Historisches Unrecht

Entschädigung für grönländische „Experimentkinder“

Entschädigung für grönländische „Experimentkinder“

Entschädigung für grönländische „Experimentkinder“

Kopenhagen
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Helene Thiesen wurde die eigene Kultur und Sprache aberzogen. Foto: Nikolai Linares/Ritzau Scanpix

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1951 wurden 22 Kinder im Zuge eines sozialen Experiments von ihren Eltern in Grönland entfernt. Die sechs von ihnen, die noch am Leben sind, bekommen nun vom dänischen Staat 250.000 Kronen für das, was ihnen an Unrecht angetan worden ist.

Es bedurfte der Androhung eines Gerichtsverfahrens, bevor die dänische Regierung einwilligte, sechs Personen aus Grönland eine Entschädigung von je 250.000 Kronen zu zahlen. Bei einem sozialen Experiment war ihnen ihre Sprache und Kultur geraubt worden.

Eine der Betroffenen ist Helene Thiesen.

An einem Maitag im Jahr 1951 wurde sie mit einem kleinen Ruderboot auf ein – in ihrer Erinnerung – „großes schwarzes Schiff“ im Hafen von Godthåb (dem heutigen Nuuk) gebracht, das sie nach Dänemark bringen sollte. Am Kai standen ihre Mutter und ihre Geschwister und schauten ihr nach. Das siebenjährige Mädchen verstand nicht, wie die Mutter sie ziehen lassen konnte, denn sie wusste nicht, dass der Mutter keine andere Wahl hatte.

Die verlorene Sprache

Auch wussten weder sie noch ihre Mutter, dass das Mädchen gemeinsam mit 21 anderen Kindern Teil eines Experiments war, das zum Ziel hatte, eine neue grönländische Elite auszubilden. Aus damaliger Sicht war dafür entscheidend, dass ihnen alles Grönländische, inklusive der Sprache, aberzogen wurde.

In Dänemark kam sie zunächst in ein Ferienlager und dann in Pflegefamilien. Nach eineinhalb Jahren durfte sie dann nach Godthåb zurückkehren. Doch die Wiedersehensfreude mit ihrer Mutter wurde gleich in mehrfacher Weise getrübt.

„Wir fielen uns um den Hals, und ich plauderte und plauderte und erzählte von Dänemark und von dem, was ich erlebt hatte. Doch dann merkte ich, dass meine Mutter so eigenartig schweigsam war. Dann fing sie jedoch an zu reden, aber ich verstand kein Wort“, erzählte sie im Dezember 2020 dem „Nordschleswiger“.

Denn die Mutter sprach nur Grönländisch, und Helene hatte die eigene Sprache vergessen.

„Das brach mir das Herz.“

Schwerwiegende Folgen

Auch durfte sie, ebenso wenig wie die anderen Kinder, zu ihrer Mutter zurück, sondern musste in einem Kinderheim wohnen.

Teil irgendeiner Elite wurde keines der Kinder, dagegen haben sie ihr Leben lang unter den Folgen des Experiments gelitten. Etliche sind frühzeitig verstorben.

„Die Erzählungen der Kinder sind von Erlebnissen der Einsamkeit, der Entfremdung und der Entwurzelung durchsetzt. Sie berichten von verlorener, zerrissener und zwiespältiger Identität“, so im Dezember 2020 die Einschätzung einer Historiker-Kommission.

Entschuldigung, aber zunächst keine Entschädigung

Nach der Veröffentlichung des Historiker-Berichts hat sich Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.) bei den sechs überlebenden „Experimentkindern“ entschuldigt. Eine Entschädigung zahlen wollte die dänische Regierung jedoch nicht.

Im Mai vergangenen Jahres schrieb Sozialministerin Astrid Krag (Soz.) in einer Antwort auf eine Folketingsanfrage, das Eingeständnis der Fehler aus der Vergangenheit, sei das Zentrale. Daher wolle sie keine Entschädigung zahlen. 

Im Dezember vergangenen Jahres verklagten die sechs Überlebenden dann den dänischen Staat. Und am Freitag kam die Kehrtwende: Man habe sich bei einem außergerichtlichen Vergleich auf eine Entschädigung in der Höhe von 250.000 Kronen pro Person geeinigt, heißt es in einer Pressemitteilung des Sozialministeriums.

„Wir sind nur noch sechs übrig und mittlerweile ältere Menschen. Daher ist es eine Freude, dass die Sache nun mit einem Vergleich beendet wurde, und wir eine Entschädigung bekommen haben“, sagt die 78-jährige Eva Illum dem grönländischem Medium „KNR“. Das ehemalige „Experimentkind“ wohnt heute in Odense.

Der grönländische Musiker Frederik Elsner hat im vergangenen Jahr ein Musikvideo über das Schicksal der Kinder veröffentlicht, dass du hier unterhalb sehen kannst: 

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