Leitartikel

„4-Tage-Woche ist nicht gleich 4-Tage-Woche“

4-Tage-Woche ist nicht gleich 4-Tage-Woche

4-Tage-Woche ist nicht gleich 4-Tage-Woche

Apenrade/Aabenraa
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Arbeitgebende buhlen um Arbeitskräfte und werden medial für Initiativen wie die 4-Tage-Woche gefeiert. Aber hier hat sich ein Fehler eingeschlichen, findet Autorin Marle Liebelt. Unternehmen heimsen hier oft ein Lob für eine Sache ein, die eigentlich anders gedacht war.

Die Arbeitswelt verändert sich stark. Im Kampf um Personal müssen Arbeitgebende kreativ werden und ihrer Belegschaft attraktive Angebote machen. 

Dabei ist auch die Diskussion um die 4-Tage-Woche wieder entfacht. Ein aktuelles Beispiel ist die Kommune Tondern, in der das Thema gerade politisch diskutiert wurde

Aber Achtung, bei der aktuellen Debatte schleicht sich ein sogenanntes Homonym ein – ein Begriff, der zwei verschiedene Dinge meint. 

Viele Lorbeeren für wenig Veränderung

Denn eine 4-Tage-Woche ist nicht gleich eine 4-Tage-Woche. Rechnerisch schon, aber hier laufen verschiedene Modelle unter dem Deckmantel derselben Bezeichnung. Und das wird beim Lob für progressive Arbeitgebende häufig nicht differenziert. 

Ausgehend von einer Vollzeitwoche ist die eigentliche Idee der 4-Tage-Woche, die Stundenzahl bei gleichem Lohn zu reduzieren. Was in vielen der aktuell medial angepriesenen Fälle aber nicht der Fall ist. Hier ist die Idee meistens: Gleiche Stundenzahl in vier statt fünf Tagen. Wie im Beispiel Tondern. 

Oft werden in der Diskussion sogar Studien herangezogen, die beweisen, dass Belegschaften trotz weniger Arbeitszeit in selbem Maße produktiv sind. Und auf dieser Grundlage hat man dann entschieden, das mit den vier Tagen zu übernehmen, aber das mit der geringeren Arbeitszeit nicht?

Moment mal …

Wir machen den Fehler, beide Modelle mit demselben Begriff zu lobpreisen. Sie teils sogar durcheinanderzubringen oder die entscheidende Frage nach der Arbeitszeit überhaupt nicht zu beantworten. 

Die Differenzierung ist aber ganz wesentlich für den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und das Neudenken von Lohnarbeit. 

 

Nicht alle können an vier Tagen neun Stunden plus arbeiten. Schließlich beschränken die Kinder ihren Hunger und andere Bedürfnisse auch nicht auf drei Tage die Woche, weil Mama oder Papa an den anderen Tagen lange arbeitet.

Marle Liebelt

Ich wage mal zu behaupten, dass die 4-Tage-Woche, die weniger Stunden bei selbem Lohn meint, allen Arbeitnehmenden zugutekommt. 

Ein „okayes“ Angebot – mehr aber auch nicht

Die 4-Tage-Woche bei gleicher Stundenzahl hingegen nicht. Sie ist ein Modell, das einigen Arbeitnehmenden mehr Flexibilität ermöglichen kann. Ist das Modell ein Angebot, das Arbeitnehmende annehmen können oder nicht, ist es ein guter Schritt in die richtige Richtung – für diejenigen, für die es funktioniert. 

Nicht alle können an vier Tagen neun Stunden plus arbeiten. Schließlich beschränken die Kinder ihren Hunger und andere Bedürfnisse auch nicht auf drei Tage die Woche, weil Mama oder Papa an den anderen Tagen lange arbeitet. Die Flexibilität, die diese 4-Tage-Woche verspricht, kommt primär denjenigen zugute, die nach der Arbeit nicht noch anderen Verpflichtungen, wie der Kinderbetreuung, täglicher Hausarbeit oder der Pflege von Angehörigen, nachkommen müssen.  

Dieser Leitartikel ist kein Plädoyer gegen die 4-Tage-Woche bei gleicher Stundenzahl. Leider bietet dieser Leitartikel auch keine Wortneuschöpfung für die beiden Modelle. Aber er ist ein Plädoyer dafür, klarer zu differenzieren und die 4-Tage-Woche, wenn Arbeitgebende wieder mal für ihre Progressivität gelobt werden, zu hinterfragen.

Denn oft sind es etwas zu viele Lorbeeren für Arbeitgebende, die ihren Angestellten ein vergleichsweise kleines Angebot machen.

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