Diese Woche in Kopenhagen

„Der kleine Schwindler wurde zum großen Reformator“

Der kleine Schwindler wurde zum großen Reformator

Der kleine Schwindler wurde zum großen Reformator

Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:
In der Kolumne geht es diese Woche auch um Gebäck. Foto: Jakob Carlsen/Ritzau Scanpix

Diesen Artikel vorlesen lassen.

In seiner heutigen Kolumne versucht Walter Turnowsky ein traditionsreiches dänisches Gebäck und einen gewieften, aber nicht unumstrittenen Politiker unter einen Hut zu bringen. Ob das wohl gelingen kann?

Kennerinnen und Kenner der dänischen Politik werden wissen, wer in der Überschrift gemeint ist. Andere müssen weiterlesen – und zwar ein Stück weit, denn (gemeinerweise) soll es erst einmal um eine noch ungeklärte Frage im Regierungsprogramm gehen. Es ist die Frage einer besonderen Sorte von Weizenbrötchen.

Jetzt wirst du vielleicht fragen: Was haben Brötchen denn im Regierungsprogramm zu suchen? Sie kommen dort allerdings auch nicht vor, doch genau das ist die Krux. Daher ist die Frage eben ungeklärt.

Wenn ein Weizen kein Bier ist

Die Rede ist von weichen Brötchen, die am Abend des vierten Donnerstags nach Ostern durchgeschnitten, auf einen Toaster gelegt, mit Butter bestrichen und mit Genuss verspeist werden. Sie werden „varme hveder“, also warme Weizen genannt. Es soll auch Menschen geben, die am darauffolgenden Freitag, dem dänischen Buß- und Bettag, ein kaltes Weizen trinken – aber das ist nicht in dem Sinn eine Tradition.

Die Tradition mit den warmen Weizen dagegen stammt aus dem 19. Jahrhundert. Es war den Bäckern (und allen anderen) verboten, am Buß- und Bettag vor dem Gottesdienst zu backen. Also wurden die Brötchen (Weizen war ein Luxusgebäck für Feiertage) schon am Abend davor gebacken, um sie dann zum Frühstück zu verzehren. Nur kamen die Menschen schnell drauf, dass sie frisch gebacken viel leckerer sind, und daher werden sie am Abend vorher verspeist.

Wenn eine Frage ungeklärt ist

Ah, ich merke schon, du wirst allmählich ein wenig ungeduldig, weil immer noch nicht klar ist, was das alles mit dem 64 Seiten langen Dokument zu tun hat, dass die drei Parteichefs Mette Frederiksen (Sozialdemokratie), Jakob Ellemann-Jensen (Venstre) und Lars Løkke Rasmussen (Moderate) am Mittwoch auf Schloss Marienborg vorgestellt haben. Die Sache ist die, dass die drei Neu-Musketiere einen Feiertag abschaffen wollen. Damit wollen sie die Aufstockung des Verteidigungshaushalts finanzieren. Den Feiertag, den sie abschaffen wollen, haben sie sich auch schon ausgeguckt: richtig geraten, den Buß- und Bettag.

Die Frage ist nun: dürfen wir dann am Abend vorher noch genüsslich die warmen, mit Butter bestrichenen Weizenbrötchen verzehren? Und wollen wir das überhaupt, wenn wir tags darauf doch wieder auf Maloche müssen? Müssen wir die Butter – auch schon wegen des Klimas – weglassen? Und was ist mit den kalten Weizen, mit denen wir doch eigentlich den schönen Maifeiertag noch schöner gestalten wollten? Hier sind dringend Antworten nötig, doch wie so häufig bei wesentlichen Fragen, halten sich die Frauen und Herren aus der Politik wieder einmal bedeckt.

Wenn Feiertage abgeschafft werden

Aus kirchlichen und gewerkschaftlichen Kreisen bekommen wir da auch keine Hilfestellung. Von dort kommt zwar Kritik an der Abschaffung des Feiertags, aber auf die Frage der Weizen haben auch sie keine Antworten. Wobei sie, bei aller Kritik, die Abschaffung kaum verhindern werden.

Dabei ist die Abschaffung von Feiertagen keineswegs eine Erfindung unserer jetzigen, säkularen Zeit. Dafür ist der im 17. Jahrhundert landesweit eingeführte Buß- und Bettag der beste Beweis. Es gab damals noch weitere wöchentliche und monatliche Bußtage, doch die verschwanden allmählich und nur der eine, auf Dänisch daher der Große Bettag (store bededag) genannt, blieb übrig. Es galt immer deutlicher die Devise: dauernd nur beten ist nicht, schließlich soll auch gearbeitet werden.

Wenn ein Spitzname gemein ist

Eigentlich hätten wir erwarten können, dass der in der Überschrift gemeinte Politiker, sich der Sache mit den Weizen annimmt. Denn Lars Løkke Rasmussen, von keinem anderen ist die Rede, gilt nicht als Kostverächter. Was einiges damit zu tun hat, dass der sozialdemokratische Politiker Mogens Lykketoft ihm den nicht sehr nett gemeinten Spitznamen verpasst hat.

Løkke hat sich wiederholt private Ausgaben aus öffentlichen Kassen zahlen lassen. Flüge als Vorsitzender eines internationalen Klimafonds mussten First Class sein, gemeine Business-Class reichte nicht aus. Er wurde und wird von vielen zwar als tüchtiger politischer Handwerker bezeichnet, doch geht es ihm immer auch um die eigene Person.

Wenn ein neuer Gedanke Wählerstimmen bringt

Dieser Vorwurf wurde erneut laut, als er sich, nachdem er als Venstre-Vorsitzender gehen musste, nicht mit der Rolle als Hinterbänkler abfinden wollte und am 1. Januar 2021 aus der Partei austrat. Seine Begründung, er wolle Politik über die Mitte hinweg führen, nahmen ihm viele nicht ab.

Den Gedanken hat er bereits im Wahlkampf 2019 eingebracht, allerdings ohne ihn vorher mit der übrigen Parteiführung abzustimmen. Doch der gewiefte politische Fuchs Løkke hatte die Stimmung in Teilen der Wählerschaft als Erster richtig gelesen: Venstre legte zu – es reichte jedoch nicht, um den Posten als Regierungschef zu verteidigen.

Mit der Gründung der Moderaten im Frühling dieses Jahres hatte er endgültig die blockübergreifende Regierung zum politischen Ziel erklärt. Wiederum wurde ihm das, nicht zu Unrecht, als ein Versuch ausgelegt, erneut zu Ehre und vor allem Macht zu kommen. Zunächst sah es damit nicht allzu gut aus: Die Umfragen blieben mau und Løkke selbst wirkte energieverlassen, ja müde.

Wenn man als Sieger dasteht

Doch dann nahm er ab, ließ wohl die kalten wie warmen Weizen im Kühlschrank beziehungsweise in der Gefriertruhe und blühte im Wahlkampf immer mehr auf. Erneut bewies er: Ein physisch fitter Løkke ist auch ein politisch fitter Løkke. Und auch dieses Mal hatte er mit seinem blockübergreifenden Reformprojekt richtig gesehen: Mit 9,3 Prozent legten die Moderaten aus dem Stand ein fulminantes Wahlergebnis hin und wurden drittstärkste Kraft.

 

Lars Løkke Rasmussen bei der Präsentation des Regierungsprogramms Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

Als es ihm dann auch noch gelang, sich zwischen Frederiksen und Ellemann auf die Regierungsbank zu quetschen, stand er endgültig am Mittwoch als der große politische Denker da. Er hatte die richtigen Gedanken schon vor allen anderen gedacht: Jetzt soll der Wohlfahrtsstaat reformiert werden, damit er wetterfest wird. Das Gesundheitssystem soll neu durchdacht werden.

Politische Beobachterinnen und Beobachter sahen Løkke schon als eine Art Superminister zum Umbau des Wohlfahrtstaates. Doch dann kam der Donnerstag – und der Moderaten-Chef wurde Außenminister.

Das umfassende Reformprogramm der Regierung ist ihm dann wohl doch nicht so wichtig, dass er sich dessen persönlich annehmen will. Aber zumindest darf er als Außenminister wieder fliegen; wenn auch nicht in der Luxusklasse.

Und wir sollten vielleicht hinter der Überschrift noch ein kleines Fragezeichen setzen.

Mehr lesen