Ukraine

„Den Abwasch werde ich nicht mehr schaffen!“ – Wenn ein Freund in den Krieg zieht

„Den Abwasch werde ich nicht mehr schaffen“ – Wenn ein Freund in den Krieg zieht

Wenn ein Freund in den Krieg zieht

Apenrade/Aabenraa
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Die Theaterregisseurin Hannah Dobiaschowski und Tommy Mørck Foto: Detlef Matzen

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„Hast du Pläne, irgendwo zu helfen?“, frage ich Tommy Mørck am Montagabend. Ich will herausfinden, ob er in die Ukraine gehen möchte. Seine Antwort lautet „Ja.“ Eine ganz persönliche Momentaufnahme.

Wer den „Nordschleswiger“ regelmäßig liest, wird sicherlich auf die Geschichte von Tommy Mørck gestoßen sein. Im Herbst 2016 ging er für ein halbes Jahr nach Syrien und schloss sich dort der kurdischen Miliz YPG an, um die Bevölkerung gegen den IS zu verteidigen.

Wir haben darüber berichtet. Und auch über den langen juristischen Weg, den diese Entscheidung immer noch nach sich zieht, bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Den Leserinnen und Lesern wird vielleicht auch nicht entgangen sein, dass ich mich sehr für seine Geschichte interessiert habe. Ich habe einen Monolog verfasst, der auf unzähligen Stunden Interview beruht und zusammenfasst, welche Stationen in seinem Leben dazu geführt haben, solch eine weitreichende Entscheidung zu treffen. Mit diesem Monolog und mit Tommy als Diskussionspartner haben wir ein paar Veranstaltungen durchgeführt.

Warum er zu Außergewöhnlichem fähig ist, habe ich mit der Zeit zu verstehen gelernt.

Hannah Dobiaschowki

Über diese zeitweise sehr intensive Zusammenarbeit sind wir gute Freunde geworden. Warum er zu Außergewöhnlichem fähig ist, habe ich mit der Zeit zu verstehen gelernt. Außerhalb aller gesellschaftlichen Konventionen stehend, ausgestattet mit einem scharf definierten und unerschütterlichen Wertekompass, kombiniert mit einem umfassenden Wissen und einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, folgt seine Welt einer anderen Logik als die des durchschnittlichen Menschen. Mit allen Konsequenzen.

So war klar, dass mit dem Überfall Putins auf die Ukraine die Frage im Raum steht: willst du wieder los?

Hast du morgen Zeit, vorbeizukommen? Will mich gerne verabschieden.

Tommy Mørck

Ich stelle sie ihm am Montagabend per Messenger und bekomme folgende Antwort:

„Ja. Es sieht aus, als würde ich am Mittwoch nach Kopenhagen fahren, am Donnerstag nach Warschau fliegen und von dort aus am Wochenende nach Kyjiv fahren. Hast du morgen Zeit, vorbeizukommen? Will mich gerne verabschieden.“

Nun, diese Antwort kommt für mich natürlich nicht unerwartet. Ich gebe zu, dass ich gerne etwas anderes gelesen hätte, aber ich bin mir vollkommen im Klaren darüber, dass dies die einzige Antwort ist, die er geben würde. Erschüttert bin ich trotzdem. Ist mir doch ebenso bewusst, welche Konsequenzen diese Entscheidung mit sich führen kann.

Tommy steht völlig unter Strom. Sein Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Ein Leben innerhalb kürzester Zeit hinter sich zu lassen, in das man hofft zurückzukehren, sich innerlich darauf vorzubereiten, in den Krieg zu ziehen, zu wissen, dass es auch schwer wird für die Menschen, die einem nahestehen. Und nur wenige Tage Zeit.

Ich habe keine Ahnung, wie man damit umgeht, wenn ein Mensch, der einem nahe steht, in den Krieg zieht.

Hannah Dobiaschowski

„Den Abwasch werde ich wahrscheinlich nicht mehr schaffen“, sagt er noch. Die Zeit drängt. Für ihn ist es wichtig, so schnell wie möglich dahin zu kommen, wo seine Hilfe gebraucht wird. Und der Abwasch ist sicherlich nicht das Einzige, was liegen bleibt. Aber für Tommy gibt es nur noch eine Priorität. Er muss in die Ukraine.

„Wenn ich erstmal da bin, dann ist die Welt sehr klein, dann gibt es nur noch einen einzigen Fokus. Alles andere, was mich jetzt stresst, ist dann weg“, sagt er.
 

Ab jetzt ist alles ungewiss.

Hannah Dobiaschowski

Und ich stehe da, und fühle mich plötzlich mit einer völlig bizarren Situation konfrontiert. Ich habe keine Ahnung, wie man damit umgeht, wenn ein Mensch, der einem nahe steht, in den Krieg zieht. Wie man damit umgeht, um das Leben eines Freundes bangen zu müssen. Sowas passiert doch eigentlich nur den anderen. Privilegiert und 40 Jahre lang in Frieden aufgewachsen ist das meine glückliche Erfahrung.

Ab jetzt ist alles ungewiss. Es kann sein, dass Tommy schon vor seiner Einreise in die Ukraine zurückgeschickt wird, ist er doch wegen seines Aufenthalts in Syrien aufgrund eines Terrorparagrafen verurteilt worden und könnte auf Terrorlisten geführt werden. Das zumindest gibt sein Anwalt Bjørn Elmquist zu bedenken. Es ist ebenso möglich, dass er einreisen kann. Und was dann kommt, weiß niemand.

Ich wünsche ihm das, was er sich auch wünscht. Dass er einen Beitrag leisten kann, dass er einen Unterschied machen kann, dass er da helfen kann, wo Hilfe gerade dringend gebraucht wird.

„Vi ses“, sagt er zum Abschied. Was ich genau geantwortet habe, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich sowas wie: „Ich hoffe, du hast recht.“

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