Leitartikel

„Nach der Invasion kommt der Rückzug“

Nach der Invasion kommt der Rückzug

Nach der Invasion kommt der Rückzug

Kopenhagen/Nordschleswig
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In einem unmenschlichen Krieg müssen unmenschliche Entscheidungen getroffen werden. Auch in Nordschleswig, schreibt Chefredakteur Gwyn Nissen.

Der Krieg in der Ukraine und der umfassende Boykott Russlands treffen nicht nur die russische Wirtschaft hart, sondern machen auch vor Branchen und Unternehmen in Dänemark nicht halt. Wir alle merken derzeit die steigenden Energie- und Transportkosten, doch vieles wird noch teurer in den kommenden Monaten – zumindest, solange noch Krieg ist.

Mit Russland konnte man bisher gute Geschäfte machen. Daher sind – beziehungsweise waren – „alle“ da: von Coca-Cola über McDonalds bis hin zu den globalen nordschleswigschen Unternehmen wie zum Beispiel Danfoss und Ecco.

Viele dänische und internationale Unternehmen haben schnell die Konsequenzen gezogen und nach der Invasion ihren Rückzug aus Russland angekündigt. Ohne Wenn und Aber, und das auch mit einem großen finanziellen Risiko, denn wer jetzt Russland den Rücken kehrt, wird später sicherlich nicht mit offenen Armen empfangen.

Russland droht sogar mit der Beschlagnahme von internationalen Firmen, die jetzt das Land verlassen. Das kann also die Unternehmen teuer zu stehen bekommen, wenn die Milliarden-Investitionen in Russland plötzlich nichts mehr wert sind.

Daher waren auch nicht alle Unternehmen bisher gleich konsequent: Carlsberg hat den Markennamen vom Markt genommen und will vorerst nicht mehr in Russland investieren, aber der Bier-Gigant betreibt immer noch die große russische Brauerei Baltika mit über 8.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Das hat einige Verbraucher in Dänemark dazu veranlasst, Carlsberg zu boykottieren – und auch der ukrainische Botschafter in Dänemark meint, dass Carlsberg „Blut an den Händen“ hat.

Zunächst sind vor allem russische Unternehmen in Europa vom Boykott gefährdet, aber nicht alles läuft eben über die offiziellen Kanäle, und Carlsberg und andere Firmen riskieren, dass der Verbraucher-Aktivismus sie noch härter trifft als die russischen Sanktionen.

Carlsberg, aber auch Ecco aus der Kommune Tondern, erklären, sie hätten eine Verantwortung für ihre russischen Angestellten, die ebenfalls schwierige Zeiten durchleben. Ecco hat 1.500 Mitarbeitende in Russland.

Es ist ein Drahtseilakt für diese Unternehmen, denn die Gunst der Verbraucherinnen und Verbraucher kann jederzeit kippen, wenn nur genug Menschen es falsch finden, dass eine der reichsten Familien Dänemarks noch mehr Geld im Handel mit Russland verdienen will.

Während Ecco die Lage noch analysiert und in einer kurzen Pressemitteilung ukrainischen Flüchtlingen Hilfe anbietet, hat Carlsberg bekannt gegeben, dass die Verdienste vom Bier-Verkauf nicht in die eigene Kasse fließen, sondern in eine Stiftung.  

Ein Unternehmensexperte beschrieb die Situation gegenüber der Zeitung „B.T.“ so, dass die Unternehmen die Wahl zwischen Pest und Cholera haben: Entweder können sie von Russland bestraft werden oder von den Verbrauchern.

Die Moral besagt, dass alle Bande zu Russland gekappt werden, doch die Unternehmen werden gezwungen, zwischen Menschen zu wählen: Wessen Leben ist mehr wert: das eines normalen Ukrainers oder das eines Russen?

Es sind unmenschliche Entscheidungen in einem unmenschlichen Krieg.

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