50 Jahre EU: Einer wird gewinnen

Dänemark zwischen Zucker und Massey Ferguson

Dänemark zwischen Zucker und Massey Ferguson

Dänemark zwischen Zucker und Massey Ferguson

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Kopenhagen
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Massey Ferguson und andere Produzenten trieben in den Nachkriegsjahren die Entwicklung in der Landwirtschaft an – auch in Dänemark. Foto: Album/Ritzau Scanpix

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Dänemark schlug nach dem Zweiten Weltkrieg einen neuen, pro-europäischen Kurs ein. Doch die Nachkriegsjahre waren mit vielen Herausforderungen verbunden – gesellschaftlich und politisch.

Als Stadtrat ist Stephan Kleinschmidt Teil des Verwaltungsvorstands im Flensburger Rathaus. Dieser ist so etwas wie die Stadtregierung Flensburgs. Ihm gehören neben Kleinschmidt der Oberbürgermeister Fabian Geyer, Bürgermeister Henning Brüggemann als sein Stellvertreter und Dezernentin Karen Welz-Nettlau an.

Während der Oberbürgermeister direkt von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt gewählt wird und Dezernentin Welz-Nettlau eine Laufbahn-Beamte auf Lebenszeit ist, werden der Bürgermeister und der Stadtrat für eine Amtszeit von sechs Jahren von der Ratsversammlung gewählt.

Dänemark hatte seine bisherige Neutralitätspolitik, die mit der deutschen Besetzung endgültig gescheitert war, zunächst auch noch nach 1945 fortzusetzen gewünscht, diesmal unter der Etikette als Nicht-Block-Mitglied sozusagen friedliebend zwischen Ost und West stehend.

Mit dem Kalten Krieg und dem eigenen Nato-Beitritt 1949 hatte Dänemark aber endgültig Farbe bekannt – für die westlich-sicherheitspolitische Allianz, die 1955 auch mit der Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland verstärkt wurde. Gleichzeitig musste Dänemark aber die wirtschaftliche Nachkriegskrise überwinden und einen neuen Kurs einschlagen – nach innen und nach außen: nach Europa.

Schwierige Ausgangsposition

Die Ausgangsposition war schwierig: Die Arbeitslosigkeit verdoppelte sich von 1944-1945 von 4 auf über 8 Prozent, die dringend notwendigen Kohle-Lieferungen für die Unternehmen blieben aus, die Bürger froren, ja manche ließen sogar nur kaltes Wasser aus dem Hahn fließen, um Rohrbrüche in der Wohnung zu verhindern. Gefrorene Erdklumpen wurden von Kriminellen für 90 Kronen pro Tonne als Torf zum Heizen verkauft. 

Die Rationierungen als Teil der Kriegswirtschaft im Lande konnten natürlich nicht über Nacht abgeschafft werden, der Schwarzmarkt blühte: Drei Kilogramm Kaffee ohne Rationierungsmarken kosteten 12 Kronen und ein Paar Nylonstrümpfe – wenn sie überhaupt erhältlich waren – sogar 69 Kronen. Von den horrenden Preisen für Zigaretten/Tabak ganz zu schweigen.

Deutsche Kriegsschulden und Geldumtausch

Die fünf dunklen Jahre hatten ökonomisch tiefe Spuren hinterlassen, nicht zuletzt beim Wandel der Handelsströme. Während der Besatzungszeit von 1940-1945 gingen die Exporte nach Großbritannien stark zurück, während die Ausfuhren nach Deutschland im gleichen Zeitraum von 25 auf rund 80 Prozent gesteigert wurden.

Nach 1945 bezifferte die Nationalbank die deutschen Schulden auf 7,6 Milliarden Kronen – sie wurden für die von Dänemark an Deutschland erbrachten Leistungen über ein sogenanntes Clearingskonto in der Nationalbank abgerechnet;  darunter übrigens auch Zuschüsse für die deutsche Minderheit.

Drastische Eingriffe waren notwendig, um den kriminell blühenden Schwarzmarkt und die Inflation in den Griff zu bekommen, vor allem um illegale Vermögen aus Geschäften mit der deutschen Wehrmacht zu entlarven und zu beschlagnahmen.

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Im Juli 1945 führte die dänische Nationalbank einen Geldumtausch durch, nachdem sich die Geldmenge von rund 400 Millionen Kronen in den Jahren vor 1940 bis 1945 vervierfacht hatte – auf 1,6 Milliarden Kronen.

Schon 1943 hatte die Nationalbank – streng geheim – neue Kronenscheine drucken lassen, rund 1,4 Milliarden Kronen, die am 25. Juli 1945, dem sogenannten Vermögenskontrolltag, durch die Banken ausgeliefert wurden. Der Geldumtausch ergab, dass knapp 3 Milliarden Kronen, also 20 Prozent (!) der den Behörden bekannten Vermögen, in den fünf Jahren durch Geschäfte mit der Besatzungsmacht erzielt worden waren, ohne jedoch davon Steuern zu zahlen.

Der Politiker Jens Otto Krag spielte in der Nachkriegszeit in Dänemark eine entscheidende Rolle. Foto: Jesper Stormly Hansen/Ritzau Scanpix

General Marshall und Jens Otto Krag

Zwei Namen sind im Rückblick auf den ersten wirtschaftlichen Aufschwung mit ökonomischer Kursänderung hervorzuheben: der dänische Politiker Jens Otto Krag und der frühere amerikanische General George C. Marshall.

Der damals 31-jährige Krag gehörte einer Gruppe von jungen Sozialdemokraten an, deren Handschrift in dem Manifest „Fremtidens Danmark“ deutlich erkennbar wurde, das die Sozialdemokratie am 25. August 1945 auf einem Parteitag verabschiedete.

Eine Art Science-Fiction, eine neue Leitlinie, die Dänemark soziale Geborgenheit (Wohlfahrtstaat), Vollbeschäftigung und Wachstum sichern sollte. Einerseits musste man angesichts der noch geltenden Rationierungsmarken die staatliche Regulierungspolitik vorläufig fortsetzen, andererseits folgte man den liberal-marktwirtschaftlichen Ideen des britischen Ökonomen Keynes, der Impulse durch staatliche Investitionen zur konjunkturellen Belebung empfahl.

Die dänische Industrie sollte rationalisiert und auf Exportwirtschaft ausgerichtet werden, um durch höhere Löhne auch die Arbeitnehmer und Gewerkschaften an der Verteilung eines großen volkswirtschaftlichen Kuchens zu beteiligen.

Nach ihm wurde die Marshallhilfe nach dem Zweiten Weltkrieg benannt: US-General George Marshall. Foto: Archiv/US Army

Geplatzte rote Ehe

Krag galt als ökonomisches Talent und sorgte als cand.polit. für eine bemerkenswerte Trendwende in der Sozialdemokratie: Erstmalig formulierten nun junge sozialdemokratische Akademiker die Politik ihrer Partei, die bisher stets durch Arbeiter vertreten worden war.

Die Sozialdemokratie war bei den ersten Folketingswahlen nach 1945 abgestraft worden, weil sie nach Ansicht der Wähler in der Besatzungspolitik eine klare Widerstands-Linie hatte vermissen lassen.

Gewinner waren die Kommunisten unter Aksel Larsen, die auch auf den großen Arbeitsplätzen in Kopenhagen durch ihre Vertrauensleute enormen Einfluss auf die Arbeitnehmerschaft nahmen. Im Juni 1945 kam es sogar zu Geheimverhandlungen zwischen der Sozialdemokratie und den Kommunisten über eine Zusammenlegung der beiden Parteien, aber die sozialdemokratische Führung, die sich bereits für den Westen/USA entschieden hatte, betrachtete die Kommunisten als verlängerten Arm von Sowjet-Diktator Stalin.

Die „rote Ehe“ platzte schon in den Flitterwochen, obwohl zu diesem Zeitpunkt ja noch russische Soldaten auf Bornholm standen –  sogar bis April 1946.

Milliarden-Hilfen durch grüne Dollar

Die Hilfe für den ersten Aufschwung kam von außen – aus Amerika durch die nach dem US-Außenminister benannte Marshall-Hilfe. Aus den Fehlern und Folgen der zu hohen Reparationskosten für Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg hatte die US-Regierung ihre historischen Lehren gezogen und deshalb ein wirtschaftliches Aufbauprogramm für ein demokratisches Westeuropa beschlossen – auch um den inzwischen spürbar wachsenden sowjetischen Einfluss zu begrenzen. 

Die Hilfe, die Außenminister George C. Marshall im Juni 1947 in einer Rede in Boston unter dem Titel „European Recovery Program“ angekündigt hatte, war entscheidend für den Wiederaufbau der Bundesrepublik, aber auch entscheidend für Dänemark, das im sogenannten Eiswinter 1946/47 Demonstrationen gegen die noch immer bestehenden Restriktionen erlebte. 

Hausfrauen-Protest

10.000 Hausfrauen aus dem ganzen Lande protestierten auf dem Schlossplatz von Christiansborg unter anderem für eine gerechtere Fleischverteilung, für Zucker und für Waschmittel.

Da kam die Marshall-Hilfe gerade zur rechten Zeit. 

Im April 1948 beschloss das dänische Folketing mit großer Mehrheit – nur gegen die Stimmen der DKP –  die Annahme der Marshall-Mittel, die natürlich auch das Ende der bisherigen Neutralitätspolitik bedeutete.

In den Jahren bis 1952 bezog Dänemark rund 3 Prozent seines Bruttosozialprodukts durch die Marshall-Hilfe, insgesamt 305 Millionen Dollar, davon 33 Millionen als Kredite zu 2 Prozent.

Experten haben errechnet, dass diese Summe nach heutigen Preisen zwischen 60 und 70 Milliarden Kronen ausmachen würde. Dänemark verfügte nun auch erstmalig über grüne US-Dollar, um notwendige Importe aus dem Ausland finanzieren zu können. 

Zentrale Waren wie Futterstoffe, Dünger und Metalle, aber auch amerikanische Technologie standen auf der dänischen Einkaufsliste, um die Mechanisierung der Landwirtschaft und den Ausbau der heimischen Industrie voranzutreiben.

Mähdrescher braucht das Land

Langsam konnte Dänemark nun die alten Kriegs-Restriktionen aufheben: Kaffee und Zucker – seit 13 Jahren rationiert – wurden 1952 völlig freigegeben, und die letzten Restriktionen bei Kohle und Koks fielen 1953.

Gleichzeitig mit dem Start der Marshall-Hilfe ließ der inzwischen zum Handelsminister aufgestiegene sozialdemokratische Hoffnungsträger Jens Otto Krag symbolisch die Neonlichter wieder einschalten.

Die Fortschritte waren sichtbar; vor allem bei einem Blick aufs Land. 1945 hatte es in Dänemark nur zwei Mähdrescher und etwa 4.000 Traktoren gegeben, schon wenige Jahre später gab es jedoch mehr als 1.000 Mähdrescher und mehr als 40.000 Traktoren; vor allem eine bessere Agarproduktion durch die nun überall sichtbaren Trecker vom US-Typ Massey Ferguson.

Die Marshall-Hilfe brachte Dänemark aus der wirtschaftlichen Stagnation. Der Weg nach Westen hatte begonnen, aber das Ziel Europa war noch lange nicht erreicht. 

So war die Situation in Nordschleswig

Auch Nordschleswig hatte nach dem 5. Mai 1945 mit großen Problemen zu kämpfen – mit Kriminellen und mit Kälte. Am 13. August 1945 – also wenige Tage bevor die „Nordschleswigsche Zeitung“ durch verspätete dänische Widerstandskämpfer in Brand und außer Gefecht gesetzt wurde – meldete die „NZ“ unter der Überschrift „Eine Schwarzhändler-Bande“:

„Die hiesige Polizei nahm zwei Leute fest, die sie im Verdacht hat, die Leiter einer Schwarzhändlerbande zu sein, welche mit englischen Soldaten Zigarettenhandel treibt. Die Polizei teilt mit, dass sie diesem Schwarzhandel und der unwürdigen Bettelei, durch die englische Soldaten belästigt werden, ein Ende machen will.“ 

 

Die Winterkälte machte Dänemark nach dem Krieg zu schaffen. Foto: Der Nordschleswiger

Nicht wieder frieren

Das Hauptproblem waren aber die kalten Winter. Am 16. August 1945 lieferte die Lokalredaktion Tondern folgende Meldung in der „Nordschleswigschen Zeitung“: „Der staatliche Bodengesetzausschuss hatte gehofft, in diesem Jahre im Königsmoor etwa 500 Tonnen Torf gewinnen zu können. Infolge der regnerischen Witterung konnten leider nur 300 Tonnen hergestellt werden.“  

Die Zeitung „Hejmdal“ berichtete am 25. Februar 1947 über die unterschiedlichen Schornsteine im Grenzort Rutebüll:  „Auf der dänischen Seite der Grenze raucht praktisch jeder Schornstein, während in den deutschen Schornsteinen auf der anderen Seite kein Rauch festzustellen ist.“

Tondern meldete im März 1947: „Der Mangel an Heizmaterial ist beträchtlich, und in manchen Stuben wird bitter gefroren. Stadtverwaltung und Feuerungsgeschäfte sind ohne Reserven. Wie verlautet, beabsichtigt man jedem Haushalt 100 kg Koks zur Verfügung zu stellen, die jedoch als Vorschuss auf später freizugebene Rationierungsmarken gelten sollen“,  so „Der Nordschleswiger“.

Hilfe bot vor allem Torffabrikant Peter Mailund in Apenrade, der in einer Anzeige am 17. Mai 1947 im „Nordschleswiger“ versprach:

„Nicht wieder frieren. Das haben Sie sich für den Winter vorgenommen – handeln Sie entsprechend. Bestellen Sie sofort Ihren Torf bei Peter Mailund, Apenrade, Forstallee 58, Telefon 3018.“

Und 1950 bot Mailund-Torf Qualitäts-Briketts aus seiner Brikettfabrik Klipleff an.

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