Auswanderer

Brasilien-Nordschleswig: Pommersche Verbindung der besonderen Art

Brasilien-Nordschleswig: Verbindung der besonderen Art

Brasilien-Nordschleswig: Verbindung der besondere

Tingleff/Tinglev
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Ivan Seibel (l.) aus Brasilien und Ernst Schröder mit einigen der vielen Bücher, die Schröder den Pomeranos in Brasilien überlässt Foto: kjt

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An die 20.000 Bücher und Dokumente hat der in Stade wohnhafte Ernst Schröder der pommerschen Volksgruppe in Brasilien gespendet. Ein Gesandter von Übersee machte sich extra auf den Weg nach Nordschleswig, um die Spende in Augenschein zu nehmen. Es kam zu einem interessanten Austausch.

Was haben ein Urologe, Professor, Journalist und Herausgeber einer Onlinezeitung aus Brasilien und ein „Neu-Nordschleswiger“ aus Stade gemeinsam?

Beide haben pommersche Wurzeln, und beide haben sich der Pflege von Kultur und Traditionen der  Bevölkerungsgruppe verschrieben, die einst im Nordosten des heutigen Deutschlands und Nordwesten Polens beheimatet war.

Die Rede ist von Ivan Seibel aus Venâncio Aires aus dem Bundestaat Rio Grande do Sul im Südosten Brasiliens und Ernst Schröder aus Stade.

Schröder ist ehemaliger Bundeswehrsoldat, war lange Zeit in Süddeutschland stationiert und zog vor drei Jahren nach Dänemark.

Der gebürtige Flensburger hat pommersche Wurzeln und engagierte sich zunächst in Bayern und seit der Rückkehr in den Norden in pommerschen Verbänden und Heimatkreisen.

„Ich habe mich seit dem 14. Lebensjahr für Ahnenforschung interessiert“, so der 82-jährige Ehrenvorsitzender des Heimatkreises „Kolberger Lande“.

Viele Kontakte

Schröder hat über Jahrzehnte ein großes Netzwerk zu deutschstämmigen pommerschen Verbänden, Kulturvereinen und Vertretern aufgebaut.

Die Kontakte reichen bis nach Brasilien. Als Schröder erfuhr, dass für die dortige pommersche Volksgruppe ein Kulturzentrum errichtet worden war, hatte er eine Eingebung.

Schröder besitzt eine große Sammlung an Fachliteratur und Dokumenten zur Geschichte pommerscher Auswanderer und Umsiedler. Auch kulturhistorische Bücher mit deutscher Auswanderungsgeschichte, andere Sachbücher sowie Schönliteratur in deutscher Sprache umfasst die Sammlung.

Schröder entschied, das Archiv dem Kulturzentrum zu spenden.

Riesiger Fundus

„Anfangs war von 10.000 Büchern und Dokumenten die Rede. Es dürften aber erheblich mehr sein. Ich habe mich in letzter Zeit noch einmal um weiteres Material bemüht und so manches hinzufügen können“, so der Spender.

Schröder nahm Kontakt zu den pommerschen Kollegen in Übersee auf, wo die Archivspende mit Begeisterung aufgenommen wurde.

Nun galt es, den Transport zu regeln. Hier kam Ivan Seibel ins Spiel, der in der Volksgruppe der „Pomeranos“, so die Bezeichnung in Brasilien, eine Schlüsselrolle einnimmt.

 

Ivan Seibel (l.) und Ernst Schröder mit einigen Werken aus dem gespendeten Archiv Foto: kjt

Der 74-jährige Seibel ist selbst Nachfahre pommerscher Auswanderer und ist Herausgeber der pommerschen Onlinezeitung „Folha Pomeranos“.

Seibel ist gebeten worden, sich mit Ernst Schröder in Verbindung zu setzen und alles Organisatorische zur Archivspende zu besprechen.

Das Kulturzentrum in Jaragua do Sul hat ein Textilfabrikant namens Wander Weege finanziert. Er wird auch den Transport der Schröder-Sammlung übernehmen.

„Er ist ein großzügiger Mann, der sich sehr für die Pomeranos einsetzt“, so Seibel, der den Textilfabrikanten gut kennt.

Von 20.000 auf 400.000

Bei einem Besuch der Lokalredaktion Tingleff in der Deutschen Bücherei hatten die Pommernexperten Seibel und Schröder eine kleine Auswahl des großen Schröder-Fundus dabei.

Ein großer Fundus ist auch das Wissen der beiden Männer. Wenn man ihnen gegenübersitzt und über pommersche Auswanderung spricht, kommt ein großes Hintergrundwissen zutage.

Was die Pomeranos in Brasilien anbetrifft, da ist der Mediziner, Professor und Zeitungsherausgeber Seibel ein wandelndes Lexikon.

„Es gibt in Brasilien drei Hauptorte, in denen rund 150.000 der heute 400.000 Pomeranos leben. Bei der Auswanderung um 1870 herum waren es 20.000“, so Seibel.

Auch Hunsrücker, Donauschwaben und Luxemburger kamen einst nach Brasilien.

Lange unter sich

Quasi in Enklaven blieb der pommersche Volksstamm bis in die Neuzeit unter sich und hielt sich an seine Kultur und Sprache. Die Urpomeranos waren meist arme Bauern, die die Urwälder ihrer neuen Heimat urbar machten bzw. machen mussten.

„Viele haben gar nicht portugiesisch (Landessprache Brasiliens, red. Anm.) gelernt, und in vielen pommerschen Regionen ist das Pommernplatt bis heute verbreitet“, bemerkt Ernst Schröder.

Auch Seibel hat erst mit 13 Jahren Portugiesisch gelernt, wie er berichtet.

Das pommersche Kulturzentrum in Brasilien kann sich über viele Bücher und Dokumente aus der Privatsammlung von Ernst Schröder freuen. Foto: kjt

Vor allem im Kielwasser des Zweiten Weltkrieges war die Volksgruppe mit deutschen Wurzeln verhasst, die Sprache verboten.

Erst allmählich stießen die Pomeranos auf mehr Akzeptanz. Auf finanzielle Förderung durch den Staat hat man nicht bauen können.

Politisch hat sich zum Glück aber einiges getan.

„Vor einigen Jahren ist Pommernplatt als Fremdsprache anerkannt worden. Es wird inzwischen in 20 Schulen unterrichtet“, berichtet Ivan Seibel.

Annäherung und Akzeptanz

Nachdem die pommersche Volksgruppe rund 100 Jahre in Isolation die Muttersprache, die Kultur und die Traditionen pflegte, kommen sich Pomeranos und die Mehrheitsbevölkerung immer näher. Ehen zwischen Angehörigen beider Gruppen, einst undenkbar, sind mittlerweile normal.

Die brasilianische Kultur wird seit den 1970er Jahren nicht mehr außen vorgehalten – und umgekehrt.

Für Ivan Seibel ist es Fluch und Segen zugleich. Das bessere Verhältnis zur Mehrheitbevölkerung, die Akzeptanz gegenüber den Pomeranos und das Aufeinanderzugehen seien positive Aspekte.

Wie sieht es aber mit dem Fortbestehen der Identität, der Traditionen und der Sprache aus?

„Das fragen wir uns natürlich sehr. Niemand kann sagen, was uns in den kommenden 50 Jahren erwartet“, so Seibel mit ernster Miene.

Ein Kulturzentrum wie das in Jaragua do Sul kann zu dem Fortbestehen beitragen, und es sei erfreulich, dass so eine große Sammlung von Ernst Schröder dazukommt.

„Es sind ganz viele wertvolle Bücher und Dokumente, die nicht nur als Informationsmaterial, sondern auch für die Geschichtsforschung interessant sind“, so der Pomerano aus Brasilien.

Gastredner in Anklam

Seinen Besuch in Nordschleswig bzw. Deutschland (Seibel übernachtete vorübergehend in einem Flensburger Hotel) verband der 74-Jährige in der zurückliegenden Woche mit einem großen Pommerntreffen in Anklam in Mecklenburg-Vorpommern, wo er am Sonanbend als Gastredner einen Vortrag über die Pomeranos in Brasilien hielt.

Den lesenswerten und interessanten Kurzvortrag stellte Seibel dem „Nordschleswiger“ zur Veröffentlichung zur Verfügung. Der Vortrag ist im Anhang abfotografiert in drei Abschnitten zu lesen. Er fasst die Geschichte der pommerschen Auswanderer in Brasilien aufschlussreich zusammen.

Ivan Seibel und Ernst Schröder vor der Deutschen Bücherei Tingleff Foto: kjt

Seibel interessierte sich beim Besuch in Nordschleswig auch sehr für die dortige deutsche Volksgruppe, für deren Schul- und Unterrichtswesen und für die Minderheitenpolitik an sich.

Schröder stellte Kontakte zu Volksgruppenangehörigen her, die vor der Abreise des Gastes aus Brasilien mit Informationen dienen konnten.

Seibel hat Ernst Schröder ermutigt, doch auch mal nach Brasilien zu kommen und sich das Kulturzentrum anzuschauen, für das er so viel Material gespendet hat.

„Mal sehen, vielleicht lässt sich das tatsächlich mal einrichten“, zeigte sich Schröder nicht abgeneigt, die Reise zu den Pomeranos anzutreten.

Der abfotografierte Vortrag von Ivan Seibel zum Pommerntreffen in Anklam.

Seibel-Vortrag, Teil 1 Foto: DN
Seibel-Vortrag, Teil 2 Foto: DN
Seibel-Vortrag, dritter und letzter Teil Foto: DN
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