowsky

Entlang der einen Seite befindet sich ein etliche Meter hoher Erdwall, an dem ganz frisch Holztreppen angebracht worden sind. Die erklimmen wir natürlich, um die Aussicht zu genießen. Und oben angekommen erblicken wir … die Kläranlage Kopenhagens, „Lynetten“. Jetzt wissen wir erstens, warum hier ein Erdwall ist und zweitens, woher Ama’r seinen wenig schmeichelhaften Spitznamen erhalten hat.

Die Kläranlage „Lynetten“ – am Horizont ist die Seefestung „Trekroner“ und die schwedische Küste zu erkennen. Foto: Walter Turnowsky

Hinter der Kläranlage erspähen wir Bauaktivität am und auf dem Wasser. Hier entsteht das größte und wohl auch umstrittenste Stadtentwicklungsprojekt Kopenhagens, die Halbinsel „Lynetteholmen“. Erst in 50 Jahren soll sie fertig sein und Wohnraum für 35.000 Personen bieten. Neben mehr Wohnraum dient sie dem Hochwasserschutz sowie als Depot für die Überschusserde, die bei den vielen Bauaktivitäten in der Stadt anfällt.

Hier entsteht die Umrandung für den erste Phase der neuen Halbinsel „Lynetteholmen“. Hier soll Überschusserde aufgeschüttet werden. Foto: Walter Turnowsky

Wir klettern wieder runter und lenken das Rad in die hintere Ecke des Platzes, wo wir zum Hafen des Segelklubs „Lynetten“ kommen. Der war hier schon lange vor Reffen, Halvandet und Alchemist, spricht auch ein anderes Publikum an. Die Mitglieder, vielfach Werftarbeiterinnen und -arbeiter, haben den Hafen in den 70er-Jahren mit eigenen Händen gebaut.

Im Hafenbecken spiegelt sich ein etwas ungewöhnlicher Bau: Es ist die Müllverbrennungsanlage „Amager Bakke“, auf deren „Rücken“ sich ein Skihügel befindet. Mit einem Aufzug kommt man hinauf, doch wir haben ja auf dem Rad nicht unsere Ski dabei. Stararchitekt Bjarke Ingels hat die Anlage entworfen – wir werden ihm noch ein weiteres Mal begegnen.

Segelhafen „Lynetten“ und rechts die „Amager Bakke“ Foto: Walter Turnowsky

Wir fahren den Refshalevej südwärts und entdecken linker Hand auf dem Margretheholm – ein wenig überraschend – relativ neue Wohnungsbauten. Hier lag einst die Gefreitenschule der Marine, deren Bausubstanz weitgehend bewahrt und renoviert worden ist. Die Militärpolizei, illegale Immigrantinnen und Immigranten haben auch die Gebäude genutzt, in denen die eine oder andere spontane Raveparty stattgefunden hat. Heute wohnen hier Studierende. In den Reihenhäusern und im Hochhaus „Udsigten“ befinden sich Eigentumswohnungen.

Rechts ist die ehemalige Gefreitenschule zu sehen. Die anderen Gebäude sind neu. Foto: Walter Turnowsky

Weiter geht es Forlandet hinunter. Auf den ehemaligen Wehranlagen rechter Hand können wir auf der anderen Seite des Wassers Dänemarks wohl berühmtestes Restaurant „Noma“ erspähen. Gleich daneben liegen die äußersten Ausläufer der Freistadt Christiania.

Die Gebäude im Hintergrund sind der Gourmettempel Noma. Bis 2025 kann man ihn noch besuchen, dann schließt das Restaurant. Foto: Walter Turnowsky
Häuser der Marke Eigenbau: der äußerste Zipfel von Christiania. Foto: Walter Turnowsky

In einer Kurve fahren wir ein paar Meter links einen Feldweg hinein und blicken auf einen Teil des noch existierenden, industriellen Amagers, die Benzininsel Prøvestenen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen dort zwischen den Öl- und Benzintanks ihre Autos rückwärts einparken – damit man im Notfall schnell wegkommt.

 

Die Öltanks prägen Prøvestenen. Seit 2020 ist der südliche, grüne Teil der Benzininsel jedoch für Spazierende und Radelnde freigeben. Foto: Walter Turnowsky

Wir erreichen ein sehr großes Fußballfeld, Kløvermarken, und biegen links in den Raffinaderivej ab. Hier wollte die ehemalige Kopenhagener Bürgermeisterin Ritt Bjerregaard (Soz.) günstige Wohnungen als Randbebauung aufführen lassen. Doch nicht nur gab es massive Proteste gegen das konkrete Projekt, ihr gesamter Plan für erschwingliche Wohnungen scheiterte an den finanziellen und rechtlichen Realitäten. 

Heute steht Kløvermarken unter Naturschutz; jedoch nicht, weil das Fußballfeld ein einzigartiges Biotop ausmacht, in dem seltene Kröten zwischen den Toren herumhüpfen, sondern wegen des Blicks auf die Türme der Stadt. Wir bleiben kurz stehen und überlegen, ob der Blick tatsächlich so schützenswert ist.

Keine billigen Wohnungen, dafür Weitblick am Kløvermarken Foto: Walter Turnowsky

Am Amager Strandvej entdecken wir die ersten Häuser, auf die sich die Überschrift des Artikels bezieht. Hier ist in den vergangenen Jahren sehr attraktiver und nicht ganz billiger Wohnraum mit Blick auf den Öresund entstanden.

Nicht nur teure Wohnungen sondern auch hippe Büroräume sind am Amager Strandvej entstanden. Foto: Walter Turnowsky

Etwas weiter den Amager Strandvej hinunter gelangen wir zu „Det Maritime Ungdomshus“. 2004 war es eines der allerersten Gebäude von Bjarke Ingels – damals noch mit Julian Smedt als Partner – die erbaut worden sind. Mit dem geschwungenen Holzdeck haben sie ein kniffeliges Problem gelöst: Der Grund unter dem Haus ist verunreinigt, und es konnte daher nicht direkt auf der Erde gebaut werden. Daher haben sie es angehoben. Viel können wir jedoch momentan nicht von dem Gebäude erkennen, denn das Holzdeck muss erneuert werden.

Das maritime Jugendhaus wird momentan renoviert. Foto: Walter Turnowsky
„Sundby Sejlklub“ und im Hintergrund das zwischenzeitlich überdachte „Maritime Ungdomshus“ Foto: Walter Turnowsky

Kinder und Jugendliche der Gegend nutzen es für Wassersportaktivität, und die Jugendabteilung des benachbarten „Sundby Sejlklub“ ist hier ebenfalls untergekommen. Die Idee zu dem Jugendhaus entstand seinerzeit im Rahmen eines Stadtentwicklungsprojektes (Kvarterløft) für das damals noch social benachteiligte Viertel. Viel hat sich seither getan.

Den Blick aufs Meer gibt es nicht umsonst. Foto: Walter Turnowsky

Davon können wir uns überzeugen, während wir den Amager Strandvej weiter hinunterfahren. Da muss man schon mal 10 Millionen Kronen für 130 Quadratmeter hinblättern.

Die Balkone sind so ausgerichtet, das möglichst viele den kostspieligen Meeresblick genießen können. Foto: Walter Turnowsky

Gegenüber liegt der Amager Strandpark, zu dem eine Fußgänger- und Radbrücke über eine Lagune hinüberführt. 2005 wurde die künstliche Insel geschaffen.

Die Badeanstalt Helgoland Foto: Walter Turnowsky

Deutlich älter ist die Badeanstalt Helgoland am nördlichen Ende des Parks, von der aus Sommer wie Winter ohne Bekleidung gebadet wird. Seit 1936 liegen die Pfahlbauten aus Holz an der Ostküste von Amager, mussten jedoch wegen der Schaffung des neuen Strandparks umziehen.

Der Amager Strandpark ist auch bei winterlichem Wetter beliebt. Im Hintergrund ist die Öresundsbrücke zu erkennen. Foto: Walter Turnowsky

Dieser ist im Sommer ein sehr beliebter Ort zum (Sonnen-)Baden, doch auch an einem frostklaren Märztag treffen wir hier so einige Spazierende, Joggende, Hundegassigehende und Radfahrende an. Ein Pfad windet sich durch die künstlich geschaffenen Dünen die zwei Kilometer lange Insel entlang.

Der Pfad lädt zum flanieren ein. Foto: Walter Turnowsky
Das Architekturbüro Hasløv & Kjærsgaard hat den Strandpark entworfen. Foto: Walter Turnowsky

In der Lagune auf der Innenseite können im Sommer die Jüngsten sicher baden. Auch zum Üben auf dem Surfboard oder im Kajak ist sie gut geeignet. Am südlichen Ende des Strandparks ist er urbaner gestaltet worden: Eine Promenade löst die Dünenlandschaft ab.

Die Promenade am südlichen Ende Foto: Walter Turnowsky
Die Lagune ist auch in der kalten Jahreszeit für Wassersport geeignet. Foto: Walter Turnowsky

Eine Brücke führt über einen Kanal, der das Ende (oder den Anfang) der Lagune ausmacht und einen Augenblick später verlassen wir die Kommune Kopenhagen und gelangen in die Tårnby Kommune. Und wenn man schon eine eigene Kommune ist, dann benötigt man natürlich auch seine eigene Bademöglichkeit. Das „Kastrup Søbad“ ist von einer Muschelschale inspiriert und wird daher auch „Badekonkylie“ genannt. Selbst an einem schneebedeckten Märztag findet Menschen hier genug Windschatten, um sich in der Sonne auszustrecken.

Der Zugang zum „Kastrup Søbad“ ist barrierefrei. Dafür ist es vom Internationalen Paraolympischen Komitee ausgezeichnet worden. Foto: Walter Turnowsky

Wir fahren den Amager Strandvej ein kurzes Stück zurück und gelangen zum „Kastrup Fort“. Die deutschen Besatzungssoldaten nutzten die ehemalige Wehranlage während des Zweiten Weltkrieges, und nach dem Krieg wurden deutsche Flüchtlinge hier interniert. Wir klettern auf den höchsten Punkt und werfen einen Blick zurück auf die heutige Tour.

Vom „Kastrup Fort“ können wir auf unsere Route zurückblicken. Foto: Walter Turnowsky

Für den Rückweg liegt die Metrostation Femøren gleich um die Ecke. Allerdings können wir die nur nehmen, wenn wir rechtzeitig unseren Ausflug beenden, denn zwischen 15.30 Uhr und 17.30 Uhr darf man das Fahrrad nicht mitnehmen. Ansonsten müssen wir uns eben einen Rückweg quer über Ama’r suchen. Oder wir legen uns, sollte das Wetter bereits milder geworden sein, einfach hier irgendwo noch ein wenig ins Gras.

Die Fahrt wurde am 8. März durchgeführt.

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