Geschichte auf dem Berg

Vergangenheitsbewältigung, Überwachung und Identität der Minderheit

Vergangenheit, Überwachung und Identität der Minderheit

Vergangenheit, Überwachung und Identität der Minderheit

Knivsberg /Knivsbjerg  
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Der Historiker an der SDU, Thomas Wegener Friis (l.), zählte zu den Referenten während der Tagung Geschichte auf dem Berg. Rechts neben ihm Diskussionsleiter Hans Schultz Hansen. Foto: Karin Riggelsen

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Bei der Geschichtstagung in der Bildungsstätte Knivsberg ging es um „Täter oder Opfer“, Geheimdienstberichte, Wege zur Partnerschaft der Minderheiten und das Schulwesen der deutschen Nordschleswiger.

Während der Konferenz „Geschichte auf dem Berg“ auf Initiative des Historikers Jon Thulstrup in Zusammenarbeit unter anderem mit dem Deutschen Museum und dem Archiv der deutschen Minderheit am Sonnabend haben mehrere Referenten die Vergangenheitsbewältigung der Minderheit nach 1945, das Auge dänischer Gehemindienste, den Weg der Zusammenarbeit der Grenzlandminderheiten und die Identitätsbildung durch das Schulwesen der Minderheit thematisiert.

Historiker lieferten interessante Einblicke in Minderheitengeschichte

Zu Wort kamen Thomas Wegener Friis, Süddänische Universität Odense, Mogens Rostgaard Nissen, Studienabteilung der Dänischen Zentralbibliothek in Flensburg, und Tobias de Fønns Wung-Sung. Der Historiker und Autor zahlreicher Bücher über die juristische Aufarbeitung der Verstrickungen der deutschen Nordschleswiger ins  Besatzungs- und Unterdrückungsregime der Nazi-Besatzer 1940 bis 1945, Henrik Skov Kristensen, gab zu Beginn der Tagung mit über 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Einblick in seinen eigenen Forschungsansatz, anhand einer „quellenkritischen Methode“, den Tatsachen, „wie sie gewesen sind“ ,auf den Grund zu gehen.

Symbol Faarhus

Er berichtete, dass die Internierung und Strafverbüßung Tausender Angehöriger der deutschen Minderheit im Faarhuslager nach 1945, diesen Ort zum Symbol der Ungerechtigkeit werden ließ, die den Nordschleswigern nach eigener Einschätzung vonseiten Dänemarks zuteil wurde. „Lange Zeit lebten Mehrheit und Minderheit in Nordschleswig in Parallelwelten, auch wirtschaftlich“, so Skov Kristensen, der als Leiter des Museums im Frösleelager maßgeblich an der Einrichtung einer Ausstellung über das Faarshuslager in den Jahren 1945 bis 1949 beteiligt war, die das Hauptthema der „Filiale“ des Dänischen Nationalmuseums, das während der Besatzungszeit errichtete Frösleelagers zur Inhaftierung vor allem dänischer Widerstandskämpfer, Polizisten und Gendarme, ergänzt.

Henrik Skov Kristensen signiert 2019 sein Werk „Gerningsmænd eller ofre" zur Vergangenheitsbewältigung der deutschen Nordschleswiger im Beisein des BDN-Hauptvorsitzenden Hinrich Jürgensen (r.) und dessen Stellvertreters Olaf Hansen. Foto: Karin Riggelsen

 

Und er fügte hinzu, dass sich in Dänemark angesichts der schrittweisen Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Dänemark nach dem Zweiten Weltkrieg in Dänemark die Tendenz breitmachte, die „Geschichte ruhen zu lassen“.

Informationen über Lager 1945

Skov Kristensen beschrieb in seinem Vortrag kurz die Geschichte des Faarhuslagers, in dem in den ersten Wochen nach dem Befreiungstag, dem 5. Mai 1945, unter der Leitung der dänischen Widerstandsbewegung mit dem dort zuvor inhaftierten dänischen Offizier und Lagerleiter Povl Martin Digmann ein „Kenner“ des Gestapo-Betriebs das Sagen hatte. „Nach einigen Wochen übernahm das staatliche Gefängniswesen den Betrieb, mit Cuno Gjerstrup als Leiter, der zuvor schon während der Besatzungszeit für die dänische Vollzugsbehörde dort tätig war“, so Skov Kristensen. Nach Beginn des Betriebs mit ausgebildetem Personal habe es keine Gewalttätigkeiten mehr gegen die Inhaftierten aus der Minderheit gegeben, die nach Verurteilungen durch die dänische Justiz einen sinnvollen Strafvollzug erlebten, und es gab viele Begnadigungen. Skov Kristensen erläuterte die Wirkung der Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik auf den Blick auf die eigene Vergangenheit in der deutschen Minderheit.

„Opa war kein Nazi"

Dort habe der Prozess verspätet eingesetzt. Dabei habe in Nordschleswig ebenso wie in Deutschland das Phänomen vorgeherrscht, dass sich eine Diskrepanz zwischen der wirklichen Vergangenheit, den Kriegsverbrechen und der Erinnerung in den Familien auftat. Skov Kristensen verwies dabei auf die Forschungen des deutschen Sozialpsychologen Harals Welzer, der mit seinem Buch „Opa war kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis“ auf den kollektiven Prozess in Deutschland hinwies, dass individuell und in den Familien die eigene Geschichte geschönt wird. „Einen Gegensatz zwischen eigener Erinnerung und der Realität hat es offenbar auch in der Minderheit gegeben“, so der Historiker, der berichtete, wie es den deutschen Nordschleswigern gelungen ist, sich schrittweise aus der doppelten Opferrolle zu lösen, von den Nazis verführt und anschließend von der dänischen Gesellschaft ungerecht hart bestraft worden zu sein.

Umbruch unter Hans Heinrich Hansen

Mit dem BDN-Hauptvorsitzenden Hans Heinrich Hansen und dessen Rede auf den Düppeler Schanzen bis hin zur Umbenennung des „Ehrenhains“ und der Entschuldigung durch den jetzigen BDN-Chef Hinrich Jürgensen habe sich der Prozess der selbstkritischen Vergangenheitsbewältigung durchgesetzt. In der Diskussion nach dem Vortrag Skov Kristensens betonte Forschungsleiter Hans Schultz Hansen, dass die in der Minderheit oft kritisierten Gesetze mit rückwirkender Kraft bei der dänischen Rechtsabrechnung auch ihren Grund hatten, weil es um Vergehen gegangen sei, die bis dahin nicht Teil der geltenden Strafgesetzgebung waren. Die neuen Gesetze hätten viele Angeklagte vor längeren Strafen bewahrt, die bei Anwendung anderer Gesetze möglich gewesen wären. „Viele Personen aus der Minderheit wurden später auch nicht als normale Straftäter angesehen“, so der Historiker und nannte als Beispiel die Auszeichnung des früheren BDN Hauptvorsitzenden Harro Marquardsens mit dem Dannebrogorden, obwohl auch dieser nach 1945 verurteilt worden war.

Auf dem Podium bei der Geschichtskonferenz: (v. l.) Jon Thulstrup, Mogens Rostgaard Nissen und Henrik Skov Christensen Foto: Karin Riggelsen

 

Im folgenden Vortrag berichtete Thomas Wegener Friis über die geheimdienstliche Überwachung der deutschen Minderheit ab 1945. Er stellte Beispiele vor, wie in der Nachkriegszeit dabei „Phantomen“ wie angeblichen Werwölfen nachgeforscht wurde. Er stellte auch Papiere vor, in denen dänische Geheimdienstler über die Gründung einer neuen Nazipartei in Nordschleswig berichteten. Dabei habe es sich jedoch um die Gründung des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN) gehandelt, die sich auf einen Kreis von Nicht-Nazis stützte.

Aktiver Polizeimeister

Vor allem der Polizeimeister in Apenrade, Ernst Brix, habe die Minderheit im Blick gehabt, der Einsatz eines Spitzels in der Minderheit habe aber wohl nicht geklappt. Es sei auch notiert wurden, dass viele Deutschgesinnte in der Nachkriegszeit nichts mit dem wiederaufgebauten deutschen Schulwesen zu tun haben wollten. Diese wollten keine Kinder zu einer neuen großdeutschen Abenteuerpolitik liefern“, zitierte Wegener Friis. In den 1950er Jahren sei die Überwachung nach und nach eingestellt worden. In erster Linie hätten sich die Behörden in der Zeitung „Der Nordschleswiger“ über das Geschehen in der Minderheit informiert.  Studiendirektor a. D. Immo Doege, viele Jahre in der Aufarbeitung der deutschen Geschichte Nordschleswigs und am Aufbau der deutschen Museen im Landesteil engagiert, berichtete über eine Begegnung mit dem Polizeilichen Nachrichtendienst (PET) in den 1970er Jahren. Dem PET ging es um Informationen über eine Lehrkraft, die kommunistischer Umtriebe verdächtigt wurde. „Ich habe ihn nur gefragt, ob er eine Antwort erwarte“, so Doege.  

 

Erstaunliche Entwicklung zwischen den Minderheiten

Über eine erstaunliche Entwicklung der Beziehungen zwischen der dänischen und der deutschen Minderheit berichtete Mogens Rostgaard Nissen. Er stellte zu Beginn seiner Auführungen den Nachruf in „Flensborg Avis“, der Zeitung der dänischen Minderheit, auf den 1979 verstorbenen Chefredakteur des „Nordschleswigers“ und Abgeordneten im Folketing, Jes Schmidt, vorstellte. Dieser sei darin als „guter Mann“ gewürdigt worden, obwohl sich Jes Schmidt mit „Flensborg-Avis“-Chefredakteur Karl Otto Meyer jahrelang in Leitartikeln harte Gefechte geliefert hatte.

Skepsis gegenüber Bonn-Kopenhagener Erklärung

 Rostgaard Nissen erinnert auch daran, dass deutsche wie dänische Minderheit 1955 skeptisch auf die Bonn-Kopenhagener Erklärungen reagiert hatten, die die Normalisierung des deutsch-dänischen Verhältnisses auf Touren gebracht hätten. Zusammenarbeit habe es aber schon seit 1949 im Rahmen des europäischen Minderheitenverbandes FUEN gegeben. „Es war aber auch eine Generationenfrage“, so der Historiker und erinnerte daran, dass sich mit den neuen Spitzen der Minderheitendachverbände BDN und Sydslesvigsk Forening (SSV), Hans Heinrich Hansen und Heinrich Schultz, Mitte der 1990er Jahre, eine Annäherung der Minderheiten beschleunigt habe.

„Schultz hat dabei auch auf die Stimmung in der jungen Generation der Minderheiten reagiert“, so Rostgaard Nissen, der über zunehmende Trends berichtete, dass es zu Ehen zwischen Personen aus beiden Minderheiten kommt, Nordschleswiger ihre Kinder in dänische Schulen in Südschleswig schicken und umgekehrt und es auch keine Berührungsängste mehr gebe, dass quer durch die Minderheitenzugehörigkeit Arbeitsplätze in deren Einrichtungen übernommen werden. „Mittlerweile sind die Minderheiten in vielen Bereichen enge Partner geworden“, meinte Rostgaard Nissen unter Hinweis auf gemeinsame politische Initiativen von Schleswigscher Partei (SP) und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) für die Grenzregion oder Aktionen gegen Grenzkontrollen und Grenzschließungen. In der Diskussion äußerte sich der Referent allerdings zurückhaltend zu jüngsten Aussagen, dass sich aus den nationalen Minderheiten im Grenzland nach und nach eine Grenzlandminderheit bilden könne.

Tobias de Fønns Wung-Sung sprach über die Identitätsbildung durch das deutsche Schulwesen in Nordschleswig. Neben ihm der Leiter des Deutschen Museums Nordschleswig, Hauke Grella. Foto: Volker Heesch

 

Der Kopenhagener Historiker Tobias de Fønns Wung-Sung lieferte mit seinem Vortrag über die „Identitätsbildung durch das Schulsystem“ interessante Einblicke über die Entwicklung innerhalb des deutsch-nordschleswigschen Schulsystems, das nach der Schließung und Beschlagnahme der kommunalen und privaten deutschen Schulen ab 1945 erst langsam wieder aufgebaut worden ist. Der Referent berichtete, dass es auch im Bereich der Schulen Positionen des Trotzes angesichts der Schulschließungen aufgrund der nationalsozialistischen Prägung der Minderheitenschulen seit Mitte der 1930er Jahre gegeben habe.

Widerstand gegen deutsche Schulen

De Fønns Wung-Sung zitierte aus Quellen wie der dänischen Zeitschrift „Folkeskolen“, um zu zeigen, welchen Widerstand es in der dänischen Gesellschaft gegen eine Wiedereinrichtung eines eigenständigen deutschen Minderheitenschulwesens gab. Aus Aufzeichnungen des ersten Schulrates des Deutschen Schul- und Sprachvereins für Nordschleswig (DSSV), Frederik Christensen, zitierte der Historiker, dass man sich im deutschen Schulbereich um eine Verbesserung des Verhältnisses zu den dänischen Nachbarn bemühen wollte. Viele Minderheitenkinder hätten sich während ihres Schulbesuchs in öffentlichen Schulen diskriminiert gefühlt. „Christensen war aber auch traditionellen Auffassungen verhaftet“, so de Fønns Wung-Sung.

 

Bei einer Ausstellung des Lokalhistorischen Archivs in Hoyer wurden vor über zehn Jahren auch Schulbuch-Beispiele aus der deutschen Kommunalschule in Hoyer präsentiert, die 1945 geschlossen worden war. Es waren dabei auch eindeutige Nazi-Machwerke. Foto: Volker Heesch

 

Er ging davon aus, dass zwar Deutsche und Dänen durch die gemeinsame Heimat Schleswig verbunden seien, er ging aber von der Auffassung aus, dass das einstige Herzogtum „verdänischt“ worden sei. Andere Töne hätten sich bereits unter seinem Nachfolger Artur Lessow durchgesetzt, in Jahren wirtschaftlichen Aufschwungs, die den Bau vieler neuer deutscher Schulen in Nordschleswig ermöglichten. Lessow sah die Aufgabe in den deutsch-nordschleswigschen Schulen, die Kinder auf ein Leben in der dänischen Gesellschaft vorzubereiten, sie aber zugleich mit der deutschen Kultur und Sprache zu verbinden, ohne Nationalismus.

Öffnung der Schulen

In den folgenden Jahrzehnten bis in die Gegenwart sei eine Öffnung der deutschen Schulen gegenüber der dänischen Mehrheitsbevölkerung zu beobachten gewesen. Eine Diskussion entfachte sich im Anschluss an den Vortrag über die Frage, in welchem Umfang die Schulbücher in den 1945 geschlossenen deutschen Schulen Nazi-Machwerke gewesen seien. Hans Schultz Hansen meinte, es sei damals nötig gewesen, das Material aus dem Verkehr zu ziehen. Immo Doege hielt dagegen, dass seine Arbeit für das Deutsche Schulmuseum gezeigt habe, dass viel Material kassiert wurde, das vor der Nazizeit gedruckt worden war und deshalb eigentlich unverdächtig gewesen sei.    

 

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