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„Das Ende von '89“

Das Ende von '89

Das Ende von '89

Kopenhagen
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Mit dem Angriff auf die Ukraine hat Wladimir Putin die Hoffnungen, die sich an das Ende des Kalten Krieges knüpften, endgültig zerstört. Die Entwicklung zeigt, dass man für liberale Freiheitswerte streiten muss, meint Walter Turnowsky. Und dass man nicht das günstige Angebot von dem ersten dahergelaufenen Diktator annehmen muss.

Wer so ungefähr mein Jahrgang (1964) ist, wird sich an die Euphorie erinnern, als 1989 die Mauer fiel.

Der Ruf „Wir sind das Volk“ der Leipziger Demonstrantinnen und Demonstranten klingt uns noch im Ohr, der, ich gestehe es, leicht kitschige Song „Wind of Change“ der Scorpions ebenfalls.

Die Menschen in der DDR und in den übrigen Staaten des damaligen Warschauer Pakts hatten den stalinistischen Unterdrückungsstaat auf die Müllhalde der Geschichte befördert.

In den 80er Jahren war für viele von uns die Bedrohung durch einen Atomkrieg allgegenwärtig. Nun war diese Bedrohung weg.

Und nicht nur in Europa siegte die Demokratie über die Unterdrückung. In Südafrika konnte Nelson Mandela auf seinem langen Marsch in die Freiheit im Februar 1990 nach 27 Jahren Haft das Gefängnis verlassen. Das rassistische Apartheidsystem ging auf sein Ende zu.

Panzer gegen Studierende

Doch bei Weitem nicht überall konnte sich die Freiheit durchsetzen. In China ließ die Führung gegen friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten auf dem Tian'anmen Platz am 3. Juni 1989 Panzer auffahren. Selbst nach den offiziellen Zahlen des Regimes wurden 200 Menschen umgebracht, andere sprechen von Tausenden.

Die brachiale Botschaft der Kommunistischen Partei: Demokratie? Nicht mit uns.

Balkankrieg

Auch die Hoffnung auf Frieden wurde schnell enttäuscht. 1991 griff die jugoslawische Volksarmee die Teilstaaten Slowenien und Kroatien an, die sich für unabhängig erklärt hatten. 1992 folgte der Angriff auf Bosnien Herzegowina. Es gab wieder Krieg in Europa.

Der erste Irakkrieg 1990 bis 1991 und der Völkermord in Ruanda 1994 verdeutlichten ebenfalls, dass es bis zu einer friedlichen und freien Welt noch ein weiter Weg war.

Glaube an Fortschritt 

Aber zumindest glaubten viele von uns daran, dass es diesen Weg gab. Dass eine Entwicklung in diese Richtung möglich, ja unausweichlich war.

Vor allem seit der Jahrtausendwende wird immer deutlicher, dass dies nicht zwingend der Fall ist. Dass liberale Freiheitswerte, Menschenrechte und Frieden erkämpft werden müssen. Die scheinbar magische Anziehungskraft des Autoritären ist offensichtlich stärker, als wir vermutet haben.

Der mörderische Hoffnungsträger

Zunächst machte sich auch im Westen Erleichterung breit, als Wladimir Putin nach dem alkoholisierten Boris Jelzin 1999 das Ruder übernahm. Nur allzu gerne wurde übersehen, dass der ehemalige KGB-Agent bereits von Anfang an im zweiten Tschetschenienkrieg bewiesen hatte, dass Rechte und Menschenleben für ihn kaum eine Rolle spielen.

Sein Ziel war von Anfang an, ein russisches Großreich wieder zu errichten. Den Untergang der Sowjetunion sah er als eine schmerzliche Niederlage.

Unterdrückung und Krieg

Im Inneren bedeutete das, dass er die Opposition Schritt für Schritt ausschaltete und die Medien gleichschaltete. Gefängnisstrafen, Zensur und Morde gehörten und gehören zu seinen Mitteln.

Krieg ebenso, was er nach Tschetschenien auch in Georgien, der Krim und Syrien bewiesen hat. Und auf andere Weise führte er auch gegen den Westen Krieg. Ziel ist es gewesen, Spaltungen innerhalb der Staaten und zwischen den Staaten zu erreichen.

Deshalb haben sich von den Geheimdiensten geförderte Cyberkrieger mit Desinformation in den US-Präsidentenwahlkampf und die Brexit-Abstimmung eingemischt.

Die Abhängigkeit

Autoritäre Figuren wie Donald Trump und den ungarischen Premier Victor Orbán unterstützt er gezielt, denn die liberalen Demokratien sieht Putin als Bedrohung.

Und obwohl wir all dies gewusst haben, haben wir nicht oder – wie nach der Annexion der Krim-Halbinsel – nur schwach reagiert.

Deutschland, aber auch Dänemark haben sich vom russischen Gas und Erdöl abhängig gemacht, obwohl deutlich war, dass Putin auch über die Handelsbeziehungen strategische Ziele verfolgte.

Wirtschaft als strategische Waffe

Das chinesische Regime verfolgt diese Methode bereits seit geraumer Zeit. In Afrika investieren chinesische Staatsfirmen eifrig. Chinesische Anleihen für Infrastruktur wie Häfen sind für afrikanische Staaten leicht zu erzielen. Hakt es bei den Rückzahlungen, bieten die freundlichen Darlehensgeber an, sie könnten doch einfach den Betrieb des Hafens übernehmen.

Auch der Westen ist mittlerweile von der asiatischen Großmacht abhängig, denn China besitzt essenzielle Rohstoffe für die digitalen Produkte, aber auch für grüne Technologien. Die sogenannten seltenen Erden sind in jedem Handy, in E-Autos und Windmühlen.

Das Land hat sich durch eigene Vorkommen und Investitionen in Minen weltweit fast ein Monopol in diesem Bereich gesichert. Vor allem chinesische Firmen besitzen die Technologie, um die seltenen Erden zu verarbeiten.

Pandas statt Kritik

Diese Abhängigkeit von dem Regime, das Panzer gegen Studentinnen und Studenten geschickt hat, ist langfristig noch problematischer als die Abhängigkeit von russischem Gas. Auf das Gas können wir irgendwann verzichten, auf Ökostrom nicht.

Distanziert haben sich die westlichen Staaten von den fortwährenden Menschenrechtsverletzungen des chinesischen Regimes noch weniger als bislang von Putin. Im Gegenteil gibt es fast ein Wettrennen, möglichst enge Beziehungen zu pflegen. Dänemark ist bevorzugter Handelspartner Chinas. Deshalb haben wir ja auch im Kopenhagener Zoo die beiden niedlichen Pandas.

Der Diktatur dienen

Weniger niedlich war, was die dänische Polizei 2012, während eines Besuchs des chinesischen Präsidenten Hu Jintao, betrieb. Er sollte vor dem Anblick von Tibet-Demonstrierenden verschont werden und wurde vor ihnen durch Polizeiautos abgeschirmt. Die Polizisten entrissen ihnen die Fahnen und verhafteten einige der Demonstrierenden.

Eine zweite Kommission hat nun versucht zu klären, von wem die Order hierfür ausging. Die erste Kommission wurde nämlich in ihrer Arbeit vom Außen- und Staatsministerium behindert.

Wenn die Kommission am Montag ihren Bericht veröffentlicht, wird uns die ganze Affäre wohl in einem neuen Licht erscheinen.

Freiheit kostet

Der Krieg in der Ukraine verdeutlicht auf grausame Weise, dass wir mit Despoten keinen allzu freundlichen Umgang pflegen sollten. Und wenn wir sogar, wie in dem konkreten Fall, die eigenen Grundrechte beschädigen, um ihnen genehm zu sein, wird es richtig gefährlich.

Die letzten Hoffnungen und Träume von ’89 sind im Bombenregen über Kyjiw zerschellt.

Doch das Ziel bleibt: Für Freiheit, Grundrechte, liberale Werte und Frieden müssen wir erneut streiten. Und diesmal müssen wir uns klar sein, dass wir uns das etwas kosten lassen müssen.

Das günstige russische Gas ist uns teuer zu stehen gekommen. Die billigen Handys und Telenetze von Huawei könnten eine noch kostspieligere Bekanntschaft werden.

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