„Ein Zeichen der Rechtspopulisten“

Die sichtbare Grenze: Wie der Wildschweinzaun die Menschen bewegt

Die sichtbare Grenze: Wie der Wildschweinzaun die Menschen bewegt

Wie der Wildschweinzaun die Menschen bewegt

Frank Jung/shz.de
Rosenkranz/Ruttebüll
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Bauarbeiten zur Errichtung des Wildschweinzauns bei Renz (Rens) in der Kommune Apenrade. Foto: Karin Riggelsen

Die 70 Kilometer lange Barriere zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark ist fast fertig – und die Meinungen darüber geteilt.

Peter Madsen lässt seinen Blick entlang der Barriere schweifen und wirkt, als könne er es  immer noch kaum fassen. Aber was vielen bei Ankündigung der Pläne vor anderthalb Jahren wie ein schlechter Witz vorkam, ist real: Unerbittlich zieht sich vor den Augen des Ausflüglers ein anderthalb Meter hoher dunkelfarbener Trennriegel durch die sonst so leere Marschlandschaft. Steigt in Stufen steil den Deich hinauf und auf dessen Außenseite wieder hinunter. Im Vorland geht es noch einige Meter weiter bis ins Watt. Diagonal vorgesetzte Balken verstärken das Bauwerk auf diesem letzten Abschnitt gegen Erschütterungen durch Wellen und Eisgang.

„So etwas gehört einfach nicht in ein Naturgebiet“, urteilt Madsen. Extra aus dem zweieinhalb Stunden entfernten Odense ist der Ingenieur in den Rickelsbüller Koog nördlich des Hindenburgdamms gefahren, um in Augenschein zu nehmen, wie er geworden ist: Dänemarks Grenzzaun gegen die Schweinepest. Auf 70 Kilometern zwischen den Regionen Tondern und Flensburg soll er infizierte Wildschweine von der Einreise ins Königreich abhalten. Nach zehn Monaten nähern sich die Bauarbeiten dem Abschluss. Am Kollunder Wald an der Flensburger Förde setzen Arbeiter die letzte Etappe. Am Montag rechnet die dänische Naturschutzbehörde mit der Fertigstellung.

Reichlich ist darüber diskutiert worden, wie viel Symbolik in dem Zaun über den Schutz der Schweinefleisch-Produzenten hinaus steckt. Mancher meint, die Barriere verkörpere einen Wunsch Dänemarks nach Abgrenzung an sich. Immerhin haben die Rechtspopulisten dort bereits vor der Wildschwein-Idee einen – noch höheren – Zaun gegen unkontrollierte Zuwanderung ins Gespräch gebracht. Und nach Baubeginn angeregt, man könne dann ja zumindest später noch draufsatteln. Peter Madsen hält sich einfach an die Optik und findet: „Das gibt schon einen feindlichen Eindruck. Eher mit Staaten wie Weißrussland würde man so etwas verbinden.“

Der Zaunverlauf in der Marschlandschaft bei Rosenkranz (Nordfriesland). Foto: Marcus Dewanger/shz.de

 

1,5 Milliarden Euro Umsatz mit Schweinefleisch

Auch wenn es im Kopenhagener Parlament eine breite politische Mehrheit inklusive Sozialdemokraten für den Zaun gegeben hat: „Viele Dänen sind gegen den Zaun“, erlebt Madsen. „Aber die Organisationen, die mit Schweinen zu tun haben, haben ja einen starken Einfluss.“ 1,5 Milliarden Euro setzt Dänemark mit dem Export von Schweinefleisch jährlich um. Da müsse man alles versuchen, um eine Infektion des Viehbestands zu verhindern, argumentiert die dortige Agrarlobby und die Politik gleich mit.

In der dem Deich nächsten deutschen Grenzsiedlung Rodenäs ist die Stimmung gemischt, Tendenz Richtung Gleichgültigkeit. „Die Idee ist schon ein Witz“, meint Maren Nielsen, die im einstigen Wohnhaus der Zöllner ein Café betreibt, im Hinblick auf die 20 Durchlässe im Zaun etwa neben Straßendurchfahrten und Bahngleisen. „Ein bisschen massiv“ findet die Gastronomin den Anblick.

Frank Groneberg, der direkt nebenan ein Unternehmen aus der Erneuerbaren-Energien-Branche leitet, hingegen sagt: „So richtig dran gerieben habe ich mich nicht an dem Zaun.“ Seiner Ansicht nach wird „unnötig viel reininterpretiert“. Einen Vorteil hat er der Sache abgewonnen: „Dadurch büchsen jetzt auf der dänischen Seite keine Schafe mehr aus, die bei uns plötzlich im Garten stehen.“

Während in Nielsens „Café Zollhaus“ sich die meisten Gäste nach Angaben der Inhaberin „entsetzt“ über den Wildschweinzaun zeigen, schildert etwa sechs Kilometer weiter östlich auf dänischer Seite der Wirt im „Rudbøl Graensekro“ die Reaktionen etwas zurückhaltender: „Die Meinungen unserer Gäste waren stärker geteilt, als der Zaun noch nicht zu sehen war“, sagt Paul Wendicker. „Jedenfalls ist es etwas geworden, was die Leute sehen wollen.“ Der Gastwirt selbst stellt fest: „Zumindest muss man sagen, dass es keine neue Mauer geworden ist.“ Ihm entfährt aber auch:

„Zuerst war ein Zaun ja nur eine Idee vom rechten politischen Spektrum. Die hätten wohl selbst nicht gedacht, dass etwas daraus wird."

Zur Nordsee hin ist der Zaun extra verstärkt worden. Foto: Marcus Dewanger/shz.de

 

Ein gelebtes Stück Europa ist plötzlich geteilt

Das dänische Rudbøl oder auf Deutsch Ruttebüll, die erste halbwegs geschlossene Ortschaft, wenn man sich von der Küste landeinwärts bewegt, lebt in einer Art Symbiose mit dem Dorf Rosenkranz auf der deutschen Seite. Die Bebauung geht derart ineinander über, dass Lisa Faltings das Auto ihrer Familie trotz Wohnsitz in Deutschland 20 Meter weiter in Dänemark abstellt. „Hier war es bisher nie entscheidend, wer welche Nationalität hat“, stellt die 30-jährige Rosenkranzerin fest.

„Alle Deutschen sprechen Dänisch und umgekehrt. Der Einzelhandel profitiert wechselseitig, es gibt hier ein gelebtes Stück Europa. Und jetzt ist da plötzlich mittendrin dieser Zaun", so Lisa Faltings.

Faltings sieht ihn „superkritisch, als Zeichen der Macht, als Zeichen der Rechtspopulisten“. Aber auch praktische Argumente führt die junge Mutter gegen die Barriere ins Feld, erzählt von Bauern mit Land auf beiden Seiten der Grenze. „Die ärgern sich, weil sie das jetzt nicht mehr so einfach erreichen können.“ Offenbar bleibt man mit landwirtschaftlichem Gerät auch mal in den Zaunmatten hängen: Nur wenige Steinwürfe vom Ort entfernt ist der Zaun auf ein paar Metern heruntergedrückt. Mit bloßen Händen wäre das nicht zu schaffen.

„Seit der Zaun steht, ist der Protest dagegen wieder größer geworden“, hat Faltings in ihrer Nachbarschaft beobachtet. Für die Zeit nach dem Winter, kündigt die Rosenkranzerin an, plane die Dorfgemeinschaft von beiden Seiten eine grenzübergreifende Tafel auf der Straße. Daran wollen die Einwohner dann Grütze essen, als Zeichen fortgesetzter Verbundenheit.

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