Diese Woche in Kopenhagen

„Wahlen erst im nächsten Jahr“

Wahlen erst im nächsten Jahr

Wahlen erst im nächsten Jahr

Kopenhagen
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Vorherzusagen, wann die Staatsministerin Folketingswahlen ausschreibt, ist immer ein halsbrecherisches Unterfangen. Walter Turnowsky wagt sich dennoch an es heran.

Auf Christiansborg gehört es zu den beliebten Gesellschaftsspielen, vorherzusagen, wann wir zu den Wahlurnen müssen.

Doch so beliebt wie es ist, so unsicher ist es auch. Denn Wissen tut es nur eine Person: Staatsministerin Mette Frederiksen. Im dänischen politischen System liegt die Entscheidung allein bei der Regierungschefin, und sie kann die Wahlen mit nur drei Wochen Frist ausschreiben. Ihre Vorgängerin und Vorgänger haben es seit Jahrzehnten auch fast immer bei den minimalen drei Wochen Wahlkampf belassen – ab und zu gab es eine Woche extra.

Nur im engsten Kreis

Besprochen wird das Datum nur im allerengsten Kreis der Beraterinnen und Berater der Staatsministerin, und von ihnen dringt nichts nach außen. Selbst gewiefte politische Beobachter kommen an keine sicheren Hinweise heran. Das Einzige, was feststeht, ist, dass die Wahlen spätestens nach vier Jahren, also am 4. Juni 2023 stattfinden werden.

Selbst der Wochentag ist ungewiss: Zwar gibt es eine Tradition, dass meistens an einem Dienstag abgestimmt wird, aber beim letzten Mal war es zum Beispiel ein Mittwoch.

Wahltermine verstrichen

Deshalb haben die Prognosen zum Wahldatum auch mehr mit Teeblattlesen gemein, als dass sie auf Informationen aufbauen. Diese Tatsache wird dadurch untermauert, dass Frederiksen gerade mal ein Jahr im Amt war, als zum ersten Mal Wahltermine in der Gerüchteküche gehandelt wurden.

Sie wolle das Corona-Hoch der Sozialdemokratie in den Umfragen nutzen und im Herbst 2020 Wahlen ausschreiben, hieß es. Seither gab es alle halben Jahre neue mögliche Wahltermine, zuletzt für den diesjährigen Frühling oder Vorsommer.

Keine Wahl vor der Volksabstimmung

Doch auch darum ist es nun still geworden – aus guten Gründen. Denn wenn ich meine Teeblätter vor mir ausbreite, entdecke ich zwei schwerwiegende Gründe, weshalb das nicht geschehen wird. Der Krieg in der Ukraine bedeutet, dass es weder vertretbar noch vermittelbar wäre, inmitten dieser internationalen Krise ohne Not eine Wahl abzuhalten.

Der zweite Grund ist von dem ersten ausgelöst und macht mich sehr sicher, dass vor den Sommerferien keine Folketingswahl kommt: die Volksabstimmung zum Verteidigungsvorbehalt am 1. Juni.

Noch viel zu tun

Es ist zwar schon vorgekommen, dass wir in den Sommerferien zu den Wahlurnen gerufen worden sind, aber es erscheint ohne dringenden Anlass nicht sehr wahrscheinlich. Sollte die Volksabstimmung mit einem „Nein“ enden, könnte das theoretisch ein solcher Anlass sein. Doch wird die Regierung in dem Fall wohl eher mit Schadensbegrenzung befasst sein, und eine Rampe für eine für sie erfolgreiche Wahlkampagne wäre es in keinem Fall.

Damit wären wir beim Herbst angekommen und müssen ein wenig tiefer in den Teesatz blicken. Sollte es bei der Volksabstimmung ein „Ja“ werden, könnte Frederiksen versucht sein, diesen Rückenwind zu nutzen.

Dennoch schätze ich das als weniger wahrscheinlich ein, denn der Rückenwind wird vermutlich nicht so stark sein. Ein großer Anteil der Bevölkerung, darunter auch viele Anhängerinnen und Anhänger der Sozialdemokratie, werden auch in dem Fall „Nein“ gestimmt haben. Außerdem würde sich Frederiksen den Rückenwind mit den Mitbewerbern um das Staatsministeramt teilen müssen.

Doch auch andere Aspekte sprechen gegen eine Herbstwahl. Die Regierung hat mehrere große Reformprojekte, die noch nicht realisiert, ja gerade angeschoben sind. Da wäre zunächst das Paket „Danmark kan mere“, das einen Zehnjahresplan für das Land darstellt. Den ersten Teil hat die Regierung im vergangenen Jahr vorgestellt, und ein Teil der Reformprojekte zur Beschäftigung ist im Januar beschlossen worden. Konkrete Ergebnisse lassen sich nach so kurzer Zeit noch nicht nachweisen. 

Grüner Nachholbedarf

Den zweiten Teil von „Danmark kan mere“, wo es vor allem um den grünen Umbau geht, will die Regierung nach Ostern vorstellen. Gerade in diesem Bereich hat die Regierung Nachholbedarf und ist wiederholt wegen einer zu zögerlichen Umsetzung der Klimaziele kritisiert worden. Eine einheitliche CO2-Steuer gibt es immer noch nicht.

Will die Sozialdemokratie sich Hoffnungen machen, einige der vielen jungen Wählerinnen und Wähler, die ihr bei den Kommunalwahlen verloren gegangen sind, zurückzugewinnen, muss sie in der Klimapolitik Ergebnisse nachweisen und dies dann auch vermitteln können. Es wird eng, das bis zum Herbst zu schaffen.

Frederiksens politisches Projekt 

Daher sagen mir meine Teeblätter, dass wir erst im kommenden Jahr an die Wahlurnen müssen – gar nicht undenkbar ist, dass wir sehr nahe an den 4. Juni herankommen.

Im Grunde war ich von Beginn der Regierung Frederiksen an der Überzeugung, dass sie möglichst die fast volle Amtszeit machen möchte. Denn die Vorsitzende der Sozialdemokratie hat ein klares politisches Projekt, von dem sie so viel wie möglich bereits in ihrer ersten Regierungsperiode umsetzen möchte.

Sie und die Parteigenossen, die ihr ideologisch zuarbeiten, möchten Dänemark wieder auf einen Kurs bringen, den sie als klassisch sozialdemokratisch sehen. Und sie sehen sich dann eindeutig als Gegensatz zur Politik der liberal geführten Regierungen von Anders Fogh Rasmussen und Lars Løkke Rasmussen.

Sollte die Wahl doch in diesem Jahr kommen, muss ich mich bei der Teesorte vergriffen haben.  

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