Grenzland

Südschleswiger für den Vorsitz vorgeschlagen: Wir sollten den Namen Grænseforeningen wörtlich nehmen

„Wir sollten den Namen Grænseforeningen wörtlich nehmen“

„Wir sollten den Namen Grænseforeningen wörtlich nehmen“

Kopenhagen
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Nach dem 27. April wird Mirco Elster-Reimer voraussichtlich regelmäßig durch die Tür zum Sekretariat von Grænseforeningen gehen. Foto: Walter Turnowsky

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Der Vorstand des dänischen Grenzverbandes hat Mirco Reimer-Elster als neuen Vorsitzenden vorgeschlagen. Der in den Medien gefragte Analytiker deutscher und amerikanischer Verhältnisse will nicht nur enge Kontakte zur dänischen, sondern auch zur deutschen Minderheit knüpfen.

Wer in diesem Jahr den Sender „TV2“ einschaltet, der wird regelmäßig auf Mirco Reimer-Elster stoßen. Als US-Experte des Senders ist sein Wissen in einem Wahljahr besonders gefragt. Und auch, wenn es um Deutschland geht, erscheint sein Gesicht häufig auf dem Bildschirm. 

Ab Ende April hat er voraussichtlich eine weitere Wirkungsstätte: den Verband zur Unterstützung der dänischen Minderheit, Grænseforeningen. Am Dienstag hat er dem Sekretariat des Verbandes schon mal einen Besuch abgestattet, um dem „Nordschleswiger“ dort ein Interview zu geben.

Anfang Januar klingelte bei ihm das Telefon; am Apparat war die zweite Vorsitzende von Grænseforeningsen, Else Tornbo.

„Sie sagte: ‚Vielleicht weißt du es ja, wir brauchen einen neuen Vorsitzenden.‘ Das war mir bekannt, aber ich hatte nicht gedacht, dass sie mich fragen würde“, sagt Reimer-Elster.

Mirco Reimer-Elster

Mirco Reimer-Elster ist 37 Jahre alt und wohnt mit seiner Frau und vier Kindern in Kopenhagen.

Er ist Deutschland- und USA-Analytiker bei „TV2“ und ist Moderator der Programme „Genau“ über Deutschland und „Only in America“ bei „Radio4“.

Er hat einen Master (Kandidat) in Amerikastudien von der Syddansk Universitet und einen Ph.d. in Geschichte von der Europauniversität in Florenz.

Er hat den dänischen Kindergarten, die „Hiort Lorentzen Skolen“ in Schleswig sowie die Duborg-Schule in Flensburg besucht. Seine älteste Tochter besucht die Petri-Schule in Kopenhagen.

Jünger als frühere Vorsitzende

Der Kopenhagener Bischof Peter Skov-Jakobsen hat derzeit den Vorsitz, kandidiert aber bei der Generalversammlung (Sendemandsmøde) am 27. April nicht erneut. Daher musste eine neue Kandidatin oder ein neuer Kandidat her.

Im Sitzungsraum, in dem das Interview stattfindet, kann der neue Kandidat hoch oben auf die Porträts der bisherigen Vorsitzenden blicken. Mit Ausnahme von Mette Bock sind es alles Herren mit grauem Haupt, die ernst in die Kamera blicken.

„Ich habe gleich gesagt, dass es eine sehr mutige Wahl ist, sich für einen jungen Kandidaten zu entscheiden. Ich bin 37“, so Reimer-Elster.

Südschleswiger

Es gibt einen weiteren Grund, weshalb der Vorstand ihn als seinen Kandidaten sieht: Er ist selbst Südschleswiger, hat in Schleswig (Slesvig) den Kindergarten und die Schule der Minderheit besucht, an der dänischen Duborg-Schule in Flensburg (Flensborg) sein Abitur gemacht.

Ich könnte sagen, ich bin Deutscher, denn ich habe einen deutschen Pass. Ich könnte auch sagen, ich bin Däne, denn meine Denkweise ist mittlerweile sehr Dänisch. Ich könnte aber auch sagen, ich bin Schleswig-Holsteiner oder eben, ich bin Südschleswiger.

„Wir sind überzeugt, dass Mirco Reimer-Elster mit seiner Verankerung im Grenzland ein Bindeglied und Brückenbauer nach Südschleswig sein kann“, so die Vizevorsitzende Tornbo laut einer Pressemitteilung.

„Dadurch, dass ich selbst Südschleswiger bin, habe ich einen anderen Bezug zur dänischen Minderheit. Ich kenne sie und weiß – zumindest größtenteils – wie sie funktioniert“, sieht er auch selbst die Vorteile seiner Wurzeln.

Grænseforeningen

Nach der Grenzziehung 1920 sahen zentrale Akteure einen Bedarf, die unterschiedlichen Gruppierungen, die für die „Genforening“ gestritten hatten, zusammenzuschließen, um die dänisch gesinnten Menschen in Südschleswig zu unterstützen. Entscheidend war ein Brief des Chefredakteurs von „Flensborg Avis“, Ernst Christiansen, an H. P. Hanssen, in dem er schrieb, dass die Südschleswiger nun „Slesvigsk Forening“ gegründet hatten. Daher sollten sich alle Kräfte in Dänemark, die sich für die schleswigsche Frage interessierten, zusammenschließen.

Zunächst wurden jedoch zwei Verbände gegründet: Am 28. Oktober 1920 „Sønderjyske Foreningers Fællesråd“ und am 2. November 1920 Grænseforeningen. 

Im Frühjahr 1921 haben sich die beiden Verbände unter dem Namen „Grænseforeningen, Sønderjydske Foreningers Fællesraad“ vereint, und bis 1945 wurde dieser Name beibehalten.

Nach Hitlers Machtübernahme 1933 und den daraus folgenden Spannungen stieg die Mitgliederzahl auf 100.000, verteilt auf ungefähr 200 Lokalvereine. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm das Interesse in Dänemark an der Südschleswig-Frage weiter zu; Grænseforeningen hatte 1949 400 Mitgliedsvereine und 200.000 Mitglieder. 

Der Grenzverein hat Gelder für die südschleswigschen Vereine und Organisationen gesammelt. Er unterstützt auf vielfache Weise die Kontakte zwischen der dänischen Minderheit und Dänemark.

Seit Anfang des Jahrtausends sammelt er keine Mittel mehr, sondern konzentriert den Einsatz auf volksbildende Arbeit. 

Quelle: Grænseforeningen

Grænseforeningen soll näher an das Grenzland rücken

An diese Wurzeln möchte er auch anknüpfen, sollte er zum Vorsitzenden gewählt werden: „Persönlich meine ich, wir sollten den Namen Grænseforeningen wortwörtlich nehmen und sagen, okay, eine Grenze hat immer zwei Seiten.“

Und so würde er seine mögliche Rolle als Brückenbauer definieren – zwischen der einen und anderen Seite der Grenze.

„Die eine Seite ergibt sich von selbst, das ist Südschleswig. Das ist für den Verband die erste Priorität, und das wird sich auch nicht ändern. Die andere Seite ist für mich das Grenzland generell, aber auch – sofern das Interesse besteht – auch die deutsche Minderheit.“

Mirco Elster-Reimer sucht Kontakte zur deutschen Minderheit

Er meint, sein Alter komme ihm dabei zugute. Als Vertreter einer jüngeren Generation spielen einstige Gegensätze für ihn keine Rolle mehr. Die Aufforderung zu seiner Kandidatur empfindet er daher auch als einen Rückhalt dafür, diesen Weg zu gehen.

„Insofern der Wunsch von beiden Minderheiten besteht, wäre es meine Hoffnung, dass Grænseforeningen helfen kann, sie näher zueinander zu bringen, die Kontakte zu intensivieren, ohne dass man die Ambition hat, dass sie zusammenschmelzen sollen.“

Reimer-Elster betont dabei wiederholt die Helferrolle des Verbandes. Er sei zum Teil in Südschleswig als eine Art Konkurrent zu den eigenen Verbänden gesehen. In seiner Optik dürfe Grænseforeningen den Minderheiten nicht in Weg stehen. Ihm geht es daher darum, zunächst einmal zuzuhören – südlich wie nördlich der Grenze.

„Im bestmöglichen Szenario wird Grænseforeningen als eine Organisation angesehen, die beiden helfen kann.“

Die Frage der Identifikation

Er würde somit seine Aufgabe darin sehen, die Annäherung der Minderheiten weiter zu unterstützen. Er möchte sich daher auch über die Situation und Anliegen der deutschen Minderheit informieren. In seiner Schulzeit war diese Beziehung noch deutlich anders.

 „Ich glaube, ich habe damals nie jemanden aus der deutschen Minderheit getroffen. Dass man das Deutsche Gymnasium in Apenrade besucht hätte, gab es gar nicht“, sagt der Südschleswiger.

Denn als ebensolcher bezeichnet er sich konsequent im Laufe des Interviews. Wobei dies dann für ihn doch nicht so eindeutig ist.

„Wenn du, wie ich, mit zwei deutschen Eltern aufwächst, die sich die dänische Sprache nicht aneignen, dann bist du ja in vielerlei Hinsicht immer noch sehr deutsch.“

Mirco Elster-Reimer im Sitzungsraum der Grænseforening. Hoch über seinem Kopf hängen die Fotos der früheren Vorsitzenden. Foto: Walter Turnowsky

Auch mit den Klassenkameraden sprach er weitgehend Deutsch. Dänisch war die Sprache der Schule. Das wurde für ihn deutlich, als er nach dem Abitur zwei Jahre in Sonderburg  jobbte. Sein Dänisch war nicht das Alltagsdänisch der neuen Kameraden. Und so kommt es bei der Frage nach seiner Identität auch darauf an, in welcher Situation er sich gerade befindet.

„Ich könnte sagen, ich bin Deutscher, denn ich habe einen deutschen Pass. Ich könnte auch sagen, ich bin Däne, denn meine Denkweise ist mittlerweile sehr Dänisch. Ich könnte aber auch sagen, ich bin Schleswig-Holsteiner oder eben, ich bin Südschleswiger.“

Kritisch gegenüber Begriff der Bindestrichidentität

Mit dem Begriff von der Bindestrichidentität, den die Grænseforening vor einigen Jahren lanciert hat, kann er jedoch wenig anfangen. Er betont, dass jede und jeder nur selbst seine Identität – der Identifikation, wie er sagt – definieren könne. In der Bezeichnung für die Minderheit habe der Bindestrich jedoch nichts verloren.

„Ich sage klipp und klar, als Südschleswigerin oder Südschleswiger bist du nicht Teil der deutsch-dänischen Minderheit, sondern der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein. Ersteres ist ein Fantasiebegriff.“

Er nimmt an, dass dasselbe mit umgekehrten Vorzeichen auch für die deutsche Minderheit gelte, doch „Hinrich Jürgensen (Vorsitzender des Bundes Deutscher Nordschleswiger, Red.) muss anrufen, wenn ich jetzt totalen Quatsch rede“.

Mirco Elster-Reimer meint, die Arbeit des Verbandes sei immer noch wichtig. Foto: Walter Turnowsky

Wie erwähnt, freut er sich bereits auf eventuelle Gespräche mit der deutschen wie der dänischen Minderheit. Außerdem sieht er eine zentrale Aufgabe des Vorsitzenden darin, einen engen Kontakt zu den Lokalvereinen von Grænseforeningen zu pflegen.

Wie in vielen anderen Verbänden auch, wird es immer schwerer, Menschen für ehrenamtliche Arbeit zu gewinnen. Hinzu kommt, dass die einstige Hauptaufgabe des Grænesforening, das Sammeln von Mitteln für die dänische Minderheit, sich erübrigt hat – zum Glück, wie Elster-Reimer sagt, denn die Organisationen der Minderheit wird jetzt vom dänischen Staat finanziert.

„Deswegen hat es auch die Diskussion gegeben, ob Grænseforeningen im 21. Jahrhundert überhaupt noch Relevanz hat. Das meine ich im höchsten Maß, weil ich als Südschleswiger in Dänemark oft genug erlebe, wie groß die Unwissenheit über das Grenzland und die dänische Minderheit ist.“

Mirco Elster-Reimer setzt darauf, dass sein Zugang zu den Medien ihm dabei helfen kann, in puncto Unwissenheit ein wenig Abhilfe zu schaffen.

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