Grenzlandgeschichte

Heimat – was ist das eigentlich? Ein Verein führt es vor

Heimat – was ist das eigentlich? Ein Verein führt es vor

Heimat – was ist das eigentlich? Ein Verein führt es vor

Iller
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So war das Leben in der Ziegelei Cathrinesminde: der Vorsitzende Carsten Hauerberg am Ziegelbrett. Foto: Sara Eskildsen

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Das Leben der Menschen damals am Ziegeleiwerk: Das Lokaltheater von „Cathrinesminde Venner“ macht Geschichte lebendig. Warum die Aufführungen therapeutische Wirkung haben und Gäste aus Deutschland herzlich willkommen sind, verrät der Vorsitzende.

Bis 1968 war das Ziegeleiwerk Cathrinesminde in Betrieb. Anfang der 1980er Jahre begann eine Laienschauspielgruppe, die alte Ziegelei als Kulisse für ein Lokaltheater zu nutzen, um die Geschichte(n) von einst zu erzählen. Diese Tradition ist auch 2022 lebendig – und die Arbeit an der diesjährigen Vorführung hat begonnen.

Der Vorsitzende Carsten Hauerberg trifft sich an diesem Mittwochvormittag mit Vereins-Sekretärin Janet Preuss im Veranstaltungsraum des Ziegeleiwerkes, um über das bevorstehende Theaterstück zu sprechen.

Lokaltheater – was ist das eigentlich?

Eine Vorführung im Freien direkt auf dem Gelände der Ziegelei sei eine hervorragende Form, die Geschichte zu erzählen, sagt der Vorsitzende, Carsten Hauerberg, der seit 2012 im Verein aktiv ist. „Ich bin dazugekommen, als ich pensioniert wurde“, verrät er.

Der Pensionist organisiert zusammen mit anderen Mitgliedern die komplette Planung des Theaterstücks. Welcher Roman dient als Vorlage, wer schreibt das Manuskript, wer führt Regie, und wie werden die Aufführungen durchgeführt? Die Arbeit an einer Freiluftvorstellung ist umfassend.

„Das Spannende an diesem Ort ist ja, dass das Museum entstanden ist, weil es eine Schauspielgruppe gab, die Stücke mit Bezug auf die lokale Geschichte aufgeführt hat. Damals stand hier eine Ruine – und nach und nach entstand das Museum. Der runde Ringofen aus der Ziegelei ist erhalten geblieben.“

Planen die nächste Aufführung: Janet Preuss und Carsten Hauerberg im Ziegeleimuseum. Foto: Sara Eskildsen

Wenn man mit der Geschichte einer Gegend vertraut wird, fühlt es sich mehr wie Heimat an. Man fühlt sich mehr zu Hause, wenn man etwas von der Geschichte kennt.

Janet Preuss, Vereinsmitglied

Eines der ersten Lokaltheater-Stücke hieß „Steine für Brot“ – in Anlehnung an den Alltag der damaligen Ziegeleiarbeiter. „Viele Menschen vor Ort waren selbst Arbeiter hier oder hatten Familie oder Bekannte, die im Ziegelwerk gearbeitet haben. Die Geschichte des Werkes ist eng mit dem Leben der Menschen hier verwoben.“

Mit dem Museum ist die Geschichte der Ziegelei konserviert worden – das Freiluftschauspiel erzählt sie lebendig nach.

Aus Ostdeutschland nach Ekensund

Janet Preuss ist seit November vergangenen Jahres aktives Mitglied im Verein „Cathrinesmindes Venner“. Die 48-Jährige kommt ursprünglich aus Ostdeutschland und lebt seit 2008 in der Gegend, arbeitet vor Ort und wohnt in Ekensund (Egernsund).

„Ich hatte immer ein Interesse für Geschichte, auch aufgrund meiner eigenen Vergangenheit. Ich finde es sehr spannend, Geschichte mit einem Schauspiel zu erzählen. Wenn man mit der Geschichte einer Gegend vertraut wird, fühlt es sich mehr wie Heimat an. Man fühlt sich mehr zu Hause, wenn man etwas von der Geschichte kennt.“

Janet Preuss hat in Nordschleswig eine neue Heimat gefunden. Foto: Sara Eskildsen

Das Buch „Enkeland“, das als Vorlage für das diesjährige Theaterstück dient, habe sie geradezu verschlungen. Ihr Mann arbeitet seit Längerem im Museum vor Ort mit. Nun will auch sie aktiv dazu beitragen, die Vergangenheit vor Ort zu vermitteln.

In 2022 erzählt der Roman „Enkeland“ die Geschichte der Gegend. „Für mich ist die Geschichte über den Ersten Weltkrieg unendlich spannend. Als ich das Buch gelesen habe, sah ich die Gegend hier, wie sie damals war. Es war unglaublich interessant“, sagt Janet Preuss. „Als ob man selbst dabei war – eine faszinierende Geschichte.“

Der Vorsitzende mit einem Holzrahmen, mit dem die eleganten schmalen Flensburger Ziegelsteine geschaffen wurden. Foto: Sara Eskildsen
Hier am Rande der Ziegelei wird das Lokaltheater im Juni 2022 aufgeführt. Foto: Sara Eskildsen

„Die Geschichte in der Romanvorlage ist Fiktion, aber die historischen Kernpunkte sind objektiv richtig, haben stattgefunden, wenn auch nicht genau zu diesem Zeitpunkt“, erläutert der Vorsitzende.

„Nehmen wir zum Beispiel die Geschichte, dass die Behörden einer Frau die Kinder weggenommen haben, weil sie angeblich nicht für die sorgen konnte. Das machte man aber eher nicht zwischen 1914 und 1918, sondern um 1898. In der sogenannten Köhler-Zeit, als man dem Dänischen gegenüber eher feindlich eingestellt war und man das Entfernen von Kindern als Mittel einsetzen konnte, um zu drohen, wenn zu viel politische Aktivität stattfand. Auf diese Weise stellen wir dar, was die Menschen damals erlebt und gefühlt haben. Wie ihr Alltag war.“

Mitwirkende für die Aufführungen gesucht

Die Handlung in „Enkeland“ beginnt Anfang des 19. Jahrhunderts mit einer Hochzeit und erzählt die Geschichte der Witwe im Ersten Weltkrieg.

Der Verein freut sich über weitere Mitwirkende, sagt Janet Preuss. „Gerade männliche Darsteller ab 16, aber auch Kinderrollen sind noch zu besetzen. Insgesamt freuen wir uns über weitere Interessierte, die mitmachen wollen. Man braucht auch keine Erfahrungen als Schauspieler oder so – wir informieren gerne über alles Weitere“, sagt sie. Auch Mitwirkende für die Arbeit hinter den Kulissen sind sehr willkommen, sagt Janet Preuss.

Carsten Hauerberg ist Vorsitzender von „Cathrinesmindes Venner“. Foto: Sara Eskildsen

Was bringt es, die Kriegsgeschichten von damals immer und immer wieder zu erzählen? Carsten Hauerberg ist überzeugt: Das hat eine therapeutische Wirkung.

„Unser aktuelles Stück zeigt beispielsweise, wie nah sich die Menschen standen, unabhängig von ihrer nationalen Gesinnung. Für alle galten dieselben Regeln. Beispielsweise mussten die Männer in den Ersten Weltkrieg ziehen. Und ob man dänisch oder deutsch gesinnt war. Die wenigsten Männer wollten in einen Krieg ziehen, der weit weg vom eigenen Zuhause ausgetragen wurde!“

Viele kamen als Saison-Arbeiter aus Deutschland ins Ziegeleiwerk, auch das hat die Menschen und die Gegend hier geprägt. Neue Menschen kamen hierher – und einige sind geblieben. Haben ihre Heimat neu gefunden.

Carsten Hauerberg, Vorsitzender

Das Theaterstück trage dazu bei, dass Mitwirkende und Zuschauer sich fortwährend mit der Geschichte beschäftigen – auch der unschönen Geschichten des Ersten Weltkrieges. „Es war so tragisch, was im Ersten Weltkrieg geschehen ist. Unfassbar viele Menschen sind damals gestorben, und es hat so lange gedauert, bis man zur Besinnung gekommen ist und festgestellt hat, dass es so nicht weitergeht.“

Die Vorführungen im Ziegeleimuseum seien eine gute Art, die Vergangenheit zu verarbeiten – und daran zu erinnern, welche Wege nicht zum Frieden führen.

„Du kamst als fremder Vogel und verließt deine Schaar“

Die Gegend ist voller Erzählungen menschlicher Schicksale, weiß Carsten Hauerberg. „Im Ersten Weltkrieg kamen ja viele Polen und Russen als Zwangsarbeiter in die Gegend. Auf dem Friedhof in Broacker habe ich meinen Schülern immer wieder einen Grabstein gezeigt, der an einen Polen erinnert, der nach dem Zweiten Weltkrieg im Haus einer Witwe weiterlebte. Darauf stand: ,Du kamst als fremder Vogel und verließt deine Schaar’. Viele kamen als Saison-Arbeiter aus Deutschland ins Ziegeleiwerk, auch das hat die Menschen und die Gegend hier geprägt. Neue Menschen kamen hierher – und einige sind geblieben. Haben ihre Heimat neu gefunden.“

Blick auf die alte Ziegelei, die heute als Museum vom Alltag der Ziegeleimitarbeiter und deren Familien erzählt. Foto: Sara Eskildsen

Was bedeutet Heimat für sie persönlich? „Ich bin ja ein Zuzügler“, lacht Carsten Hauerberg. Er kam 1974 in den Landesteil – als er eine Anstellung an der Sonderburger Sporthochschule erhielt.

„Und dann verwurzelt man sich. Nicht zuletzt über die Vereinsarbeit, wo ich in verschiedenen Vereinen und Bereichen aktiv war. Vereinsarbeit trägt bestimmt dazu bei, sich zu verwurzeln. Man findet neue Bekanntschaften und lernt Neues kennen“, so der 75-Jährige.

„Ich fühle mich hier mittlerweile zu Hause“

„Ich fühle mich hier mittlerweile zu Hause. Vor allem, weil die Menschen sind, wie sie sind. Sie sind offen, nehmen auch Fremde in ihren Reihen auf. Ich habe eigentlich nur gute Erfahrungen gemacht“, sagt Janet Preuss.

Derzeit hat „Cathrinesmindes Venner“ 344 Mitglieder. Sie alle setzen sich dafür ein, dass die Lokalgeschichte lebendig wiedergegeben wird. Heimatgefühle inklusive.

Der Verein „Cathrinesmindes Venner“

  • „Cathrinesmindes Venner“ führen traditionell jedes zweite Jahr ein Stück auf. Die bislang letzte Vorführung fand 2018 statt. 2020 sollte mit Blick auf das Gedenk-Jahr zur Grenzziehung keine Vorführung stattfinden.
  • Nun soll das Stück „Enkeland“, Witwenland, im Juni 2022 aufgeführt werden. Die Premiere ist für den 15. Juni 2022 geplant, Regie führt Kristian Hald. Die ersten Treffen und Proben werden in der Broacker Schule durchgeführt, bevor die Vorführungen dann vor Ort auf dem Ziegeleimuseum inszeniert werden. Pro Vorstellung können 300 Zuschauer dabei sein.
  • Gäste aus Deutschland sind herzlich willkommen.
  • Rund 30 Personen haben sich bereits gemeldet, um an den insgesamt fünf Vorführungen mitzuwirken.
  • Wer Näheres wissen will, kann sich an Regisseur Kristian Hald wenden unter der E-Mail kristian@haldjensen.dk oder der Telefonnummer 2398 4309. Weitere Informationen hier.
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Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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