Grenzland

Notruf ins Nichts

Notruf ins Nichts

Notruf ins Nichts

Apenrade/Slagelse
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Notrufe im Grenzgebiet können je nach Stärke des Mobilfunknetzes ins benachbarte Land geleitet werden. Ende August sorgte dies für eine brenzlige Situation. Foto: Jens Panduro/Ritzau Scanpix

Wer bei einem Autounfall verletzt wird, wünscht sich schnelle Hilfe. Doch wer im Grenzgebiet einen Notruf absetzt, kann im Netz des Nachbarlandes landen. Im Kreis Schleswig-Flensburg kam es zu einer solchen Situation, die schlimm hätte enden können.

Ein Notruf, der zwischen den beiden Rettungssystemen im deutsch-dänischen Grenzgebiet verloren geht – diese Situation erlebte Kai-Torsten Steffens auf einer Landstraße in Nordschleswig.

Es ist Ende August, als sich Steffens auf der Grenzstraße L192 in der Nähe von Weesby einem Autounfall nähert. Der Wagen einer jungen Autofahrerin hatte sich offenbar kurz zuvor überschlagen. „Wir kamen an diese Unfallstelle und hielten, da meine Frau Ärztin ist. Sie (die Verunglückte, Anm. d. Red.) schaffte es nicht allein aus dem Fahrzeug, konnte aber von Ersthelfern geborgen werden.“

Die junge Frau scheint glücklicherweise nur leicht verletzt, ist ansprechbar. Steffens erfährt, dass die Frau über die Notruftaste im Fahrzeug einen Hilferuf abgesetzt hat. Doch dieser sogenannte E-Call landet nach den Worten Steffens in der dänischen Notrufzentrale. Die Antwort dort lautet: der Notruf werde weitergeleitet. Doch Ersthelfer und die Verletzte warten auf den Rettungswagen – vergebens.

Kai-Torsten Steffens: „Als wir nachfragten, war der Unfall bereits fast 30 Minuten her. Ich setzte dabei einen neuen Notruf ab und kam glücklicherweise ins deutsche Mobilfunknetz. 15 Minuten später waren Polizei und Rettungswagen vor Ort. Steffens berichtet dem „Nordschleswiger“ er habe um 16.35 den Notruf 112 gewählt.

Was passierte mit dem Notruf?

Kai-Torsten Steffens fragt sich: „Was wäre gewesen, wenn die Frau eingeklemmt gewesen wäre. Oder schwer verletzt? Das Auto war ein Wrack! Was, wenn sie allein gewesen wäre, wenn es geregnet hätte?“

Es hätte also schlimm enden können, denn offenbar gab es keine Reaktion auf den 1. Notruf. Eine Rettung blieb aus, der Notruf ging ins Nichts. „Der Nordschleswiger“ ging der Sache nach – ein längeres Unterfangen, wie sich herausstellte.

Nachfragen in Deutschland

Die ersten Anrufe und E-Mails gehen nach Deutschland. Die Polizeidirektion Flensburg bestätigt einen Notruf von einer deutschen Handynummer, eingegangen um 16.39 Uhr. Von einem Anruf aus Dänemark weiß die Polizeidirektion Flensburg nichts – auch nicht die Leitzentrale in Harrislee. Dort bestätigt der Leiter Achim Hackstein, dass der Unfall von einer deutschen Handynummer aus gemeldet wurde. Aus Dänemark sei offensichtlich keine Information gekommen, eine solche sei nicht dokumentiert.

Wer in Dänemark die Polizei, die Feuerwehr oder einen Rettungswagen benötigt, ruft die 112 an. Notrufzentralen befinden sich in Slagelse, Kopenhagen und Aarhus. Dort werden die Maßnahmen festgelegt und in die betreffende Region weitergeleitet.

Die Polizei von Südjütland und Nordschleswig hat keine Informationen über einen Notruf, weist aber, so wie die Polizeidirektion Flensburg, darauf hin, dass Notrufe, die E-Calls einerseits an die Behörden, andererseits an private Dienstleister weitergeleitet werden können. Nach Angabe der deutschen Polizei, die den Unfall aufnahm, verunglückte die Frau in einem Auto der Marke Ford.

Ford: E-Calls gehen an die Behörden

Das Unternehmen teilte dem „Nordschleswiger“ mit, dass die Notrufe eines Fords in Europa an die öffentlichen Notruf-Dienststellen weitergeleitet werden. Private Dienstleister sind dem Unternehmen zufolge nicht involviert.

Das Unternehmen schreibt weiter, dass sich das Gerät in Grenzgebieten, wie bei Mobiltelefonen auch, in das Netz des Nachbarlandes einwählen könne, was im Normalfall gut funktioniere. Warum dies in diesem Fall fehlgeschlagen sei, müssten die dänischen Behörden klären.

Suche in Dänemark nach verlorenem Notruf

Die Leitstellen in Aarhus und Kopenhagen sichteten auf Anfrage die eingegangenen Notrufe, fanden aber keinen, der dem Unglück zugeordnet werden konnte. In Slagelse wurde man dann schließlich fündig.

Die zuständige Polizei für Südseeland und Lolland-Falster teilte nun dem Nordschleswiger mit, sie habe den Notruf vom 27. August gefunden. Die Verbindung sei sehr schlecht gewesen, am Anfang habe eine automatische Stimme auf Deutsch GPS-Koordinaten mitgeteilt, die laut Polizei für den Operateur nicht eindeutig waren. Danach hätten zwei dänisch sprechende Frauen vom Unfall berichtet. Die diensthabende Person habe versucht, die genaue Adresse zu erfahren, dies sei aber aufgrund der schlechten Verbindung nicht möglich gewesen. Was klar gewesen sei, war, dass das Unglück in Grenznähe stattgefunden hatte.

Nach Aussage des diensthabenden Operateurs deuteten die Angaben auf einen Unfall auf dänischer Seite der Grenze hin. Die zurate gezogene Polizei von Südjütland und Nordschleswig wusste von einem Unfall auf dänischer Seite nichts. Daher seien keine weiteren Maßnahmen seitens der Polizei in Gang gesetzt worden.

Polizei: Fehler soll nie wieder passieren

„Die Nachforschungen haben ergeben, dass es ein Fehler gewesen ist, die Sache nicht weiterzuverfolgen. Es hätte die deutsche Polizei informiert werden oder auch eine dänische Polizeipatrouille in das Gebiet beordert werden müssen, um den Unfall zu lokalisieren, schreibt die Polizei von Südseeland und Lolland-Falster und schließt: „Die Nachfrage bedeutet für uns, dass wir sicherstellen, dass ein solcher Fehler nicht wieder passiert. Zudem wollen wir gern mit den Zeugen des Unfalls reden, um mehr zu erfahren und um das Geschehen zu erklären.“

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