Leitartikel

„Soziale Gerechtigkeit in Teuerungswelle wahren“

Soziale Gerechtigkeit in Teuerungswelle wahren

Soziale Gerechtigkeit in Teuerungswelle wahren

Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:

Diesen Artikel vorlesen lassen.

„Nordschleswiger“-Redakteur Volker Heesch befasst sich mit den Auswirkungen der starken Preissteigerungen, die in Dänemark vor allem einkommensschwache Menschen in Bedrängnis bringen.

In den vergangenen Tagen hat der Überfall des russischen Putin-Regimes auf die Ukraine weltweit für Schockwellen gesorgt.

Eine Folge sind weitere Preisanstiege bei Energieträgern wie Öl und Erdgas, aber auch bei Nahrungsmitteln gibt es deutliche Aufschläge. Dänemark hat es mittlerweile auch voll erwischt, nachdem seit Jahren annähernd Preisstabilität herrschte und viele Bürgerinnen und Bürger, so der Anschein, nur steigenden Wohlstand und mehr Konsum erlebten.

In Erinnerung bleiben sollte jedoch, dass die Inflation bereits im vergangenen Jahr deutlich gestiegen ist, lange vor den schrecklichen Ereignissen in der Ukraine. Viele, besonders die, die sich in den zurückliegenden Jahren große Autos gegönnt haben, erleben an den Tankstellen Quittungen mit immer höheren Beträgen, doch es geht auch um Energiekostenexplosionen in aktuell noch lebenswichtigeren Branchen wie der Landwirtschaft oder nahrungsmittelerzeugenden Betrieben wie den Meiereien.

Angesichts der Zeiten mit Negativzinsen ist den sparsamen Menschen schon länger die Freude über ihre „Notgroschen“ vergangen. Doch vor dem Hintergrund der Preissprünge, etwa auch beim Strom, können sich alle glücklich schätzen, wenn sie auf finanzielle Reserven zurückgreifen können. Angesichts der Teuerungswelle, niemand kann abschätzen, wie hoch sie sich noch auftürmen wird, melden sich viele mit Klagen zu Wort.

Doch es sollte in Erinnerung gerufen werden, dass besonders sozial schwache Gruppen in der Bevölkerung durch die voraussichtlich in Bereichen wie dem Lebensmittelhandel teureren Produkte vor Herausforderungen stehen. In den kommenden Monaten wird aufgrund des Krieges im Osten Europas mit Verknappungen und Preissprüngen zu rechnen sein.  Seit Jahren herrschte in Dänemark ein Wirtschaftsboom mit Phänomenen wie horrend hohen Immobilienpreisen in den großen Städten Dänemarks, Hang zu Luxus und unbändiger Reiselust, trotz des Dämpfers durch die Corona-Krise.

Doch der Boom ist an vielen Menschen vorbeigegangen. Dazu zählen auch besonders viele ältere Menschen im Lande. Laut einer Untersuchung im Auftrag der Pensionsanstalt ATP finanzieren sich unter den Pensionärinnen und Pensionären in Dänemark nämlich rund 60 Prozent fast ausschließlich über Einkünfte aus ihrer „Folkepension“.

Es haben längst nicht alle private Zusatzversorgungen. Das einstige Flaggschiff des dänischen Wohlfahrtsstaates ist längst zu einer Basis-Altersversorgung verkommen, die ausgezahlten Beträge sind nicht parallel mit der allgemeinen Einkommensentwicklung und Inflation erhöht worden. Statistisch betrachtet sind viele Volkspensionäre sogar als arm einzustufen.

Laut der Senioren-Organisation „Ældre Sagen“ fällt ausgerechnet im Inflations-Spitzenjahr 2022 die Regulierung der „Folkepension“ so niedrig aus wie in mehr als 20 Jahren nicht mehr. Als soziale Maßnahme hat die Regierung in Kopenhagen im vergangenen Monat bereits die Heizkostenbeihilfe erhöht. Der „Varmecheck“ kann bei der Kommune bei Nachweis der Bedürftigkeit des betroffenen Haushaltes beantragt werden. Die öffentliche Hand wird angesichts der anhaltenden Teuerung im Sozialbereich reagieren müssen.

Auf die sich abzeichnenden Debatten darf man gespannt sein, denn die Regierung hat in der aktuellen Krisensituation nicht nur neue Investitionen im Militärbereich angekündigt, es sind auch Ausgaben für die Unterbringung vieler Menschen zu finanzieren, die aus der Ukraine flüchten und noch flüchten werden. Angesichts sich abzeichnender Nahrungsmittelknappheit in vielen armen Ländern auf der Erde wird das reiche Dänemark zu weiteren Solidaritätsschritten aufgefordert sein.

Fragen wie die Abkehr vom dänischen Nein zu einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der EU dürften das nationale dänische Selbstverständnis, das seit Jahren auf wirtschaftliche Vorteile etwa eines Europäischen Binnenmarktes setzt, aber sonst gerne Abschottung bevorzugt, auf die Probe stellen.

Doch auch im Innern ist eine ehrliche Diskussion nötig, ob der Kurs weitergefahren werden darf, Kernstücke des Sozialstaates wie die „Folkepension“ immer weiter auszuhöhlen und immer mehr Empfänger dieser Leistungen dazu zu zwingen, im Rathaus Zusatzhilfen wie Heizkostenbeihilfe zu erbitten. Die soziale Gerechtigkeit muss auch in der Teuerungswelle gewahrt bleiben.  

Mehr lesen