Vor 80 Jahren musste Ib Jessen mit ansehen, wie eine Nazi-Patrouille seinen Vater Thomas Emil Jessen aus dem Zuhause der Familie in Schelde deportierte. Ein Stolperstein erinnert seit dieser Woche an die Tragödie.
Die Nazis kamen in den frühen Morgenstunden und nahmen den Vater mit. „Ich war als Erster wach und hörte das Klopfen. Ich hatte im Schlafzimmer meiner Eltern geschlafen. Meinem Vater wurde der Ernst der Lage schnell bewusst. Er durfte noch ein schnelles Frühstück einnehmen, dann nahmen sie ihn mit. Es war das letzte Mal, dass ich meinen Vater gesehen habe.“
Festnahme am Haus Nummer 13
Der 87-jährige Ib Jessen erzählte am 19. September vor seinem damaligen Zuhause an der Nederballe in Schelde von der Tragödie, die seiner Familie auf den Tag genau vor 80 Jahren widerfahren war.
Um an dieses Verbrechen zu erinnern, verlegte Ib Jessen einen sogenannten Stolperstein vor dem Haus mit der Nummer 13. Ein Stein, der an Thomas Emil Jessen erinnern soll. Und an das Unrecht, das ihm und seiner Familie geschehen ist.
Thomas Emil Jessen war in seiner Funktion als Grenzgendarm verhaftet worden. Rund 300 Angestellte dieser dänischen Polizeieinheit waren im September 1944 festgenommen und ins Fröslevlager bei Pattburg (Padborg) gebracht worden.
38 Grenzgendarme kamen in Konzentrationslagern ums Leben
Von dort aus schickten die Nationalsozialisten 141 Grenz-Polizisten weiter in Konzentrationslager nach Deutschland. 38 von ihnen starben in den Lagern, auch Thomas Emil Jessen. Er kam zwei Monate später im Lager Neuengamme bei Hamburg ums Leben.
Die Nachricht vom Tod des Vaters kam damals per Brief nach Schelde, erinnerte sich Ib Jessen.
„Als der Brief von den deutschen Behörden aus Deutschland ankam, gingen wir mit dem Brief zunächst rüber zu unseren Nachbarn. Der Brief war auf Deutsch. Unsere Nachbarn lasen ihn vor und übersetzten, und als meiner Mutter klar wurde, dass mein Vater als tot gemeldet wurde, wurde sie ohnmächtig“, sagt Ib Jessen.
Er kam in Begleitung seiner Kinder, Enkelkinder und Urenkel nach Schelde. Über 100 Menschen nahmen an der Verlegung des Stolpersteins teil.
Mit dabei in Schelde war Ruth Candussi von der Schleswigschen Partei. Sie hatte die Initiative des ersten Stolpersteins in der Kommune Sonderburg ins Rollen gebracht. Zusammen mit SP-Stadtratspolitiker Stephan Kleinschmidt hatte sie im Frühjahr 2021 online zu einem runden Tisch eingeladen.
Mithilfe der Initiative „Snublesten Fyn“ und der Kommune Sonderburg sowie einer Spende der Stiftung „BHJ Fonden“ konnten sie das Vorhaben in die Tat umsetzen.
Deshalb wurden 1944 die Grenzschützer verhaftet
Historiker Poul-Erik Thomsen hat in seinem Buch „Ingen så det komme“ darüber geschrieben, wie und weshalb 1944 Hunderte dänische Grenzgendarme verhaftet wurden. 141 Grenzschützer schickten die Nazi-Behörden weiter in Konzentrationslager nach Deutschland, 38 starben dort.
Warum ließen die Nationalsozialisten im September 1944 die Grenzschützer festnehmen und 141 von ihnen in Konzentrationslager deportieren? „Eine ganz klare Antwort darauf gibt es nicht. Aber als Gründe wurden in einem Brief genannt, dass die Grenzschützer im militärischen Untergrund aktiv waren und dass sie Flüchtende, die von Deutschland nach Dänemark kamen, nicht aufgehalten hätten. Das war in den Augen der Nazis Verbrechen genug, um deportiert zu werden“, erläutert Poul-Erik Thomsen.