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„Ich wollte unbedingt einmal eine Charakterrolle spielen“

„Ich wollte unbedingt einmal eine Charakterrolle spielen“

„Ich wollte unbedingt einmal eine Charakterrolle spielen“

Knivsberg /Knivsbjerg  
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Helmuth Petersen spielt im Stück „Vater“ den 80-jährigen André, der an Demenz erkrankt ist. Foto: Karin Riggelsen

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Demenz schonungslos zeigen: Für Darsteller Helmuth Petersen ist das die größte schauspielerische Herausforderung seiner Karriere. Im März hat das Theaterstück „Vater“ auf dem Knivsberg Premiere.

„Ich weiß, dass sie etwas im Schilde führt. Ich habe sie im Verdacht, dass sie mich in so ein Haus stecken will. Ich habe Anhaltspunkte. Aber damit das ein für alle Mal klar ist: Ich werde diese Wohnung nicht verlassen“, ruft Helmuth Petersen alias André erbost und verzweifelt zugleich.

Er steht auf einer Bühne, die bislang nur provisorisch möbliert ist. Hinter ihm sollen ein Tisch und vier Stühle das Esszimmer symbolisieren, in dem er sich mit seinem Schwiegersohn Pierre streitet. Andrés weit geöffnete Augen signalisieren ein großes Fragezeichen. Als ob er gar nicht genau weiß, mit wem er gerade spricht. Er hebt seine rechte Hand und spitzt den Zeigefinger in Richtung seines Schwiegersohnes, der ihn mit den Worten belehrt: „Das ist nicht deine Wohnung, André!“

Ich weiß, dass sie etwas im Schilde führt.

Helmuth Petersen alias André, Hauptdarsteller

Vom Bühnenrand folgt Regisseurin Hannah Dobiaschowski mit konzentriertem Blick jedem Schritt ihres Protagonisten. Der irrt mit seinen gespielten 80 Jahren in einer angedeuteten Wohnung umher und unterstreicht seine Verwirrung unter Zuhilfenahme seiner Arme, mit denen er immer wieder herumfuchtelt. Ab und an zuckt sein ganzer Körper zusammen, vor Schreck fast erstarrt sinkt er dann langsam auf dem Sofa nieder. Oder er geht zur Gegenwehr über und beklagt sich mit jammernder Stimme über die vermeintlichen Lügengeschichten, die ihm seiner Auffassung nach serviert werden.

„An dieser Stelle musst du richtig abfällig werden. So richtig ausspucken“, greift Hannah Dobiaschowski ein. André setzt erneut an. „Nein, ich weiß nicht, was sie gegen mich im Schilde führt. Aber ich weiß, dass sie etwas im Schilde führt!“

Das Stück

„Vater“ von Florian Zeller.

Die Laiengruppe „TheaterDrang“ probt seit August 2022 jeden Mittwoch auf dem Knivsberg.

Das Stück wird am Freitag, 3., und am Sonnabend, 4. März 2023, jeweils ab 19 Uhr auf dem Knivsberg aufgeführt.

Karten an der Abendkasse, Erwachsene 75 Kronen/10 Euro. Schülerinnen und Schüler sowie Studierende und Auszubildende: freier Eintritt.

Weitere Informationen auf der Facebook-Seite von „TheaterDrang“

Traum geht in Erfüllung

Auf der Theaterbühne des Michael-Jebsen-Hauses auf dem Knivsberg, dem kulturellen Treffpunkt der deutschen Minderheit in Nordschleswig, steht ein unbeholfener, kleiner Mann voller Misstrauen und auf der Suche nach seiner eigenen Erinnerung. Seine Augen blicken in das Scheinwerferlicht über der Theaterbühne, auf der sich Helmuth Petersen alias André einen lang gehegten Traum erfüllt: Nach 30 Jahren Amateurtheater und Kabarett schlüpft er jetzt zum ersten Mal in eine Charakterrolle.

Die Rolle eines 80-Jährigen entspricht in etwa seinem eigenen Alter und gibt ihm somit die große Befriedigung, authentisch auftreten zu können.

Theater seit der Kindheit

Helmuth Petersen ist im wirklichen Leben 78 Jahre alt und ein bekanntes Gesicht in der deutschen Minderheit in Nordschleswig. Seit 1992 schlüpft er jedes zweite Jahr als Kabarettist in die unterschiedlichsten Rollen. Trotz aller Vielfalt ist es vor allem seine Verkörperung der nordschleswigschen Figur „Fidde“, mit der er sich zusammen mit dem weiblichen Pendant namens „Midde“ und deren Synnejysk-Dialekt in den vergangenen drei Jahrzehnten in die Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer gespielt hat.

Hauptdarsteller Helmuth Petersen

Helmuth Petersen wird 1945 in Apenrade geboren und wächst auch dort auf.

Erste Theatererfahrungen sammelt er bereits als Schüler. 1964 Abitur, danach Militär in Dänemark und Studium in Flensburg.

1968 Lehrer für Dänisch und Sport als Hauptfächer an der Deutschen Privatschule Apenrade. Während seiner Tätigkeit als Lehrer in Apenrade hat er in der Laienspielgruppe „Heimatbühne“ mitgewirkt. 1984 übernimmt er die Leitung der Theatergruppe am Deutschen Gymnasium.

1989 Wechsel an die Deutsche Schule Sonderburg, dort ist er bis 2008 als Schulleiter tätig.

Seit 1992 spielt er Kabarett und verkörpert mit „Fidde“ seine populärste Figur. Seit 2015 ist er zudem Mitglied bei „TheaterDrang“.

Doch so unterhaltsam das Kabarett auch sein mag, aus Sicht von Petersen bleibt es auch in gewisser Weise oberflächlich. So müssten im Laufe eines Abends sechs, sieben verschiedene Charaktere verkörpert und es müsse von einer Rolle in eine andere geschlüpft werden, verrät er seine Sichtweise dem „Nordschleswiger“. Als er 2015 davon erfährt, dass sich in Nordschleswig mit „TheaterDrang“ eine neue Schauspielgruppe gegründet hat, sieht er eine Chance, von den bisherigen Kabarettrollen wegzukommen.

Statt Clown und Prokurist jetzt eine Charakterrolle

Endlich hat er die Möglichkeit, nicht mehr vom Clown zum Prokuristen oder vom Engel zum Teufel hin und her zu springen, sondern nur eine einzige Person zu verkörpern, von Anfang bis Ende. Mit anderen Worten: eine Rolle mit einem Charakter zu spielen, der sich immer weiterentwickelt.

Man beginnt zu verstehen, was Demenz eigentlich bedeutet. Das Stück ist unfassbar gut gemacht, die Szenen sind sehr berührend.

Hannah Dobiaschowski, Regisseurin

Noch im Gründungsjahr von „TheaterDrang“ stößt er zu der Gruppe hinzu, im Frühjahr 2016 stehen die Laienschauspieler dann erstmals mit dem Stück „Bandscheibenvorfall“ auf der Bühne, im Herbst desselben Jahres folgt bereits „A Christmas Carol“, und im Frühjahr 2018 „Krimi-Dinner“. Das zur 100-Jahr Feier der Grenzziehung von 1920 geplante Stück „Jyskland“ fällt Corona zum Opfer.

Neues Theaterstück „Vater“ hat im März Premiere

Für den 3. März dieses Jahres ist nun die Premiere des neuen Stücks „Vater“ geplant.

Darin geht es um einen Mann, André, der dement geworden ist. Er lebt zusammen mit seiner Tochter Anne und seinem Schwiegersohn Pierre. Oder eben auch nicht. Und genau hierin liegt die Tragik des Themas.

„Vater“ ist aus der Sicht des Dementen geschrieben, weshalb es auch keine Zeitkontinuität gibt. Aufgrund seiner Krankheit kann André seine Umwelt nicht mehr so wahrnehmen wie gesunde Menschen. Vieles versteht er nicht, er vergisst Dinge, er erkennt seine Nächsten nicht wieder. Die Nahbarkeit, mit der Autor Florian Zeller die Ereignisse schildert, lässt einen glauben, dass er selbst Erfahrung mit Demenz im eigenen Umfeld gemacht hat.

„Man beginnt zu verstehen, was Demenz eigentlich bedeutet. Und das ist sowohl für den Menschen, der dement ist, als auch für das Umfeld sehr einschneidend. Das Stück ist unfassbar gut gemacht, die Szenen sind sehr berührend und sehr schrecklich, finde ich. Aber es erklärt Demenz wahnsinnig gut“, begründet Regisseurin Hannah Dobiaschowski ihre Begeisterung für das Stück.

André hat Schwierigkeiten, sich genau zu erinnern. Foto: Karin Riggelsen

Zum richtigen Umgang mit Demenz anregen

Andrés Demenz hat vor allem Auswirkungen auf seine Tochter Anne und ihren Mann Pierre. Sie müssen mit einer Person umgehen, von der sie nie wissen, in welcher Welt sie gerade lebt. Ist André böse, traurig oder gut aufgelegt? Dazu kommen noch Verwicklungen, Dinge, die er vergessen hat wie den Tod seiner zweiten Tochter.

„Von meiner Warte aus gesehen ist es ein Stück, das zum Nachdenken anregen möchte, wie man mit Demenz umgehen kann“, so Helmuth Petersen. Seiner Meinung nach könne das Thema durchaus auch Leute davon abhalten, sich die Aufführung anzusehen, „weil sie das Thema gar nicht sehen beziehungsweise damit in Berührung kommen wollen. Es sind zum Teil auch Leute, die das selbst in der Familie gehabt haben“, sagt er.

Verständnis für die Krankheit verankern

Für Helmuth Petersen ist das Ziel des Stücks deshalb zu zeigen, dass Demenz eine Krankheit ist, mit der Betroffene und ihr Umfeld lernen müssen, in irgendeiner Form umzugehen. Und dass es wichtig sei zu bedenken, dass eine demente Person ihre Nächsten nicht in Bedrängnis bringen will, sondern dass sie Pflege braucht und vor allem Verständnis. Und dass das sehr viel Kraft von denen erfordert, die sie umgeben, ergänzt er.

Von meiner Warte aus gesehen ist es ein Stück, das zum Nachdenken anregen möchte, wie man mit Demenz umgehen kann.

Helmuth Petersen, Hauptdarsteller

Als seine Regisseurin ihm „Vater“ schickte, war Helmuth Petersen gleich Feuer und Flamme, wie er es ausdrückt, und es bedurfte keiner weiteren Überzeugungsarbeit, um ihn für die Rolle zu gewinnen. Auf die Frage, was denn bei ihm den Wunsch verursacht habe, einmal etwas Größeres spielen zu wollen, eine Rolle, die ihn anders als alle bisherigen herausfordert, antwortet Petersen nach kurzer Überlegung: „Ich glaube einfach, mein Ego. Ich wollte einfach mal eine andere Herausforderung in Form einer Charakterrolle. Die Leute, die mich kennen oder auf der Bühne sehen, wollen immer lachen, wenn sie mich da oben sehen“, sagt er. Doch er wollte einmal zeigen, dass er auch noch etwas anderes spielen kann.

Für den Hauptdarsteller heißt das vor allem, sich intensiv mit dem Text auseinanderzusetzen und ihn so gut auswendig zu lernen, dass er wie im Effeff sitzt. Für Helmuth Petersen ist genau das das Besondere an dieser Rolle: Er schlüpfe in seinen Charakter André hinein, wie er sagt.

Helmuth Petersen und Hannah Dobiaschowski haben sich schon viel über ihr aktuelles Theaterstück „Vater“ ausgetauscht. Foto: Nils Baum

Figur und Hauptdarsteller verschmelzen

Seit er seinen Text gelesen hat, wacht er fast jede Nacht auf, und dann erscheint plötzlich eine Szene vor seinem inneren Auge. Das sind die Momente, in denen Helmuth Petersen das Gefühl hat, seinen Hauptdarsteller wirklich zu leben. Zwar sei es nicht so, dass Helmuth komplett verschwinden würde, aber immer wieder gebe es Momente, wo er André und nicht Helmuth ist.

Ich wollte einfach mal eine andere Herausforderung in Form einer Charakterrolle.

Helmuth Petersen, Hauptdarsteller

Und auch nach jeder Probe von „TheaterDrang“ dauert es eine Weile, ehe aus André wieder Helmuth Petersen wird. „Es dauert zwei Stunden, bevor ich einschlafe, weil es immer noch durchläuft, und weil ich immer noch dabei bin und immer noch spiele. Der André schlüpft ja in mich hinein. Ich sehe ihn nicht nur, er kommt auch zu mir und will was von mir“, so Petersen.

„Ich glaube, André will von mir, dass ich seine Situation mal klarstelle. Demente haben das Recht, erstens da zu sein, zweitens Pflege zu bekommen, drittens verstanden zu werden, und viertens von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden als kranke Menschen, die einen Pflegebedarf haben. Das, meine ich, möchte André durch mich auch zeigen“, sagt Petersen.

Mehr in Teil 2: „Man muss wahnsinnig viele Emotionen und Facetten zeigen“

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Kirsten Bachmann