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„Man muss wahnsinnig viele Emotionen und Facetten zeigen“

„Man muss wahnsinnig viele Emotionen und Facetten zeigen“

„Man muss wahnsinnig viele Emotionen und Facetten zeigen“

Knivsberg /Knivsbjerg  
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Die Regiearbeit von Hannah Dobiaschowski ist für Hauptdarsteller Helmuth Petersen der Dreh- und Angelpunkt, um zu neuen schauspielerischen Höchstleistungen auflaufen zu können. Foto: Karin Riggelsen

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Demenz authentisch auf die Bühne bringen – wie geht das? Regisseurin Hannah Dobiaschowski setzt auf den schauspielerischen Facettenreichtum ihres Hauptdarstellers bei einem Thema, das manche abschreckt.

„Wie lange willst du die Leute eigentlich noch so verarschen?“, fragt ein Mann, der eigentlich Andrés Schwiegersohn Pierre ist, den er jedoch nicht erkennt. – André alias Helmuth Petersen fragt verwundert zurück: „Ich?“ – Mann: „Ich möchte wissen, welche Absichten du verfolgst!“ – „Aber wovon sprichst du?“, fragt André verzweifelt. Der Mann verpasst André einen Klaps, der daraufhin erschrickt und ruft: „Was tust du da? Das erlaube ich dir nicht. Hör auf!“, sagt er drohend und flehend zugleich.

Hannah Dobiaschowski läuft vor der Bühne hin und her. Mal steht sie ganz hinten im Raum, dann nimmt sie wieder am Regietisch Platz, der mittig vor der Bühne steht, im nächsten Augenblick läuft sie auf die Bühne.

„Versuch, das noch stärker zum Ausdruck zu bringen. Du sollst nicht nur pure Angst, sondern auch Wut und Trotz zeigen“, sagt sie zu ihrem Protagonisten. Der nimmt die Anregung dankbar auf und nimmt wieder Anlauf.

Ich möchte wissen, welche Absichten du verfolgst!

Helmuth Petersen alias André, Hauptdarsteller

Es ist Mittwochabend, für die Theatergruppe der deutschen Minderheit „TheaterDrang“ ist es der reguläre Probenzeitpunkt. Im Michael-Jepsen-Haus auf dem Knivsberg, dem kulturellen Treffpunkt der deutschen Minderheit in Nordschleswig, wird intensiv und konzentriert gearbeitet, darüber kann auch der Tisch mit Bier und Chips vor der Bühne nicht hinwegtäuschen.

Inzwischen geht es auf 20 Uhr zu. Seit einer Stunde stehen Helmuth Petersen, Marion Petersen, Felix Neubert und Jan Wachtberg Schmidt auf der Bühne. Damit ist das Ensemble an diesem Abend nicht ganz vollzählig, Lisa Thietje und Silke Baudendiestel mussten absagen.

Bei Felix Neubert hängt zwischendurch der Text, Anne Steinfurth hilft ihm auf die Sprünge. Sie ist nicht nur Souffleuse, sondern auch Regieassistentin und für das Bühnenbild zuständig.

Bis um 20.30 Uhr wird intensiv geprobt, und das mit hoher Geschwindigkeit. Alle sind konzentriert dabei und versuchen, der Ernsthaftigkeit des Themas gerecht zu werden.

Das Stück

„Vater“ von Florian Zeller.

Die Laiengruppe „TheaterDrang“ probt seit August 2022 jeden Mittwoch auf dem Knivsberg.

Das Stück wird am Freitag, 3., und am Sonnabend, 4. März 2023, jeweils ab 19 Uhr auf dem Knivsberg aufgeführt.

Karten an der Abendkasse, Erwachsene 75 Kronen/10 Euro. Schülerinnen und Schüler sowie Studierende und Auszubildende: freier Eintritt.

Weitere Informationen auf der Facebook-Seite von „TheaterDrang“

Facettenreichtum gefragt

Für Hauptdarsteller Helmuth Petersen geht mit dem Stück der Wunsch in Erfüllung, einmal eine Charakterrolle mit Tiefgang spielen zu dürfen, die zudem seinem Alter entspricht, wie er im ersten Teil über die aktuelle Arbeit der Theatergruppe „TheaterDrang“ verrät.

Seine schauspielerische Leistung legt den Zuschauerinnen und Zuschauern schonungslos offen, was es bedeutet, wenn ein Mensch gegen Ende seines Lebens an Demenz erkrankt. Für Regisseurin Hannah Dobiaschowski sind es denn auch gerade die vielen Nuancen des Stückes, die die besondere Herausforderung ausmachen.

 „Wie facettenreich muss man eigentlich spielen, um einen Mann mit so einer Krankheit darzustellen? Wir sind gerade an einem Punkt, wo es geklickt hat. Man muss nämlich wahnsinnig viele Emotionen und Facetten zeigen in relativ kurzen Intervallen, und das ist schwierig“, sagt Hannah Dobiaschowski, die seit August vergangenen Jahres gemeinsam mit ihrem Team dabei ist, sich mit dem Stück auseinanderzusetzen.

Regisseurin Hannah Dobiaschowski

Nach dem Abitur in Kassel studiert Hannah Dobiaschowski von 2002 bis 2007 Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Hospitanzen am Staatstheater Braunschweig in den Sparten Schauspiel und Kinder- und Jugendtheater, Regieassistenz am Staatstheater Kassel und Dramaturgin am Brandenburgischen Staatstheater Cottbus.

2008 geht sie ans Theaterpädagogische Zentrum Hildesheim und leitet zwei Jahre lang ein Theaterprojekt für Langzeitarbeitslose.

Seit 2010 lebt Dobiaschowski in Nordschleswig. Zunächst leitet sie kleine Projekte als Theaterpädagogin bei „Blaustich“, der mobilen Kunstwerkstatt des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN). Von 2013 bis 2020 war sie pädagogische Helferin in den Deutschen Kindergärten Apenrade, seitdem ist sie Projektmitarbeiterin beim „Nordschleswiger“.

2015 gründet sie die Amateur-Theatergruppe „TheaterDrang“, mit der sie bisher vier Stücke inszeniert hat, außerdem ist sie Regisseurin beim Kabarett „Heimatmuseum“.

Erstmals ganz dicht am Original

Für die passionierte Theaterregisseurin ist es nach eigenen Worten das erste Mal, dass sie ein Stück auf die Bühne bringt, bei dem sie zu 99 Prozent am Original bleibt.

„Normalerweise gehe ich wie eine Wilde mit dem Rotstift durch ein Textbuch und kürze alles, was nicht relevant ist, weil ich es wichtig finde, dass gerade im Laientheater Sachen auf den Punkt gespielt werden und nicht zu lange dauern. Aber bei diesem Stück ist es unmöglich. Da gibt es nichts, was gekürzt werden könnte, es ist so aufgebaut, dass alles wichtig ist“, so Dobiaschowski.

Wir sind gerade an einem Punkt, wo es geklickt hat.

Hannah Dobiaschowski, Regisseurin

Für den Hauptdarsteller heißt das vor allem, sich intensiv mit dem Text auseinanderzusetzen und ihn so gut auswendig zu lernen, dass er wie im Effeff sitzt. Für Helmuth Petersen ist genau das das Besondere an dieser Rolle: Er schlüpft in seinen Charakter André hinein.

Suche nach einer altersgerechten Rolle

Ihr Hauptdarsteller habe sich immer eine Rolle gewünscht, die seinem Alter entspricht. Bei „TheaterDrang“ musste er bisher sehr flexibel spielen und auch junge Rollen übernehmen. Daraufhin hat sich Dobiaschowski auf die Suche nach einem entsprechenden Stück gemacht. Herausgekommen ist „Vater“ von Florian Zeller. In ihm geht es um einen alten dementen Mann, und auch die übrigen Rollen könnten gut mit den Laiendarstellern aus der Gruppe besetzt werden, beschreibt Hannah Dobiaschowski ihre aktuelle Arbeit.

Forderndes Thema „Demenz“

Dabei sei es für die gesamte Gruppe „TheaterDrang“ eine Herausforderung, mit dem Stück „Vater“ an die Öffentlichkeit zu gehen. Demenz sei wahrscheinlich ein Thema, dass Menschen berühre, über das aber lange nicht jede Person nachdenken möge, meint sie. Zudem wolle die Gruppe zeigen, dass Angehörige von Dementen damit nicht alleinstehen, sondern sich unbedingt professionelle Hilfe holen sollten.

Dass die Thematik vielschichtig ist und bei diesem Stück vor allem das Emotionale im Vordergrund steht, ist sowohl für das Ensemble als auch für die Regisseurin neu, weil sie bisher hauptsächlich Komödien gespielt haben. Es habe eine Zeit lang gedauert, bis sich die Schauspielerinnen und Schauspieler an ihre einzelnen Charaktere angenähert haben, so Dobiaschowski.

André ist im Alter von 80 Jahren an Demenz erkrankt. Die Krankheit fordert seinen Schwiegersohn heraus. Foto: Karin Riggelsen

Regieanleitung ein Geschenk

Für Helmuth Petersen ist es „ein Geschenk“, von Hannah Dobiaschowski angeleitet zu werden. „Ich brauche diese Interaktion, die mir Hannah gibt. Das ist das Wichtige, um diese Figur lebendig machen zu können in allen möglichen Gefühlsbereichen. Weil es nicht nur ein einziger Charakter ist; er ist zugleich der Böse, der Kindische, der Verzweifelte und der Spielende“, ergänzt er.

Der Text von Florian Zeller lässt ausreichend Interpretationsspielraum. Deshalb hätten sie in der Gruppe vor allem in der ersten Probenphase viel miteinander geredet, um herauszufinden, wer diese Menschen sind und wie sie gesehen werden.

Man muss lernen, alles, was einem auffällt, sofort zu registrieren, es zu sagen und dann verändern.

Hannah Dobiaschowski, Regisseurin

„Du hast mal gesagt, dass du dich schauspielerisch weiterentwickelt hast, seitdem du mit einer Regie spielst. Und ich glaube, das war auch ein bisschen der Wunsch, das noch weiterhin zu tun“, sagt Hannah Dobiaschoswki zu ihrem Hauptdarsteller.

Und der bestätigt, dass bei den Kabarettauftritten in den vergangenen drei Jahrzehnten immer alle auf der Bühne standen, wodurch eine intensive Regiearbeit wie jetzt durch Hannah Dobiaschowski nicht stattfinden konnte. Seitdem sie in sein Theaterleben getreten ist, gibt es nicht nur jemanden, der sagt, was nicht gut ist, sondern vor allem eine Person, die ihm Impulse gibt. Und die ihn führt.

Regiearbeit das A und O

„Gefühle und Innenleben aufgreifen und nach außen transportieren kannst du erst, wenn du das Gefühl hast, diese Person zu sein. Vorher geht das überhaupt nicht. Wenn ich mich nicht in die Rolle eines Dementen versetzen kann, kann ich auch nicht vermitteln, welche Wellentäler er durchläuft“, sagt er.

Hannah Dobiaschowski sei deshalb das A und O bei dieser Arbeit. Sie habe dafür gesorgt, dass er seine Zweifel beiseitelegen konnte. „Wenn Hannah sagt, es ist gut, dann ist es gut. Früher wusste ich nie, ob es gut war. Ich konnte nur sehen, ob das Publikum es mochte oder nicht“, so Petersen. Dabei habe sie nie versucht, ihn umzukrempeln. Stattdessen habe sie sich bemüht, das Optimale aus ihm herauszukriegen. „Sie hat sich nicht zufriedengegeben mit dem Zweitbesten. Das ist ihr Verdienst“, sagt Petersen.

Schnelles Reaktionsvermögen gefordert

Für Hannah Dobiaschowski zeichnet sich gute Regiearbeit vor allem in einer guten Vorbereitung aus. „Ich muss einfach gut beobachten und sehr schnell reagieren können auf das, was man auf der Bühne sieht. Man muss lernen, alles, was einem auffällt, sofort zu registrieren, es zu sagen und dann verändern. Das passiert innerhalb von Sekunden. Das fand ich am Anfang schwierig, aber mit der Zeit lernt man das.“

Wenn Hannah sagt, es ist gut, dann ist es gut.

Helmuth Petersen, Hauptdarsteller

Deswegen sei es ihr wichtig, schon vorab Bilder im Kopf zu haben, während sie das Stück liest oder sich auf die nächste Probe vorbereitet. Nur so könne sie in einer Probensituation auf Knopfdruck neue Ideen haben. Bei dem aktuellen Stück „Vater“ gehe es zudem vor allem darum, wie sich jemand in einer bestimmten Szene fühlt und warum die Person sich so fühlt, welcher Herausforderung die Figur in jenem Moment gegenübersteht.

Und genau das hat Hauptdarsteller Helmuth Petersen eine größere Sicherheit gegeben. Außerdem habe er so aufgezeigt bekommen, welche Verbesserungsmöglichkeiten es für ihn auch mit 78 Jahren noch gebe. Weshalb er auch mit größerer Freude zu den Proben komme.

„Weil ich weiß, dass ich nicht rumwurschteln muss, sondern geleitet werde. Dadurch fühle ich mich ehrlicher in der Rolle. Und das kann man auch mit Authentizität bezeichnen. Hier bist du eine Rolle, ein Charakter, die Person, die André heißt, und die bist du von Anfang bis zum Ende, mit allen Höhen und Tiefen“, sagt Helmuth Petersen.

Helmuth Petersen und Hannah Dobiaschowski während der Proben auf dem Knivsberg Foto: Nils Baum

Es soll auch Spaß machen

Und was wird nach dem Stück übrig bleiben?

„Wenn es gut läuft, die Befriedigung, dass ich etwas gemacht habe, wovon ich immer geträumt habe. Einen Charakter darzustellen, der den Leuten hoffentlich auch etwas gegeben und die Augen geöffnet hat“, sagt Helmuth Petersen.

Für Regisseurin Hannah Dobiaschowski ist es die Arbeit an der inneren Haltung der Figuren. „Es ist ein dramatisches Stück mit Tiefgang. Und es gelingt mir, die Regiearbeit eher über die Emotionen aufzubauen, da hatte ich erst Respekt vor, weil ich bislang viel Komödie gemacht habe. Dass ich das schaffe, ist für mich eine große Befriedigung.“

Und dann ist da ja auch immer noch der Spaß bei den Proben. „Wir haben immer viele Kekse dabei“, lacht Hannah Dobiaschowski. „Und ein paar Bierchen“, ergänzt Helmuth Petersen mit einem Augenzwinkern.

Mehr in Teil 1: „Ich wollte unbedingt einmal eine Charakterrolle spielen“

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Kirsten Bachmann

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