Leitartikel

„Regierungsbildung: Drei ungleiche Musketiere schwören den Eid“

Regierungsbildung: Drei ungleiche Musketiere schwören den Eid

Regierungsbildung: Drei ungleiche Musketiere schwören Eid

Kopenhagen
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Dänemark hat eine neue Regierung. Doch wie konnte es dazu kommen, dass Sozialdemokraten, Venstre und die Moderaten nun gemeinsame Sache machen? Chefredakteur Gwyn Nissen hat – vielleicht – die Antwort.

Wie die drei Musketiere traten Mette Frederiksen, Jakob Ellemann-Jensen und Lars Løkke Rasmussen am Mittwoch vor die Presse, um der Bevölkerung in Dänemark die Pläne der neuen Regierung bestehend aus Sozialdemokraten, Venstre und den Moderaten zu erklären. Die Schwertkämpfe im Wahlkampf schienen vergessen, und von Optimismus und Neuaufbruch war die Rede – fast schien es sogar so, als hätten die drei auch einen Eid aufeinander geschworen.

Zumindest sagten sowohl Mette Frederiksen, als auch Lars Løkke Rasmussen, dass sie in ihrer politischen Karriere noch nie ein solch gutes Verhandlungsklima erlebt hätten. Und das bei den politischen Unterschieden.

Vor der Wahl kämpfte Jakob Ellemann-Jensen noch gegen Frederiksen und für die eigene Staatsminister-Kandidatur. Ging auf Abstand und griff Frederiksen hart an. Nach der verlorenen Wahl suchte er nun Einfluss und bewegte sich wie bereits Løkke und Frederiksen zuvor über die Mitte hinweg zum Gegner.  

Drei Kontrahenten, die sich zusammenraufen?

Das zeugt von Mut, der drei politischen Musketiere. Mut zum Schritt über die Mitte, hin zur Zusammenarbeit. Mut, auf schwierige Fragen, gemeinsame Lösungen zu finden. Mut, zur Verantwortung und Mut, sich Zeit zu lassen und nichts zu überstürzen. Sechs Wochen lang wurde verhandelt  – das gab es in Dänemark noch nie.

Es sind aber auch die Zeiten, die die Politik in neue Bahnen lenken: Inflation, Energiekrise, Arbeitskraftmangel und Krieg in Europa. Die Probleme stehen vor Christiansborg Schlange, und um die Krisen abzuwehren, müssen gemeinsam Lösungen gefunden werden. Mette Frederiksen bezeichnete das neue politische Trio als eine Arbeitsgemeinschaft.

Die muss sich übrigens zunächst einiges an Kritik gefallen lassen. Natürlich von den geschassten Freunden in den politischen Blöcken, die am liebsten an ihren Old-School-Vorstellungen und Feindbildern festhalten wollen.

Aber auch die Bevölkerung muss sich an die neue politische Realität gewöhnen. Das war alles viel leichter, als man noch den einen oder anderen Flügel für eventuelle Missstände verantwortlich machen konnte.

Doch die Sozialdemokraten, Venstre und die Moderaten machen – trotz der Unterschiede – nun genau das, was viele Wählerinnen und Wähler erwarten und sich wünschen: Sie kooperieren, finden haltbare Lösungen, die nicht beim nächsten Block-Wechsel zurückgeschraubt werden, und verfallen nicht in den üblichen politischen Zirkus, den viele leid sind.

Das politische Projekt von Frederiksen, Ellemann und Løkke ist glaubwürdig. Aber vor allem die beiden Vorsitzenden von Venstre und Moderaten müssen sich Kritik gefallen lassen, weil sie Mette Frederiksen im Mink-Fall quasi freigesprochen haben, indem jetzt doch keine weiteren juristischen Schritte vorgenommen werden.

Man möge meinen, dass die beiden ihre politische und moralische Seele an den Teufel verkauft haben, um sich ins Ministergefährt setzen zu können. Doch Løkke und Ellemann geht es vor allem um den politischen Einfluss und die Unabhängigkeit der Parteien an den äußersten Flügeln.

Während Løkke im Wahlkampf für eine Regierung über die Mitte propagierte, war Ellemann kategorisch gegen Frederiksen. Er hätte ihr nicht geglaubt, dass sie wirklich über die Mitte regieren wolle, so der Venstre-Boss bei der Vorstellung des Regierungspapiers. Diesen Fehler machten in Dänemark auch die meisten politischen Analytikerinnen und Analytiker.

Gewinnerin des Marathons

Mette Frederiksen wollte tatsächlich einen – für Dänemark – neuen politischen Weg einschlagen. Dabei wird sie sicher auch Mitglieder in der eigenen Partei enttäuscht haben, doch am Ende steht sie als Gewinnerin des Verhandlungsmarathons fest.

Dasselbe gilt für Lars Løkke Rasmussen. Er hatte sich im Wahlkampf 2019 als damaliger Venstre-Chef noch für eine Regierung über die Mitte hinweg eingesetzt. Doch der „kleine Lars“ wurde belächelt: Ihm gehe es wegen der schlechten Meinungsumfragen nur um die eigene Machtposition, hieß es von allen Seiten. Nach der Wahlniederlage verließ er seine Partei im Streit und schien der dänischen Politik den Rücken zu kehren. Doch Lars Løkke Rasmussen kämpfte noch einmal für die Aufhebung der Blockpolitik, gründete seine neue Partei, die Moderaten, und wird nun mit einem Sitz in der Regierung belohnt. Ein wahres politisches Drama um einen politischen Künstler.

Dafür hat Løkke aber, wie auch Frederiksen und Ellemann, einschneidende Kompromisse eingehen müssen. Das neue Trio hat nicht den leichtesten Weg der Zusammenarbeit gewählt, sondern kommt jetzt schon als Reform-Regierung rüber.

Die neue Regierung ist wahrlich der Beginn einer neuen politischen Ära in Dänemark – und Frederiksens bunte Regierung hat die Mehrheit, die neue Richtung einzuschlagen. Mittwoch konnte man fast meinen, Mette Frederiksen, Jakob Ellemann-Jensen und Lars Løkke Rasmussen würden nicht drei Parteien vertreten, sondern seien Gründer einer ganz neuen Partei. Ob der Schein und die Einigkeit trügt? Die kommenden Monate und vielleicht auch Jahre werden zeigen, ob die historische Regierung als Fußnote in die Geschichtsbücher eingeht, oder ob sie wirklich Geschichte schreibt.

 

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Gwyn Nissen
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