Thema der Woche: Bundestagswahl

Deshalb wählen wir – obwohl wir in Dänemark leben

Deshalb wählen wir – obwohl wir in Dänemark leben

Deshalb wählen wir – obwohl wir in Dänemark leben

Apenrade/Aabenraa
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Einer, der in Nordschleswig lebt und an der Bundestagswahl teilnimmt: Ole Cramer, hier mit seiner Ehefrau Astrid Cramer Kausch. (Archivfoto) Foto: Karin Riggelsen

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Briefwahl: Weshalb wählst du bei der Bundestagswahl? Wir haben uns in der deutschen Minderheit umgehört – und erfahren, dass „Der Nordschleswiger“ für einen Wähler vielleicht kein Grund – aber doch eine Hilfe war.

Am 26. September ist Bundestagswahl. Auch in Nordschleswig wird dieses Ereignis aufmerksam verfolgt – und das nicht nur aus oberflächlichem Interesse am Geschehen im Nachbarland.

Viele von uns sind nicht „nur“ Teil der deutschen Minderheit, sondern auch tatsächlich deutsche Staatsbürger. Ob aus Tradition, weil die Vorfahren sich aktiv dazu entschieden haben, nach 1920 deutsch zu bleiben, oder weil wir selbst zugezogen sind, oder weil wir Nachfahren von Zugezogenen sind.

Die deutsche Außenpolitik und das Agieren auf EU-Ebene sind nicht ganz unwichtig für uns in Nordschleswig.

Cornelia Simon

Und dann gibt es seit einigen Jahren ja auch noch in zunehmender Zahl doppelte Staatsbürgerschaften – und sogar dreifache Staatsbürgerschaften sind der Redaktion bekannt.

Wir haben uns unter jenen, die einen deutschen Pass ihr Eigen nennen, und in Nordschleswig, also Dänemark, leben, umgehört.

Dass sie an der Briefwahl teilnehmen wollen, steht dabei für alle fest. Doch die (Hinter-) Gründe sind so vielfältig wie das Leben im deutsch-dänischen Grenzland.

Sie wollen Angela Merkel als Bundeskanzlerin bzw. Bundeskanzler beerben: Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU). Foto: AP/Ritzau Scanpix

„Das ist die Möglichkeit, die man hat (...), Einfluss zu nehmen“

Steffen Lemke aus Tingleff (Tinglev) hat nur die deutsche Staatsbürgerschaft. Er will an der Bundestagswahl teilnehmen, „und ich habe bisher auch immer teilgenommen“, sagt er. „Hier kann ich ja nur bei der Kommunalwahl mitmachen“, so Lemke, der sagt, dass er sich intensiv über die politischen Verhältnisse in Deutschland informiert. Auslandsdeutsche, die nicht an der Bundestagswahl teilnehmen, kann er nicht wirklich verstehen, sagt er. „Das ist die Möglichkeit, die man hat, auch wenn es nur ein klitzekleiner Anteil ist, Einfluss zu nehmen.“

Lemke ist viel international unterwegs, arbeitet in der Windenergie-Branche, und war zum Beispiel in China, Indien und Afrika, und bekommt so viele unterschiedliche Blickwinkel mit, nicht nur deutsche und dänische.

Er sieht es in gewisser Weise sogar als Vorteil, wenn deutsche Bürgerinnen und Bürger aus dem Ausland über den Bundestag mitbestimmen, eben weil sie andere Einsichten haben, „als wenn man wieder zu Freunden und Bekannten zurückfährt, die nur den Blick aus Deutschland und aus den deutschen Medien haben“.

 

 

Der Kieler Landtag – Jens Paysen als Landesbeamter würde seine Zusammensetzung gerne mitbestimmen dürfen. (Archivfoto) Foto: Christian Charisius/DPA/Ritzau Scanpix

Lehrer Paysen würde lieber den Kieler Landtag wählen können

„Weil ich für Deutschland hier bin.“ So knapp antwortet Jens Paysen aus Tingleff (Tinglev) auf die Frage, weshalb er an der Bundestagswahl teilnimmt. „Ich bin ja deutscher Landesbeamter“, ergänzt er. Und schiebt hinterher: „Ich persönlich würde lieber Landtag wählen als Bundestag, weil es mich mehr betrifft.“

Der Lehrer für Naturwissenschaften und Sport kommt gebürtig aus Südbaden, ist bereits seit 1993 an der Deutschen Nachschule in Nordschleswig – und lebt seit inzwischen deutlich über 25 Jahren nicht mehr in Deutschland. Damit hat er die Obergrenze zur Wahlteilnahme für Auslandsdeutsche überschritten. Und deshalb befürchtete er schon, dass er nun weder in Deutschland noch als Ausländer in Dänemark wählen dürfte.

Dass er, wenn er seine „persönliche Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen“ in Deutschland begründet, doch problemlos wählen darf, hat Paysen dann im „Nordschleswiger“ gelesen – und will jetzt den Antrag auf Briefwahl stellen.

 

 

 

 

 

 

 

Thore Naujeck
Thore Naujeck ist froh, auch in Deutschland wählen zu können. (Archivfoto) Foto: Karin Riggelsen

Thore Naujeck: Vom Mitspracherecht grenzüberschreitend Gebrauch machen

Thore Naujeck, Koordinator beim Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN), dem Dachverband der deutschen Minderheit in Dänemark, betont, dass er, wie alle EU-Bürger mit Wohnsitz in Dänemark, nicht nur in Deutschland wählt – sondern auch bei den Kommunal- und Regionsratswahlen in Dänemark. „Ich glaube, dass ich mich sehr für Politik interessiere, sowohl für deutsche als auch dänische“, sagt Naujeck, der dieses Jahr selbst als Kandidat der Schleswigschen Partei (SP) zur Kommunalwahl in der Kommune Apenrade antritt.

„Da eines meiner Themen ja die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist, würde ich auch gerne von meinem Mitspracherecht Gebrauch machen“, sagt er.

Pastorin Cornelia Simon (links) mit einer Konfirmandengruppe. Für sie sind demokratische Wahlen „ein hohes Gut“. (Archivfoto) Foto: Karin Riggelsen

Pastorin weiß aus eigenem Erleben, wie wertvoll die Demokratie ist

In Gravenstein (Gråsten) lebt und wirkt seit 2014 die aus Mecklenburg stammende Cornelia Simon. „Es gibt für mich viele Gründe“, sagt sie auf die Frage, weshalb sie an der Bundestagswahl teilnehmen wird. Ihr erster Grund: „Ganz einfach, weil ich das Wahlrecht habe.“

Als Pastorin ist Simon viel in ihrem Pfarrbezirk und in ganz Nordschleswig unterwegs – und kennt, zum Beispiel aus ihren Studienzeiten, auch das Leben in Berlin, Süddeutschland und Österreich. „Des Weiteren lebte ich bis zu meinem 13. Lebensjahr in einer Diktatur, in der DDR. Meine Familie hatte wegen der Kirchenzugehörigkeit ständig Nachteile und war Schikanen ausgesetzt. Daher weiß ich, dass echte demokratische Wahlen ein hohes Gut sind“, berichtet sie.

„Und drittens sind die deutsche Außenpolitik und das Agieren auf EU-Ebene nicht ganz unwichtig für uns in Nordschleswig“, findet Cornelia Simon.
Uwe Jessen in seinem Büro im Haus Nordschleswig (Archivfoto) Foto: Karin Riggelsen

Uwe Jessen konnte sich den Wahlkreis aussuchen

Wie Thore Naujeck, so arbeitet auch Uwe Jessen für die Minderheit im Haus Nordschleswig in Apenrade (Aabenraa) – und hat als Generalsekretär des BDN viele Fäden in der Hand. Und auch privat ist er ganz eng mit der Geschichte der Minderheit verwoben.

Jessen ist in Dänemark geboren und aufgewachsen – und dennoch deutscher Staatsbürger. So, wie sein Vater auch. „Das kommt daher, dass mein Opa 1920 optiert hat, wie es so fein heißt. Er wollte nicht Däne werden, ging aufs Amt in Uk und sagte, er wolle die Optantenmöglichkeit nutzen und weiterhin Deutscher bleiben“, erzählt Jessen von der spannenden Zeit um die Abstimmung zur Grenzziehung 1920, durch die die Minderheiten in Nord- und Südschleswig entstanden sind.

 

Habe ich die Möglichkeit, finde ich, habe ich auch die staatsbürgerliche Pflicht, mit abzustimmen.

Uwe Jessen

Als Jessen geboren wurde, war es noch so, dass die Staatsbürgerschaft vom Vater vererbt wurde. Deshalb ist er, der lange Zeit auch die deutsche Minderheit politisch im Stadtrat der Kommune Hadersleben (Haderslev) vertrat, auch auf dem Papier Deutscher.

„Das ist die gleiche Haltung, die ich zu allen Wahlen habe, ob Kommunalwahl oder wie auch immer. Habe ich die Möglichkeit, finde ich, habe ich auch die staatsbürgerliche Pflicht, mit abzustimmen. Und ich möchte das auch gerne, weil mich das politische System, auch in Deutschland, interessiert“, sagt Jessen, der qua Beruf politisch nicht nur informiert – sondern auch vernetzt ist.

„Damit ich überhaupt wählen kann, muss ich das auch sein. Ich habe ja nie mindestens drei Monate am Stück in Deutschland gelebt“, sagt er. Er muss also, wie Jens Paysen auch, seine „persönliche Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen“ in Deutschland begründen, bevor er die Briefwahlunterlagen zugeschickt bekommt.

Kurios: Weil er niemals einen Wohnsitz und somit auch keinen letzten Wahlkreis in Deutschland hatte, durfte sich Uwe Jessen einen Wahlkreis aussuchen. Er hat sich, ganz der Heimatregion verbunden, Flensburg (Flensborg) ausgesucht, anstatt zum Beispiel in Bayern mitzuwählen. „Ob die mich überhaupt genommen hätten, ist ja auch eine ganz andere Frage“, lacht er.

Ole Cramer
Ole Cramer wählt gerne, ob bei den dänischen Kommunalwahlen oder bei der Bundestagswahl. Der Pastor empfindet das auch als seine Pflicht. (Archivfoto) Foto: Kjeld Thomsen

Ole Cramer ist es wichtig, Einfluss zu nehmen

„Da ich ein Wahlrecht habe, habe ich für mich immer ein bisschen auch das Gefühl, dass ich auch eine Wahlpflicht habe“, stimmt Ole Cramer aus Tingleff mit Uwe Jessen überein. „Wenn ich meine Stimme nicht abgebe, dann bekommen die Parteien mehr Gewicht, die ich vielleicht in Deutschland nicht so gerne an der Macht sehen möchte. Und da kann ich auch gerne sagen, dass ich die AfD nicht mag“, nimmt er kein Blatt vor den Mund.

Cramer, der aus Südschleswig stammt und seit 2017, nach seiner Zeit in Buhrkall (Burkal) von 2007 bis 2013, zum zweiten Mal als Pastor in Nordschleswig wirkt – diesmal an der Seite seiner Frau, Pastorin Astrid Cramer Kausch, in Pfarrbezirk Tingleff, würde auch gerne in Dänemark das Folketing mitwählen können, was ohne dänische Staatsbürgerschaft aber nicht geht. „Deshalb ist es mir sehr wichtig, in Deutschland mitzuwählen“, sagt er.

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