Leitartikel

„Wenn der Brief zum Luxusartikel wird“

Wenn der Brief zum Luxusartikel wird

Wenn der Brief zum Luxusartikel wird

Apenrade/Aabenraa
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Dänemark macht dem Papierbrief den Garaus. Foto: Mads Armgaard, Postnord

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Noch weniger Briefkästen, doppelt so teures Porto: Das Ende des Brief- und Postkartenverkehrs in Dänemark ist absehbar. Für die Umwelt gut – doch so manche Menschen werden abgehängt, meint Gerrit Hencke.

Wenn der Standardbrief im Inland in Dänemark ab Januar 2024 satte 25 Kronen kosten soll, ist das wohl der nächste Sargnagel für den schriftlichen Briefverkehr im Königreich. Bislang kostet das Briefporto 12 Kronen (bis 50 Gramm) und 24 Kronen (bis 100 Gramm), was wahrlich auch kein Schnäppchen ist. Die Geburtstags- oder Weihnachtskarte im kommenden Jahr wird somit fast zum Luxusgut. Schon jetzt kosten Briefe ins „Ausland“ – etwa nach Niebüll oder Flensburg –  sagenhafte 36 Kronen.

Schuld daran, dass es jetzt noch teurer wird, Briefe und Postkarten zu verschicken, ist ein neues Gesetz (postlov). Die sogenannte „Beförderungspflicht“ wurde abgeschafft – und somit muss der Staat nicht mehr sicherstellen, dass Briefe und Pakete in ganz Dänemark zugestellt werden. Die Folge: Postnord bekommt vom Staat keine Millionenbeträge mehr dafür. Nach knapp 400 Jahren endet damit eine Ära.

Logische Konsequenz

Doch es wird nicht nur teurer, sondern auch schwieriger, einen Brief zu verschicken. Denn auch 1.000 Briefkästen werden zum Jahreswechsel abmontiert. Das Briefgeschäft werde nicht länger so zu Postnord gehören, wie die Menschen es bislang gewohnt seien, heißt es in der Meldung. Schon jetzt dauert es bis zu fünf Tage, bis ein Brief im heimischen Postkasten landet. Für 20 Kronen kann jede und jeder eine Premium-Zustellung am nächsten Werktag buchen.

Die Kostensteigerung ist allerdings auch eine logische Konsequenz, denn immer weniger Menschen schreiben Briefe. Waren es um die Jahrtausendwende in Dänemark noch 1,5 Milliarden Stück, sind es 2020 nur noch 193 Millionen gewesen. Wechselnde Regierungen haben die Digitalisierung der Briefpost in den vergangenen zwei Dekaden knallhart vorangetrieben.

Deutsches Zukunftsszenario

Der Schriftverkehr mit Behörden, Banken oder Versicherungen geht weitestgehend papierlos vonstatten. Die übrig gebliebenen Briefe zu verteilen, wurde für Postnord in den vergangenen Jahren immer kostspieliger. Gerade die Austeilung in entlegeneren Gebieten bindet Zeit, Personal und weitere Ressourcen.

Was in Dänemark gerade passiert, darauf können sich Bürgerinnen und Bürger in Schweden und Deutschland in Zukunft wohl ebenfalls einstellen. Hier hinkt man der Entwicklung vermutlich ein paar Jahre hinterher. In beiden Ländern werden noch heute deutlich mehr Briefe verschickt als in Dänemark.

Doch klar, auch hier ist die Anzahl zurückgegangen. Daten aus dem Januar 2023 zeigen, dass in Deutschland pro Tag noch knapp 40 Millionen Briefe verschickt werden. 2018 waren es noch 59 Millionen Briefsendungen. Es werden also weniger.

Günstigeres Porto

Und so hat die Deutsche Post das Briefporto in den vergangenen Jahren ebenfalls stetig angehoben und teilt schon heute mancherorts nicht mehr an jedem Werktag die Post aus. Doch der stinknormale Inlandsbrief kostet in Deutschland dennoch nur einen Bruchteil von dem, was Postnord verlangt. Derzeit sind es 0,85 Euro, umgerechnet 6,34 Kronen. Und auch in Schweden kostet der Standardbrief nur umgerechnet 9,8 Kronen.

In Deutschland wurde in der Vergangenheit ebenfalls immer wieder mal das Ende der sogenannten Universaldienstleistung ins Gespräch gebracht – zuletzt in den Tarifverhandlungen im Januar 2023. Sie ist vergleichbar mit der dänischen Beförderungspflicht.

Laut der sogenannten „Postuniversaldienstleistungsverordnung“ von 1999 ist die Deutsche Post für die Grundversorgung bei Briefen und Paketen in Deutschland zuständig. Das Ende der Beförderungspflicht in Dänemark ist also etwas, das unserem südlichen Nachbarn in naher oder ferner Zukunft auch blühen könnte.

Die Deutsche Post will in jedem Fall mehr Flexibilität, etwa einen zustellfreien Montag oder Rabattmöglichkeiten für eine langsamere Zustellung, wie es sie hierzulande bereits gibt.

Weniger Papiermüll

Und das ist wiederum auch gut so. Wie viele sinnlose Briefe landen täglich in den Briefkästen. Die ungefragte Werbesendung vom Möbelhaus, die Rabattaktion des Internetanbieters oder die Postwurfsendung der Apotheke. Schreiben, die es nicht wert sind, dafür Papier zu verschwenden und die meist ungeöffnet im Altpapier landen. Retten kann man sich vor der Flut in Deutschland nur mit „Keine Werbung“-Aufklebern. In Dänemark lässt sich die Werbung – Überraschung – digital abbestellen.

Schleppende Digitalisierung

Und die wichtigen Briefe? Die hätten in den meisten Fällen ebenfalls als E-Mail gereicht oder an eine digitale Postkasten-App gesendet werden können. In Dänemark gibt es für so etwas die e-Boks.

Das deutsche Pendant ist die freiwillige „De-Mail“, die sich nach ihrer Veröffentlichung 2012 nie richtig durchsetzen konnte. Bis 2019 haben sich nur eine Million Bürgerinnen und Bürger in Deutschland für die sicherere Kommunikation mit Behörden und Co. registriert. Das halbgare, nicht verpflichtende System, spiegelt deutlich den Stand der Digitalisierung in Deutschland wider – es ist ein Flickenteppich.

Bessere Ökobilanz

Blickt man rein auf die Ökobilanz, ist die E-Mail ohnehin umweltfreundlicher. Der durchschnittliche CO₂-Fußabdruck einer E-Mail beträgt zwischen 0,03 und 26 Gramm CO₂ – je nach Länge, Anhängen, Verteiler, Internet- und Stromtarif. Beim Papierbrief liegt der durchschnittliche Wert je nach Quelle bei 20 bis 29 Gramm CO₂ – von der Baumfällung über die Papierherstellung, die Tinte bis zum Transport.

Doch auch wenn die E-Mail den besseren Fußabdruck haben sollte: Sie ist unpersönlicher als ein handgeschriebener Brief und womöglich auch unsicherer. Zwar gilt das Briefgeheimnis auch für digitalen Schriftverkehr, doch ob private E-Mails und Nachrichten in Messengerdiensten auch wirklich nicht mitgelesen werden, ist nicht immer sicher zu sagen. Und so wollen lange nicht alle Bürgerinnen und Bürger komplett digital kommunizieren.

Steine im Weg

Gerade die älteren Generationen, die noch viele Briefe schreiben, trifft das neue Postgesetz vermutlich härter als die Jüngeren, die fast selbstverständlich digital unterwegs sind, wo es möglich ist. Menschen, die noch gerne Briefe schreiben, wird mit teurerem Porto und weniger Briefkästen symbolisch der Stift aus der Hand gerissen. 

Der Wandel ist jedoch wohl kaum aufzuhalten. Außerdem muss die Frage erlaubt sein, ob es überhaupt sinnvoll ist, am Papierbrief festzuhalten. Immerhin, der Brief an den Weihnachtsmann ist in diesem Jahr wieder gratis. Noch bis zum 17. Dezember können die frankierten Briefumschläge in 400 teilnehmenden Postfilialen abgeholt werden. Vielleicht wünscht sich ja jemand die gute alte Zeit zurück oder einfach einen Brieffreund mit dickem Geldbeutel. 

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