Minderheiten in Europa

Werte und Ideen statt das Recht des Stärkeren

Werte und Ideen statt das Recht des Stärkeren

Werte und Ideen statt das Recht des Stärkeren

Flensburg/Flensborg
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Aminata Touré
Aminata Touré, Schleswig-Holsteins Landtagsvizepräsidentin, meint, dass Minderheitenpolitik auch Friedenspolitik sein kann. Foto: Martin Ziemer/FUEN

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Die Minderheiten in der Ukraine wünschen sich mehr Hilfe aus dem Westen. Am Montag wurde in Flensburg erörtert, wie die Zukunft Europas aus Minderheitensicht auch angesichts des Krieges aussehen soll. Können Minderheitengesetze Frieden stiften? Zumindest bieten sie eine Perspektive, so der Tenor.

Der „brutale, von völkischen Ideen geleitete Angriffskrieg gegen die Ukraine“ werfe eine ganze Region zurück in die finsteren Zeiten des Nationalismus, sagte Schleswig-Holsteins Landtagsvizepräsidentin Aminata Touré (Grüne) am Montag in Flensburg.

Dort hatte der europäische Minderheiten-Dachverband FUEN zu einer Tagung eingeladen, auf der über acht Vorschläge debattiert werden sollte, die die FUEN der EU-Kommission im Rahmen der Europäischen Zukunftskonferenz auf den Schreibtisch legen möchte (siehe unten).

Touré, die die Tagung eröffnete, unterstrich, dass die im deutsch-dänischen Grenzland gelebte Minderheitenpolitik dazu beitragen könne, dem Versuch, das „Recht des Stärkeren“ gegen ein konstruktives und friedliches Miteinander durchzusetzen, entgegenzutreten.

„Wir können und müssen dem Werte, Ideen und auch konkrete Vorschläge entgegensetzen, wie ein Leben zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer, nationaler und religiöser Zugehörigkeit fruchtbar und friedlich möglich ist“, so Touré.

„Schleswiger Modell“ für die Ukraine?

Der Schwerpunkt der FUEN-Konferenz lag auf der Bedeutung des deutsch-dänischen Minderheitenmodells („Schleswiger Modell“) für die EU. Wenn der Krieg in Osteuropa „hoffentlich bald zu Ende“ sei, seien dies wichtige Anknüpfungspunkte.

„Die FUEN könnte eine wertvolle Arbeit leisten, indem sie ihre langjährigen Erfahrungen in einen Friedensprozess zwischen der Ukraine und Russland einbringt“, sagte Touré.

Doch noch tobt der Krieg. Und die Minderheiten stehen im wahrsten Sinne des Wortes unter Beschuss.

Rowschan Tagijew
Rowschan Tagijew (links) gehört zur aserbaidschanischen Minderheit in der Ukraine und ist Vorsitzender des Dachverbandes der nationalen Minderheiten der Ukraine. Foto: Martin Ziemer/FUEN

Minderheiten in der Ukraine: Europa wird angegriffen

Davon wusste unter anderem Rowschan Tagijew zu berichten. Er gehört zur aserbaidschanischen Minderheit in der Ukraine und ist Vorsitzender des Dachverbandes der nationalen Minderheiten der Ukraine.

„Die Beschwichtigungspolitik gegenüber solchen Politikern wie Putin seitens der Europäer hat dazu geführt, dass es eine Situation wie heute gibt“, klagte er an und sprach von einem aktuellen Genozid an der griechischen Minderheit in der Ukraine.

Tagijew dankte für alle Unterstützung aus Europa, sagte aber auch: „Wie kann es sein, dass, wenn man sieht, dass Europäer getötet werden, es keine Luftraumsperre über der Ukraine gibt?“

Und er prophezeite: „Wenn man diesen Faschismus nicht in der Ukraine stoppt, kommt er morgen nach Europa.“

Die Ukrainerinnen und Ukrainer empfänden sich als Europäerinnen und Europäer, so Tagijew, „und wir wünschen uns die Unterstützung der europäischen Brüder und Schwestern“.

„Das ist kein Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Der Krieg zwischen Russland und Europa hat bereits begonnen“, so Tagijew.

Anke Spoorendonk
Anke Spoorendonk Foto: Karin Riggelsen

Spoorendonk: Alle können einen Beitrag leisten

Anke Spoorendonk (Südschleswigscher Wählerverband, SSW), ehemalige Europaministerin in Schleswig-Holstein, nahm diese Worte zum Anlass, von einer „negativen Zeitenwende in Europa“ zu sprechen, die nun angenommen werden müsse. „Auch die große Politik hängt in Europa von den einzelnen Menschen ab. Wir alle haben einen Beitrag zu leisten“, so Spoorendonk.

„Der Beitrag, den wir leisten können, ist, Konferenzen wie diese zu organisieren und die Menschen zu überzeugen, dass dies das Richtige ist und dass diese europäischen Werte nicht nur heute, sondern auch in Zukunft wichtig sein werden. Die Praxis hier im Grenzland dient als Beispiel dafür, was hoffentlich Teil der neuen europäischen Wirklichkeit werden wird“, hatte FUEN-Präsident Loránt Vincze einleitend gesagt.

Fernand de Varennes
Der UN-Minderheiten-Berichterstatter Fernand de Varennes hält die rechtliche Grundlage für den Minderheitenschutz für unentbehrlich. Foto: Karin Riggelsen

Und Fernand de Varennes, UN-Sonderberichterstatter für Minderheitenfragen, hatte erneut unterstrichen, wie wichtig diesbezüglich juristische Handhabe sei.

„Die EU ist eine extrem wichtige Institution, und die Minderheiten müssen durch die EU wesentlich proaktiver geschützt werden, um sicherzustellen, dass es für sie Sicherheit gibt“, so de Varennes.

„Es gibt keine Garantie. Aber: Je mehr rechtlichen Schutz und je stärkere Mechanismen wir haben, desto höher ist die Chance, dass die Regierungen sie auch respektieren“, so de Varennes weiter.

Vincze: Trotz Kritik an ukrainischer Minderheitenpolitik volle Solidarität

„Alle Einwohner der Ukraine leiden heute“, sagte Loránt Vincze, der die vielen Nationalitäten, die in dem Lande leben, nannte. Die Ukraine sei häufig kritisiert worden, wegen der minderheitenfeindlichen Politik der Regierung. Doch nun erhalte das Land die volle Unterstützung auch der FUEN, versicherte er.

Und dies nicht nur in Worten und in Zukunftsperspektiven. Der Verband hat eine Hilfskampagne organisiert und appelliert an die Solidarität aller, diese ebenso zu unterstützen wie die acht Punkte, die sie zum Thema Minderheitenschutz der EU-Kommission vorlegen will.

 

 

 

 

Loránt Vincze
Loránt Vincze Foto: Martin Ziemer/FUEN

Konferenz zur Zukunft Europas

Die Konferenz zur Zukunft Europas ist ein gemeinsames Projekt des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, um den Bürgerinnen und Bürgern Gehör zu schenken und sie an der Gestaltung des zukünftigen Europas zu beteiligen. Die Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) sieht die Teilnahme an der Konferenzreihe als eine Gelegenheit, die Forderungen nach dem Schutz nationaler Minderheiten und Sprachgemeinschaften im europäischen Kontext zu bekräftigen. Neben der Veranstaltung in Flensburg findet noch eine weitere in Siebenbürgen, Rumänien, statt.

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