Geschichte
Grenze von 1920 wurde erst nach vielen Jahrzehnten zu einer echten Grenze des Friedens
Erst nach vielen Jahrzehnten eine echte Grenze des Friedens
Erst nach vielen Jahrzehnten eine echte Grenze des Friedens
Der schleswig-holsteinische Historiker Jan Schlürmann liefert mit seinem Werk „1920 – Eine Grenze für den Frieden“ deutschen Lesern einen umfassenden Überblick zum Thema Volksabstimmungen und Grenzziehungen vor 100 Jahren. Auch die Vorgechichte und die Entwicklung im deutsch-dänischen Grenzland in der Gegenwart werden dargestellt.
In wenigen Wochen jähren sich zum 100. Mal die Volksabstimmungen im heutigen deutsch-dänischen Grenzland und die Neuziehung der Grenze quer durch das einstige Herzogtum Schleswig.
In Dänemark viel beachtet – nicht in Deutschland
Während in Dänemark die Ereignisse vor 100 Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkriegs durch jede Menge Veröffentlichungen und Festlichkeiten landesweit Aufmerksamkeit finden, beschränkt sich die Würdigung auf deutscher Seite vor allem auf Veranstaltungen und Aktionen in Schleswig-Holstein. Der Historiker Jan Schlürmann hat rechtzeitig zum Grenzziehungsjubiläum, das in Dänemark als Wiedervereinigung gefeiert wird, im Verlag Wachholtz ein 239 Seiten langes Werk unter dem Titel „1920 – eine Grenze für den Frieden“ veröffentlicht, das ausführlich auch die Vorgeschichte der Ereignisse von 1920, denen zwei Schleswigsche Kriege 1848-1850 und 1864 vorausgegangen waren, vorstellt.
Gut lesbar wird beleuchtet, wie die Region Schleswig, in der über Jahrhunderte komplizierte Herrschaftsverhältnisse, sprachlich-kulturelle Vielfalt und vor allem trotz der Zugehörigkeit zum dänischen Reich ein starkes deutsches Element zum Tragen kam, im Verlauf des 19. Jahrhunderts zum Zankapfel des Nationalismus wurde.
Chance für akzeptable Grenzziehung 1864
Schlürmann berichtet, dass bereits 1864 in der Phase des Waffenstillstands nach der Erstürmung der Düppeler Schanzen, als Dänemark bereits der Übermacht der preußisch-österreichischen Truppen unterlegen war, die damalige dänische Führung nach dem Motto „alles oder nichts“ die vom preußischen Ministerpräsidenten Bismarck in Aussicht gestellte Chance verspielte, eine dänische Südgrenze fast auf der Linie der 1920 gezogenen Grenze zu akzeptieren.
Preußische Unterdrückung der Dänen Thema
Der Historiker gibt Einblick in die Geschehnisse ab 1864, als nach der Eroberung Alsens und dem österreichisch-preußischen Krieg 1866 die bis 1920 währende Epoche begann, die ganz Schleswig-Holstein einschließlich des dänisch geprägten Nordschleswigs zu einer preußischen Provinz machte. Schlürmann erklärt, wie – aus heutiger Sicht – unsensibel und ungerecht die deutsche Obrigkeit versuchte, das dänische Element in Schleswig zu unterdrücken.
Man lernte nichts aus den Erfahrungen nach 1850, als nach der Niederlage der schleswig-holsteinischen Unabhängigkeitsbewegung die dänische Herrschaft die deutschen Schleswiger zu drangsalieren versuchte.
Chance 1918 von H. P. Hanssen genutzt
Es wird ausführlich berichtet, wie es die dänische Bewegung schaffte, über Jahrzehnte der Unterdrückung zu trotzen, und die Chance zu nutzen, die sich mit der Niederlage und dem Sturz des seit 1871 auch in Schleswig teilweise größenwahnsinnigen Kaiserreichs ergab. Schlürmann beschreibt, wie, angeführt vom Reichstagsabgeordneten und späteren dänischen Minister H. P. Hanssen, die dänische Seite nach anfänglichen Sondierungen über eine deutsch-dänische Lösung des alten schleswigschen Konflikts auch auf Druck der Siegermächte auf eine Grenzverschiebung im Rahmen der Versailler Friedenskonferenz setzte.
Deutsche Seite 1918 in Nordschleswig ohne Chance
Der Verfasser gibt Einblick in die ungünstige Position der deutschen Seite vor den in Versailles festgelegten Volksabstimmungen. Diese hatte keine Möglichkeit, auf die Abgrenzung der Abstimmungszone 1, dem heutigen Nordschleswig, einzuwirken, in der eine deutliche dänische Mehrheit so gut wie feststand. Im Buch hätte etwas deutlicher auf die verschiedenen Abstimmungsmodalitäten, „en bloc“, also mit Ergebniszählung in der gesamten Zone 1, und gemeindeweiser Auszählung in der südlicheren Zone 2, zu der auch Flensburg zählte, hingewiesen werden können. Neben der klaren dänischen Mehrheit in der Zone 1, die nach dem Votum am 10. Februar an Dänemark fiel, gab es bekanntlich in der zweiten Abstimmungzone überall, bis auf zwei Mini-Orte auf Föhr, keine dänischen Mehrheiten, weshalb es keine dänischen Exklaven südlich der im Juni 1920 festgelegten neuen Grenze gab.
Details der Abstimmung wichtig
Der Blick auf Details der damaligen Abstimmungsmodalitäten ist vor allem wichtig, um die Ablehnung der Grenzziehung durch die deutschen Nordschleswiger und weiter Kreise in Deutschland trotz des demokratischen Abstimmungsverfahrens unter Aufsicht einer internationalen Kommission zu verstehen. Schlürmann hat u. a. auch Darstellungen des nordschleswigschen Historikers Karl Alnor ausgewertet, die z. B. auf die relativ schwache Unterstützung bzw. auf relativ geringes Interesses in der Reichsregierung in Berlin hindeuteten.
Abstimmungsboykott durch deutsche Seite war 1920 aktuell
Im Buch kann man anhand von Abbildungen sehen, wie mit Plakaten ein emotionaler Wahlkampf geführt wurde. Es fehlen aber Hinweise auf weitere Umstände der „Propagandaschlacht“ in Nordschleswig, wo – wie Schlürmann berichtet – angesichts der Ausformung der Abstimmungszone sogar ein Boykott der Abstimmung auf der Tagesordnung war. Beim Rückblick darf nicht fehlen, dass, vermutlich mit Finanzmitteln aus Dänemark, Cornelius Petersen die „Tondernsche Zeitung“ aufkaufen konnte und sie für die dänische Seite einspannte.
Verbitterte deutsche Nordschleswiger
Für Verbitterung in den deutschen Hochburgen Tondern und Hoyer sorgte ohnehin, dass die Abstimmungszone auch mitten durch den historisch gewachsenen Kreis Tondern verlief. Bei aller Freude über die nach 1945 mühsam erreichte deutsch-dänische Entspannung im Grenzland mit vielen Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und Freundschaft über die Grenze hinweg wird auch an die „Munition“ im Rahmen der u. a. von den Nazis in Schleswig-Holstein und Nordschleswig verwendeten Forderungen nach Grenzrevision erinnert werden.
Dazu zählte auch das Argument, dass eine Berücksichtigung des deutsch-dänischen Konfliktes im Friedensvertrag von Versailles gar nicht zulässig gewesen sei, weil das neutrale Dänemark gar kein Kriegsgegner Deutschlands gewesen war. Es gibt im Buch einige Ungenauigkeiten. So ist der dänische Politiker und Journalist Jens Jessen, der „Flensborg Avis“ zum wichtigsten dänischen Organ gemacht hatte, kein gebürtiger Flensburger, sondern stammte aus Toghale bei Mögeltondern, Teil der einstigen dänischen Enklaven im Herzogtum Schleswig. Der Name des Reichstagsabgeordneten und Förderers des Knivsbergdenkmals, Michael Jebsen, wird natürlich mit einem „b“ geschrieben.
Etwas mehr Raum verdient hätte das innerdänische Drama im Frühjahr 1920, als nationalistische Kreise unter Einspannung König Christian X. versuchten, die von H. P. Hanssen durchgesetzte Linie, sich bei der Neufestsetzung der Grenze nicht durch Einverleibung zu großer „deutscher“ Teile Schleswigs zu verheben, mithilfe von Unterstützern im Lager der Siegermächte zu kippen. Die heutige Grenze des Friedens war eben nicht nur für die deutsche Seite inakzeptabel, sondern auch bei gewichtigen Kreisen in Dänemark. Vor diesem Hintergrund ist es auch wichtig, dass Schlürmann an die Spannungen nach 1945 – und deren Abbau bis in die Gegenwart erinnert. Mit dem Ende der Forderung nach Grenzrevision durch die deutsche Minderheit schon 1945 – und viele Jahre später auch durch die dänische Minderheit.