Diese Woche in Kopenhagen

„Warum der König dennoch politisch ist“

Warum der König dennoch politisch ist

Warum der König dennoch politisch ist

Kopenhagen
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Seit Sonntag ist Frederik König von Dänemark. Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

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Wir hören es immer wieder: Das dänische Königshaus dient ausschließlich Repräsentationszwecken und hat mit Politik nichts zu tun. Doch wer das behauptet, hat nur nicht genau genug hingeschaut, meint Walter Turnowsky. 

Das dänische Königshaus lässt seine Finger von der Politik, so ist es zumindest seit der Osterkrise im Jahr 1920.

Seine Aufgabe ist es, das Königreich Dänemark nach außen hin und bei Staatsbesuchen würdig zu vertreten. Und außerdem soll es den Untertaninnen und Untertanen ein schön wohliges Gefühl des Zusammenhalts und der Gemeinsamkeit geben. Zwei nicht ganz zufällig ausgewählte Szenen zeigen dies.

Gravenstein

18. Juli 2023: Königin Margrethe kommt zu ihrem jährlichen Sommerurlaub am Schloss Gravenstein (Gråsten) an. Sie winkt und lächelt freundlich den Tausenden Menschen zu, die sie bei ihrer Ankunft begrüßen.

Volksnah und königlich zugleich: Königin Margrethe bei der Ankunft zu ihrem jährlichen Sommeraufenthalt in Gravenstein im vergangenen Jahr Foto: Karin Riggelsen

Szenenwechsel: Am 22. Juli 2015 läuft die Dannebrog in den Hafen von Nuuk ein. Königin Margrethe und Prinz Henrik sind in die grönländische Nationaltracht gekleidet. Auch hier werden sie von einer jubelnden Menschenmenge empfangen. Das Regentenpaar hatte sich zuvor Zeit für exklusive Interviews mit den grönländischen Medien genommen, um seine Liebe zu Land und Leuten zu bekunden.

Dass die Königin, wie bereits ihre Mutter, den alljährlichen Sommeraufenthalt in Gravenstein genießt, ist offensichtlich. Auch ihre Liebe zu Grönland (und in etwas geringerem Grad den Färöern) ist, wie bei ihrem Sohn, aufrichtig und ehrlich gemeint.

Sollte jemand behaupten, die Grenzziehung und die Minderheitenfrage sei nicht politisch, gehört ihr oder ihm Nachholunterricht in Geschichte verpasst.

Das ändert jedoch nichts daran, dass beide Situationen auch eine politische – ich möchte sogar sagen hochpolitische – Dimension enthalten. Diese politische Dimension wird vielleicht nach einem erneuten Szenenwechsel deutlicher.

Die Königin und die Minderheiten

Am 24. Juli 1986 besucht die Königin als erste Regentin die deutsche Minderheit. „TV Avisen“ wird am Abend von einem „historischen Ereignis“ sprechen. Margrethe nennt in ihrer Rede die Minderheit eine Bereicherung für das Grenzland.

„Der Nordschleswiger“ vom 25. Juli 1986 Foto: Screendump

Und die letzte Szene verdeutlicht noch mehr, dass das Königshaus eben auch politisch ist. Sie kann an jedem beliebigen 31. Dezember der vergangenen 52 Jahr stattfinden: Königin Margrethe schickt in ihrer Neujahrsansprache einen besonderen Gruß an die „Dänischen“ (de danske) südlich der Grenze.

Mit der Tradition dieses Grußes löst die Königin das politische Versprechen des damaligen Staatsministers Niels Neergaard nach der Volksabstimmung und der „Genforening“ an die dänische Minderheit ein. Bei den Feierlichkeiten auf den Düppeler Schanzen (Dybbøl Skanser) sagte er: „Sie sollen nie vergessen werden“ (seither häufig als „Ihr sollt nie vergessen werden“ kolportiert).

Sollte jemand behaupten, die Grenzziehung und die Minderheitenfrage seien nicht politisch, gehört ihr oder ihm Nachholunterricht in Geschichte verpasst.

Königshaus für Nordschleswig

Und auch das Schloss in Gravenstein hat so einiges mit genau diesen historischen Ereignissen zu tun. Es ist seit 1921 in Staatsbesitz, und 1935 war das Nutzungsrecht das Hochzeitsgeschenk an das damalige Kronprinzenpaar Frederik und Ingrid.

Das Signal war unmissverständlich: Das Königshaus ist eben auch Königshaus für die „Sønderjyder“, die 1920 mit Dänemark wiedervereint wurden. Hier soll daran erinnert sein, dass es in den 30ern auf beiden Seiten der Grenze Kräfte gab, die eine Revision der Grenzziehung anstrebten. Unpolitisch? Von wegen.

Und der Besuch bei der Minderheit 1986? Sollte es nicht ohnehin schon klar sein, dann denke ich, ein Zitat aus der Rede der Königin spricht für sich: „Der Kontakt und die Zusammenarbeit mit der umgebenden Gesellschaft ist für die Minderheit ebenso notwendig wie die innere Stärke.“

Der Zusammenhalt des Reiches

Weitere Beispiele einer solchen politischen Rolle des Königshauses lassen sich leicht entdecken. Da wären etwa die Reden von König Christian X. während der Besatzungszeit, in denen er zu Ruhe, Ordnung, Zusammenhalt und Unterstützung für die Regierung aufforderte, sich also gegen den Widerstand aussprach. Aber auch seine öffentliche Solidarität mit der jüdischen Bevölkerung.

In der jüngsten Vergangenheit finden wir die Rede von Königin Margrethe im Frühjahr 2020, als sie zur Einhaltung der Corona-Richtlinien aufrief.

Die Rolle des Königshauses ist es somit, die Politik, die weitgehend Konsens ist, zu vertreten. Seine wichtigste politische Aufgabe ist, das Königreich mit all seinen Bewohnerinnen und Bewohnern zusammenzuhalten. Womit wir auch im Nordatlantik und beim neuen König angekommen wären. Denn während die Herausforderungen beim Zusammenhalten des Königreichs im vergangenen Jahrhundert im Süden lagen, liegen sie jetzt im Norden.

Prinz Henrik und Königin Margrethe haben 2015 mehrere grönländische Städte und Ortschaften mit der Dannebrog besucht. Die Reise endete in Nuuk. Foto: Leiff Josefsen/Ritzau Scanpix

Dänemark oder Königreich Dänemark

Beim Wahlspruch von König Frederik X. haben einige Kommentatoren herausgestrichen, dass er im Gegensatz zu seiner Mutter nicht Gott erwähnt. Der wichtigste Unterschied ist jedoch meines Erachtens ein anderer. In ihrem heißt es: „Dänemarks Stärke“. Frederik benutzt in seinem Wahlspruch das weniger mundgerechte „Für das Königreich Dänemark“.

Mit Königreich meint er die Reichsgemeinschaft, also Dänemark, die Färöer und Grönland. 1972 differenziert man hier noch weniger; Grönland wurde ohnedies noch von Kopenhagen aus regiert. In seinen bisherigen Äußerungen hat Frederik wiederholt betont, dass er auch König der Färöer und Grönlands ist, und das ist kein Zufall.

Der Wunsch von der Selbstständigkeit

In beiden Ländern gibt es Bestrebungen nach Selbstständigkeit. Auf den Färöern liegt die Unterstützung dafür seit Jahrzehnten bei plus minus 50 Prozent, ist aber momentan kein großes Thema. In der ehemaligen Kolonie Grönland wünschen sich zwischen 60 und 70 Prozent eine eigene Nation. Allerdings ist man wirtschaftlich gesehen deutlich weiter davon entfernt, auf eigenen Füßen stehen zu können als die Färöer.

Wer jetzt meint, Dänemark könne locker auf Grönland verzichten, der übersieht die geopolitische Bedeutung der arktischen Nation. Ohne Grönland ist Dänemark ein (relativ) bedeutungsloser Liliput-Staat; mit Grönland hat man einen heißen Draht nach Washington und anderswo hin.

Frederik hat Grönland regelmäßig besucht. Hier beweist er sein Können auf Langlaufskiern bei den Arctic Winter Games 2016. Foto: Ulrik Bang/Ritzau Scanpix

Frederik wird seine und Marys persönliche Popularität in Grönland nutzen, um Kalaallit Nunaat (Das Land der Grönländer) weiter an Dänemark zu binden, und sei es in Form einer Commonwealth-Lösung. Grönland diskutiert derzeit einen Verfassungsentwurf für einen kommenden eigenen Staat. Dieser sieht eine Republik, keine Monarchie vor.

Die Diskussion über die Selbstständigkeit Grönlands wird während seiner Amtszeit eine der zentralen politischen Auseinandersetzungen in König Frederiks Reich werden. Und er steckt mittendrin.

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