Diese Woche in Kopenhagen

„Politische Inkontinenz in der Seniorenpolitik“

Politische Inkontinenz in der Seniorenpolitik

Politische Inkontinenz in der Seniorenpolitik

Kopenhagen
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Wir sollen uns auf einen Ruhestand mit Fürsorge und einer reichen Auswahl von Pflegeangeboten freuen dürfen. So ungefähr sieht die Vision der Regierung aus. Da wir jedoch eine so umfassende Initiative gar nicht in einem begreifen können, bekommen wir sie in mundgerechten Häppchen serviert. So zumindest die Beobachtung von Walter Turnowsky, der Wasserinstallationen als Gleichnis heranzieht.

Es tropft!

Nein, nicht der Wasserhahn bei mir zu Hause. Der tropft zwar manchmal auch, hat aber in dieser Kolumne nix zu suchen. Es soll hier auch nicht um den Dachschaden in der Deutschen Bücherei in Apenrade gehen. Sondern darum, dass es Vorschlägchen zur Seniorenpolitik tropft.

So etwas ist im modernen politischen Geschehen immer ein so sicheres Zeichen für eine umfassendere Regierungsinitiative, wie die Ankunft der Schwalben ein Frühlingszeichen ist. In diesem Fall bedarf es jedoch weder einer besonders ausgeprägten politisch-analytischen Nase noch der Gabe des Teesatzlesens, um das zu durchschauen. Die Chefin selbst hat das nämlich bereits vor Weihnachten angekündigt.

Die Ankündigung

Jene Chefin – treue Leserinnen und Leser der Kolumne werden wissen, dass die sozialdemokratische Staatsministerin Mette Frederiksen gemeint ist – wollte eigentlich in ihrer Neujahrsrede ausführlich darüber sprechen. Quasi: Lasset es tropfen.

Wie bereits zuvor erwähnt, wurde daraus nach der Kündigung der Königin nichts. Übrig blieb die Ankündigung einer Reform, die dir im fortgeschrittenen Alter ermöglichen soll, „in deutlich höherem Maß den eigenen Alltag und die Hilfe, die du empfängst, zu prägen. Und die Mitarbeitenden, die zu dir kommen, sollen bekannte Gesichter sein.“

Für den ersten Tropfen war dann die Königin der politischen Inszenierung höchstpersönlich zuständig. Die unterschiedlichen kommunalen und staatlichen Aufsichten mit den Seniorinnen- und Senioreneinrichtungen sollen durch eine kommunenübergreifende ersetzt werden, ließ Mette verlauten.

Schlagzeilen und Diskussionen

Es gibt selbstverständlich gute Gründe, weshalb die Tropferei im Vorfeld von – zumindest in eigener Optik – großen Reformvorhaben unter Regierungen jeglicher Couleur so beliebt geworden ist. Sie bedeutet nämlich, dass dann in allen Medien zu lesen ist: Schaut, ein Tropfen.

Danach werden die anderen Parteien gefragt, was sie von dem Tropfen halten, und sie werden sagen, er sei zu klein, unklar, deform außerdem brauche es viel mehr Tropfen – aber man sei bereit, darüber zu sprechen. Auch die zuständigen Verbände und Organisationen werden selbstverständlich befragt.

Und genauso lief es dann auch mit dem Aufsichtstropfen. Nachdem der dann ausführlich diskutiert worden war, war es Zeit für den nächsten. Den konnte dann eine andere Mette präsentieren, nämlich jene, die Kierkgaard mit Nachnamen heißt, Seniorenministerin ist und den Moderaten angehört. Schließlich soll auch der Koalitionspartner sich mal im Glanz eines Tropfens spiegeln dürfen.

Vom Baden, Putzen und Einkaufen

Und ihrer war sogar ein wenig größer: Seniorinnen und Senioren sollen selbst entscheiden, wann sie ein Bad möchten und ob der Putz um zwei Tage verschoben werden soll, weil man lieber einkaufen gehen möchte.

Hier mag mancher einwenden, dass die Mama oder der Opa ohnehin nicht mehr einkaufen geht, sondern die Waren beim Brugs in Jordkirch (Hjordkær) bestellt. Doch solche Einwürfe aus der Realität können eine schöne politische Tropfendebatte nicht wirklich stören.

Wobei natürlich sämtliche Politikerinnen und Politiker versichern, sie hätten gerade eben erst ein Pflegeheim besucht, und dort sei ihnen interessanterweise genau das aufgefallen, das ihren politischen Standpunkt unterstützt. Und so wird auch der Putz- und Badtropfen von allen Seiten begutachtet.

Die Reform-Badewanne

Moderaten-Mettes Chef, Lars Løkke Rasmussen, erzählte, dass er persönlich nicht sicher sei, dass er täglich ein Bad möchte. Da kann ich ihn allerdings beruhigen: Dem Risiko wäre er auch in den heutigen Pflegeheimen nicht ausgesetzt.

Der nächste Tropfen kam von der dritten Partei im Koalitionsbunde, Venstre: freie Wahl zwischen öffentlichen und privaten Anbietenden von Reha. Das durfte Wirtschaftsministerin Stephanie Lose sagen.

Und es tröpfelte weiter: Seniorinnen und Senioren sollen ohne große Bürokratie entscheiden können, ob sie einen Rollator benötigen.  Auch plant die Regierung eine neue Form von Pflegeheimen: Lokalpflegeheime, die so eine Art private Pflegeheime in öffentlicher Hand sein sollen.

Das wird dann noch eine Weile so weitergehen, bevor Mette, Mette und Stephanie (oder wer immer es werden wird) die gesamte Regierungsinitiative präsentieren werden. Die Frage ist, ob dann tatsächlich eine ganze Badewanne voll schöner warmer Reform zustande gekommen ist. Oder ob die Tropfen doch eher nur den Boden angefeuchtet haben.

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