Minderheiten in Europa
Werte und Ideen statt das Recht des Stärkeren
Werte und Ideen statt das Recht des Stärkeren
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Die Minderheiten in der Ukraine wünschen sich mehr Hilfe aus dem Westen. Am Montag wurde in Flensburg erörtert, wie die Zukunft Europas aus Minderheitensicht auch angesichts des Krieges aussehen soll. Können Minderheitengesetze Frieden stiften? Zumindest bieten sie eine Perspektive, so der Tenor.
Der „brutale, von völkischen Ideen geleitete Angriffskrieg gegen die Ukraine“ werfe eine ganze Region zurück in die finsteren Zeiten des Nationalismus, sagte Schleswig-Holsteins Landtagsvizepräsidentin Aminata Touré (Grüne) am Montag in Flensburg.
Dort hatte der europäische Minderheiten-Dachverband FUEN zu einer Tagung eingeladen, auf der über acht Vorschläge debattiert werden sollte, die die FUEN der EU-Kommission im Rahmen der Europäischen Zukunftskonferenz auf den Schreibtisch legen möchte (siehe unten).
Touré, die die Tagung eröffnete, unterstrich, dass die im deutsch-dänischen Grenzland gelebte Minderheitenpolitik dazu beitragen könne, dem Versuch, das „Recht des Stärkeren“ gegen ein konstruktives und friedliches Miteinander durchzusetzen, entgegenzutreten.
„Wir können und müssen dem Werte, Ideen und auch konkrete Vorschläge entgegensetzen, wie ein Leben zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer, nationaler und religiöser Zugehörigkeit fruchtbar und friedlich möglich ist“, so Touré.
„Schleswiger Modell“ für die Ukraine?
Der Schwerpunkt der FUEN-Konferenz lag auf der Bedeutung des deutsch-dänischen Minderheitenmodells („Schleswiger Modell“) für die EU. Wenn der Krieg in Osteuropa „hoffentlich bald zu Ende“ sei, seien dies wichtige Anknüpfungspunkte.
„Die FUEN könnte eine wertvolle Arbeit leisten, indem sie ihre langjährigen Erfahrungen in einen Friedensprozess zwischen der Ukraine und Russland einbringt“, sagte Touré.
Doch noch tobt der Krieg. Und die Minderheiten stehen im wahrsten Sinne des Wortes unter Beschuss.

Minderheiten in der Ukraine: Europa wird angegriffen
Davon wusste unter anderem Rowschan Tagijew zu berichten. Er gehört zur aserbaidschanischen Minderheit in der Ukraine und ist Vorsitzender des Dachverbandes der nationalen Minderheiten der Ukraine.
„Die Beschwichtigungspolitik gegenüber solchen Politikern wie Putin seitens der Europäer hat dazu geführt, dass es eine Situation wie heute gibt“, klagte er an und sprach von einem aktuellen Genozid an der griechischen Minderheit in der Ukraine.
Tagijew dankte für alle Unterstützung aus Europa, sagte aber auch: „Wie kann es sein, dass, wenn man sieht, dass Europäer getötet werden, es keine Luftraumsperre über der Ukraine gibt?“
Und er prophezeite: „Wenn man diesen Faschismus nicht in der Ukraine stoppt, kommt er morgen nach Europa.“
Die Ukrainerinnen und Ukrainer empfänden sich als Europäerinnen und Europäer, so Tagijew, „und wir wünschen uns die Unterstützung der europäischen Brüder und Schwestern“.
„Das ist kein Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Der Krieg zwischen Russland und Europa hat bereits begonnen“, so Tagijew.

Spoorendonk: Alle können einen Beitrag leisten
Anke Spoorendonk (Südschleswigscher Wählerverband, SSW), ehemalige Europaministerin in Schleswig-Holstein, nahm diese Worte zum Anlass, von einer „negativen Zeitenwende in Europa“ zu sprechen, die nun angenommen werden müsse. „Auch die große Politik hängt in Europa von den einzelnen Menschen ab. Wir alle haben einen Beitrag zu leisten“, so Spoorendonk.
„Der Beitrag, den wir leisten können, ist, Konferenzen wie diese zu organisieren und die Menschen zu überzeugen, dass dies das Richtige ist und dass diese europäischen Werte nicht nur heute, sondern auch in Zukunft wichtig sein werden. Die Praxis hier im Grenzland dient als Beispiel dafür, was hoffentlich Teil der neuen europäischen Wirklichkeit werden wird“, hatte FUEN-Präsident Loránt Vincze einleitend gesagt.

Und Fernand de Varennes, UN-Sonderberichterstatter für Minderheitenfragen, hatte erneut unterstrichen, wie wichtig diesbezüglich juristische Handhabe sei.
„Die EU ist eine extrem wichtige Institution, und die Minderheiten müssen durch die EU wesentlich proaktiver geschützt werden, um sicherzustellen, dass es für sie Sicherheit gibt“, so de Varennes.
„Es gibt keine Garantie. Aber: Je mehr rechtlichen Schutz und je stärkere Mechanismen wir haben, desto höher ist die Chance, dass die Regierungen sie auch respektieren“, so de Varennes weiter.
Vincze: Trotz Kritik an ukrainischer Minderheitenpolitik volle Solidarität
„Alle Einwohner der Ukraine leiden heute“, sagte Loránt Vincze, der die vielen Nationalitäten, die in dem Lande leben, nannte. Die Ukraine sei häufig kritisiert worden, wegen der minderheitenfeindlichen Politik der Regierung. Doch nun erhalte das Land die volle Unterstützung auch der FUEN, versicherte er.
Und dies nicht nur in Worten und in Zukunftsperspektiven. Der Verband hat eine Hilfskampagne organisiert und appelliert an die Solidarität aller, diese ebenso zu unterstützen wie die acht Punkte, die sie zum Thema Minderheitenschutz der EU-Kommission vorlegen will.

Die Links zu den acht Vorschlägen der FUEN
Hier können die acht Vorschläge (auf Englisch) studiert werden – und die Vorschläge können durch einen Klick auf das „Unterstützen“-Symbol gefördert werden, damit sie auf die Agenda der EU kommen.
- EU-Politikrahmen zugunsten von Personen, die autochthonen nationalen und sprachlichen Minderheiten angehören
- Einbeziehung der Überwachung der Situation autochthoner nationaler und sprachlicher Minderheiten in den Überwachungsmechanismus der EU über die Rechtsstaatlichkeit
- Schutz autochthoner nationaler und sprachlicher Minderheiten, indem die Kopenhagener Kriterien für alle Mitgliedstaaten zur ständigen Verpflichtung gemacht werden
- Schaffung eines gemeinsamen Rahmens von EU-Mindeststandards für den Schutz der Rechte von Personen, die nationalen und sprachlichen Minderheiten angehören
- Schutz von Minderheiten durch Rechtsvorschriften, Förderung bestehender bewährter Verfahren und Verstärkung gegen Versuche zur Einschränkung ihrer Rechte
- Schutz autochthoner nationaler und sprachlicher Minderheiten durch verstärkte Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Europarat
- Schutz gefährdeter Regional- und Minderheitensprachen durch die Einrichtung eines Europäischen Zentrums für Sprachenvielfalt
- Förderung der kulturellen Vielfalt und der Rechte von Minderheiten durch uneingeschränkten grenzüberschreitenden Zugang zu audiovisuellen Diensten für EU-Bürger