Spuren durch die Hauptstadt
Per Rad entlang der Côtes d’Ama’r
Per Rad entlang der Côtes d’Ama’r
Per Rad entlang der Côtes d’Ama’r

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Die Kopenhagener Insel Amager hatte lange keinen besonders guten Ruf. Doch sie hat sich gemausert und eine Vielfalt von Aktivitäten sowie gefragten Wohnraum zu bieten. Mit dem Rad lässt sich die Küste der Insel hervorragend erforschen.
Amager – oder Ama´r, wenn man etwas Lokalkenntnis raushängen lassen möchte – war einst als Lorteøen verschrien; in der deutschen Übersetzung würde das noch hässlicher klingen. Doch es hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren einiges getan, und um dieses Einige zu erforschen, schnappen wir unser Rad – oder eines, das wir gemietet beziehungsweise geliehen haben.
Wir legen jedoch bequem los und steigen bei der Königlichen Bibliothek an Bord des Hafenbusses Richtung Orientkaj. Als Teil des ÖPNV kann man diese Fähren mit einer Reisekort oder – hat man diese nicht – mit einem City Pass nutzen.

Sicherheitshalber haben wir uns vorher den Fahrplan angeschaut, denn die Hafenbusse fahren nur im 30-Minuten-Takt. Gemütlich gleiten wir am Schauspielhaus und der Oper vorbei und steigen bei Refshaleøen aus.

Bis 1996 lag hier die Schiffswerft Bumeister & Wain (B&W) mit zum Schluss noch 1.300 Mitarbeitenden; in den 70er-Jahren waren es noch 8.000 gewesen. Nach dem Konkurs 1996 lag das Gelände einige Jahre brach. Doch nachdem die Strandbar „Halvandet“ 2003 öffnete, wandelte es sich allmählich vom Geheimtipp zu einem der hippen Spots in der Hauptstadt mit immer mehr Angeboten.

Wir rollen am Streetfood-Markt „Reffen“ vorbei. Noch wird er für die neue Saison hergerichtet, aber am 24. März geht es wieder los. Wer also zu Ostern herkommt, kann hier Leckereien aus aller Welt genießen. Doch sei darauf vorbereitet, dass du nicht die oder der Einzige sein wirst: Der ehemalige Geheimtipp steht mittlerweile auch in Touristenführern.

Eine Kletterhalle befindet sich in einer ehemaligen B&W-Werkshalle. Die weltweit agierende dänische Craft-Bier-Brauerei „Mikkeller“ ist hier ebenfalls ansässig und der Saxo-Bank-Gründer Lars Seier Christensen hat sich gleich nebenan das Spitzenrestaurant „Alchemist“ eingerichtet.

Gegenüber finden wir eine kleine Stichstraße des Refshalevej Richtung Westen und gelangen auf einen großen, leeren Platz. Mitte Juni ist dieser doch alles andere als leer, denn dann findet dort alljährlich das Heavy-Metal-Festival „Copenhell“ statt.

Entlang der einen Seite befindet sich ein etliche Meter hoher Erdwall, an dem ganz frisch Holztreppen angebracht worden sind. Die erklimmen wir natürlich, um die Aussicht zu genießen. Und oben angekommen erblicken wir … die Kläranlage Kopenhagens, „Lynetten“. Jetzt wissen wir erstens, warum hier ein Erdwall ist und zweitens, woher Ama’r seinen wenig schmeichelhaften Spitznamen erhalten hat.

Hinter der Kläranlage erspähen wir Bauaktivität am und auf dem Wasser. Hier entsteht das größte und wohl auch umstrittenste Stadtentwicklungsprojekt Kopenhagens, die Halbinsel „Lynetteholmen“. Erst in 50 Jahren soll sie fertig sein und Wohnraum für 35.000 Personen bieten. Neben mehr Wohnraum dient sie dem Hochwasserschutz sowie als Depot für die Überschusserde, die bei den vielen Bauaktivitäten in der Stadt anfällt.

Wir klettern wieder runter und lenken das Rad in die hintere Ecke des Platzes, wo wir zum Hafen des Segelklubs „Lynetten“ kommen. Der war hier schon lange vor Reffen, Halvandet und Alchemist, spricht auch ein anderes Publikum an. Die Mitglieder, vielfach Werftarbeiterinnen und -arbeiter, haben den Hafen in den 70er-Jahren mit eigenen Händen gebaut.
Im Hafenbecken spiegelt sich ein etwas ungewöhnlicher Bau: Es ist die Müllverbrennungsanlage „Amager Bakke“, auf deren „Rücken“ sich ein Skihügel befindet. Mit einem Aufzug kommt man hinauf, doch wir haben ja auf dem Rad nicht unsere Ski dabei. Stararchitekt Bjarke Ingels hat die Anlage entworfen – wir werden ihm noch ein weiteres Mal begegnen.

Wir fahren den Refshalevej südwärts und entdecken linker Hand auf dem Margretheholm – ein wenig überraschend – relativ neue Wohnungsbauten. Hier lag einst die Gefreitenschule der Marine, deren Bausubstanz weitgehend bewahrt und renoviert worden ist. Die Militärpolizei, illegale Immigrantinnen und Immigranten haben auch die Gebäude genutzt, in denen die eine oder andere spontane Raveparty stattgefunden hat. Heute wohnen hier Studierende. In den Reihenhäusern und im Hochhaus „Udsigten“ befinden sich Eigentumswohnungen.

Weiter geht es Forlandet hinunter. Auf den ehemaligen Wehranlagen rechter Hand können wir auf der anderen Seite des Wassers Dänemarks wohl berühmtestes Restaurant „Noma“ erspähen. Gleich daneben liegen die äußersten Ausläufer der Freistadt Christiania.


In einer Kurve fahren wir ein paar Meter links einen Feldweg hinein und blicken auf einen Teil des noch existierenden, industriellen Amagers, die Benzininsel Prøvestenen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen dort zwischen den Öl- und Benzintanks ihre Autos rückwärts einparken – damit man im Notfall schnell wegkommt.

Wir erreichen ein sehr großes Fußballfeld, Kløvermarken, und biegen links in den Raffinaderivej ab. Hier wollte die ehemalige Kopenhagener Bürgermeisterin Ritt Bjerregaard (Soz.) günstige Wohnungen als Randbebauung aufführen lassen. Doch nicht nur gab es massive Proteste gegen das konkrete Projekt, ihr gesamter Plan für erschwingliche Wohnungen scheiterte an den finanziellen und rechtlichen Realitäten.
Heute steht Kløvermarken unter Naturschutz; jedoch nicht, weil das Fußballfeld ein einzigartiges Biotop ausmacht, in dem seltene Kröten zwischen den Toren herumhüpfen, sondern wegen des Blicks auf die Türme der Stadt. Wir bleiben kurz stehen und überlegen, ob der Blick tatsächlich so schützenswert ist.

Am Amager Strandvej entdecken wir die ersten Häuser, auf die sich die Überschrift des Artikels bezieht. Hier ist in den vergangenen Jahren sehr attraktiver und nicht ganz billiger Wohnraum mit Blick auf den Öresund entstanden.

Etwas weiter den Amager Strandvej hinunter gelangen wir zu „Det Maritime Ungdomshus“. 2004 war es eines der allerersten Gebäude von Bjarke Ingels – damals noch mit Julian Smedt als Partner – die erbaut worden sind. Mit dem geschwungenen Holzdeck haben sie ein kniffeliges Problem gelöst: Der Grund unter dem Haus ist verunreinigt, und es konnte daher nicht direkt auf der Erde gebaut werden. Daher haben sie es angehoben. Viel können wir jedoch momentan nicht von dem Gebäude erkennen, denn das Holzdeck muss erneuert werden.


Kinder und Jugendliche der Gegend nutzen es für Wassersportaktivität, und die Jugendabteilung des benachbarten „Sundby Sejlklub“ ist hier ebenfalls untergekommen. Die Idee zu dem Jugendhaus entstand seinerzeit im Rahmen eines Stadtentwicklungsprojektes (Kvarterløft) für das damals noch social benachteiligte Viertel. Viel hat sich seither getan.

Davon können wir uns überzeugen, während wir den Amager Strandvej weiter hinunterfahren. Da muss man schon mal 10 Millionen Kronen für 130 Quadratmeter hinblättern.

Gegenüber liegt der Amager Strandpark, zu dem eine Fußgänger- und Radbrücke über eine Lagune hinüberführt. 2005 wurde die künstliche Insel geschaffen.

Deutlich älter ist die Badeanstalt Helgoland am nördlichen Ende des Parks, von der aus Sommer wie Winter ohne Bekleidung gebadet wird. Seit 1936 liegen die Pfahlbauten aus Holz an der Ostküste von Amager, mussten jedoch wegen der Schaffung des neuen Strandparks umziehen.

Dieser ist im Sommer ein sehr beliebter Ort zum (Sonnen-)Baden, doch auch an einem frostklaren Märztag treffen wir hier so einige Spazierende, Joggende, Hundegassigehende und Radfahrende an. Ein Pfad windet sich durch die künstlich geschaffenen Dünen die zwei Kilometer lange Insel entlang.


In der Lagune auf der Innenseite können im Sommer die Jüngsten sicher baden. Auch zum Üben auf dem Surfboard oder im Kajak ist sie gut geeignet. Am südlichen Ende des Strandparks ist er urbaner gestaltet worden: Eine Promenade löst die Dünenlandschaft ab.


Eine Brücke führt über einen Kanal, der das Ende (oder den Anfang) der Lagune ausmacht und einen Augenblick später verlassen wir die Kommune Kopenhagen und gelangen in die Tårnby Kommune. Und wenn man schon eine eigene Kommune ist, dann benötigt man natürlich auch seine eigene Bademöglichkeit. Das „Kastrup Søbad“ ist von einer Muschelschale inspiriert und wird daher auch „Badekonkylie“ genannt. Selbst an einem schneebedeckten Märztag findet Menschen hier genug Windschatten, um sich in der Sonne auszustrecken.

Wir fahren den Amager Strandvej ein kurzes Stück zurück und gelangen zum „Kastrup Fort“. Die deutschen Besatzungssoldaten nutzten die ehemalige Wehranlage während des Zweiten Weltkrieges, und nach dem Krieg wurden deutsche Flüchtlinge hier interniert. Wir klettern auf den höchsten Punkt und werfen einen Blick zurück auf die heutige Tour.

Für den Rückweg liegt die Metrostation Femøren gleich um die Ecke. Allerdings können wir die nur nehmen, wenn wir rechtzeitig unseren Ausflug beenden, denn zwischen 15.30 Uhr und 17.30 Uhr darf man das Fahrrad nicht mitnehmen. Ansonsten müssen wir uns eben einen Rückweg quer über Ama’r suchen. Oder wir legen uns, sollte das Wetter bereits milder geworden sein, einfach hier irgendwo noch ein wenig ins Gras.
Die Fahrt wurde am 8. März durchgeführt.
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