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„Mariupol weckt schlimmste Erinnerungen – der Krieg tobt vor unserer Haustür“

Mariupol weckt schlimmste Erinnerungen – der Krieg tobt vor unserer Haustür

Mariupol weckt schlimmste Erinnerungen

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Brüssel/Apenrade
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Jan Diedrichsen widmet sich in seiner Kolumne erneut dem Krieg in der Ukraine und den Bildern aus der Stadt Mariupol, in denen er auch Parallelen zum Zweiten Weltkrieg erkennt.

Die brutale Einkesselung der Stadt Mariupol weckt Erinnerungen an den Vernichtungsterror des Zweiten Weltkrieges. In den heftig geführten Straßenkämpfen sollen sich nun auch die Schergen von Kadyrow mischen, dem Schlächter und Diktator Tschetscheniens. Kadyrow selbst schrieb auf Telegram, die „Säuberung“ der zerbombten Hafenstadt von „Nazi-Banditen“ laufe auf „Hochtouren“. Man muss sich auf das Schlimmste gefasst machen. Die Stadt war historisch eines der wichtigsten Zentren der Griechen in der Ukraine, die bis heute eine wichtige Minderheit in der Stadt sind.

Ein Bild des Grauens: In Mariupol „wurden 5.000 Todesopfer beerdigt“, sagte Anfang der Woche die ukrainische Verantwortliche für Flüchtlingskorridore, Tetjana Lomakina. Allerdings würden seit ungefähr zehn Tagen wegen der anhaltenden Bombardements durch die russischen Truppen keine Bestattungen mehr vorgenommen – mittlerweile könnte die Zahl der Toten also bedeutend höher liegen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, die Straßen von Mariupol seien mit Leichen übersät, die nicht begraben werden könnten.

Ukrainischen Angaben zufolge sind 90 Prozent der Wohngebäude der Stadt aufgrund russischer Angriffe beschädigt, ebenso sieben Krankenhäuser, drei davon seien komplett zerstört worden. 57 Schulen und 70 Kindergärten seien getroffen worden, davon 23 bzw. 28 komplett zerstört. In der Stadt selbst sei das Leben unerträglich geworden, es gebe keinen Strom, kein Wasser, keine Heizung, so der Bürgermeister. Nach seinen Worten sind nur noch 160.000 der ursprünglich 450.000 Einwohnerinnen und Einwohner in der Metropole am Asowschen Meer. Etwa 140.000 konnten bereits vor der Blockade fliehen.

Es wird später niemand behaupten können, das haben wir alles nicht gewusst.

Nun ein harter Schnitt: Der Krieg ist nicht weit weg, er bedroht auch uns; ganz abgesehen davon, dass wir eine moralische Verpflichtung haben, den Ukrainerinnen und Ukrainern beizustehen. Wer das ausblendet, begeht einen großen Fehler. Putin geht es nicht um die Ukraine allein, er kämpft gegen „den Westen“, die freiheitliche Demokratie und alles das, was wir bislang mehr oder weniger als Selbstverständlichkeit definiert haben.

Am Dienstag hat die Regierung in Kopenhagen verkündet, dass mehr als 700 Soldaten in Slagelse stationiert werden, die die östliche Flanke der Nato, in den baltischen Staaten, bei Bedarf zur Verfügung stünden, während zwei F-16-Flugzeuge für die Unterbringung auf Bornholm vorbereitet werden.

Die sicherheitspolitischen Experten im Norden sind in der Analyse überwiegend einig: Falls Russland versuchen sollte, den Konflikt außerhalb der Ukraine zu eskalieren, könnte der Kreml die baltischen Länder oder Finnland bzw. Schweden ins Visier nehmen. Die baltischen Länder sind Mitglieder der NATO; die Frage ist, ob Russland einen solchen Angriff wagen würde. Für Finnland und Schweden hingegen gelten nicht dieselben Sicherheitsgarantien. Andererseits ist man EU-Mitglied. Was vor allem finnische Experten derzeit als realistisches Szenario betrachten, ist, dass Russland versuchen könnte, "eine kleine Insel zu besetzen" oder an der finnisch-russischen Grenze "Unruhe" zu stiften.

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