Deutsche Minderheit

Kritische Blicke auf deutsch-dänische Erinnerungskultur

Kritische Blicke auf deutsch-dänische Erinnerungskultur

Kritische Blicke auf deutsch-dänische Erinnerungskultur

Knivsberg/Knivsbjerg  
Zuletzt aktualisiert um:
Die Historikerin an der Süddänischen Universität (SDU) in Sonderburg, Caroline Weber, hat sich während der Tagung „Geschichte auf dem Berg“ mit der Erinnerungskultur auch in Verbindung mit dem Grenzjubiläum kritisch auseinandergesetzt. Foto: Volker Heesch

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Die Historikerin Caroline Weber von der Süddänischen Universität (SDU) in Sonderburg warf Fragen nach einer gemeinsamen Sprache zur Vergangenheit der Grenzregion auf. Symbole wie Knivsberg oder Düppel werden aktuellem Bedarf angepasst.

Während der Konferenz „Geschichte auf dem Berg“ in den Räumen der Bildungsstätte Knivsberg hat sich die Historikerin an der Süddänischen Universität (SDU) in Sonderburg (Sønderborg), Caroline Weber, in ihrem Vortrag der Erinnerungskultur im deutsch-dänischen Grenzland gewidmet.

100 Jahre stabile Grenze

„Es ist eine Region, die lange Zeit in der dänischen und der deutschen Nationalgeschichte eine Rolle gespielt hat“, stellte Caroline Weber. Dabei sei in jüngster Zeit vor allem gewürdigt worden, dass die heute Grenze seit 100 Jahren stabil ist, während zuvor seit Beginn des Ersten Schleswigschen Krieges 1848 eine Vielzahl von Grenzlinien zwischen Königsau und Eider als Trennlinie zwischen einem deutschen und einem dänischen Staat aktuell war. Die Referentin sprach die Tatsache an, dass es hinsichtlich der Grenzregion wie bei anderen Geschehnissen oder Orten neben einer kollektiven Erinnerung eine Vielfalt individueller Erinnerungen gebe.

Mette Frederiksens Minderheiten-Würdigung

„Die Erinnerung ist ein wandelbares Feld“, so Weber und griff die Erwähnung der deutschen Minderheit in Nordschleswig in der Ansprache der dänischen Regierungschefin Mette Frederiksen (Sozialdemokraten) in diesem Jahr während der um ein Jahr verschobenen „Wiedervereinigungsfeier“ auf der Düppeler Höhe an.

Mit Lichtbildern wie zum Thema Ansprache Mette Frederiksens auf den Düppeler Schanzen im Juni 2021 illustrierte Caroline Weber ihren Vortrag beim Geschichtstreffen auf dem Knivsberg. Foto: Volker Heesch

 

Dort hatten am 11. Juli 1920 einen Tag nach dem historischen Ritt König Christian X. nach der staatsrechtlichen Übergabe der Souveränität über Nordschleswig von Deutschland an Dänemark Tausende ihr Staatsoberhaupt umjubelt. Fünf Monate zuvor hatte sich eine Mehrheit der Wahlberechtigten in der ersten Abstimmungszone für eine Zugehörigkeit zu Dänemark entschieden – entsprechend der Bestimmungen des Friedensvertrags von Versailles, die eine Abstimmung „en-Bloc“ vorsah, und ein Votum von rund 75 Prozent für Dänemark ergab, allerdings mit deutschen Mehrheiten in Orten wie Tondern, Hoyer, Sonderburg und Apenrade.

Auf Facebook andere Version

„Der Satz in deutscher Sprache Frederiksens, ,auch ihr gehört zu Dänemark‘ erweckte Aufsehen“, so Caroline Weber unter Hinweis auf die starke Verortung des Schlachtfeldes Düppel im Krieg 1864. Und sie wies darauf hin, dass Mette Frederiksen auf  ihrer Facebook-Seite nach der Ansprache nur die Rückkehr des „urdänischen“ Landes zu Dänemark im Jahre 1920 rühmte. „Es gibt immer noch keine gemeinsame Sprache und Worte, um zu beschreiben, was geschehen ist“, stellte die Historikerin fest und illustrierte ihre Ausführungen mit Lichtbildern alter dänische Postkarten von der Königsau-Grenze nach der Einverleibung Schleswigs und Holsteins ins Preußische Königreich nach dem 1864.

Nationalsymbol Düppel

„Die Grenzregion wurde zum dänischen Sehnsuchtsort, das deutsch-preußische Narrativ hat sich ebenso wie das dänische verändert“, sagte sie und lieferte Lichtbilder vom deutschen Düppel-Denkmal, das 1945 gesprengt worden ist, und dänische Düppel-Darstellungen auf einem 1920-Abstimmungsplakat und in einem dänischen Zeitungsartikel von 1992. „Eine Deutung dieser Art belegt, dass zu allen Zeiten Symbole entsprechend dem gerade aktuellen Bedarf umfunktioniert werden“, zitierte Weber die Sonderburger Museumsmitarbeiterin Inge Adriansen, die sich wissenschaftlich mit den dänischen Nationalsymbolen auseinandergesetzt hat. Aus dem Symbol der dänischen Niederlage an den Düppeler Schanzen wurde ein positives dänisches Nationalsymbol.

Minderheit vielfältig

Zu den Äußerungen über die deutsche Minderheit anlässlich der diesjährigen dänischen Grenzjubiläumsfeier auf den Düppeler Schanzen meinte Caroline Weber kritisch, dass diese „nicht den Kern treffen“, denn die deutsche Minderheit ist ja nicht in Nordschleswig hinzugekommen, sondern in der Region immer heimisch. Sie kritisierte auch, dass in den Äußerungen nicht berücksichtigt werde, dass es nicht die deutsche Minderheit gebe, sondern viele unterschiedliche Menschen mit individuellem Selbstverständnis. Und so ging die Historikerin auch auf die Wandlung des Knivsbergs als Symbol ein.

 

Ein Postkarte vom Knivsberg um 1910. Der 1945 gesprengte Turm war mit der Bismarck-Statue ein Symbol des preußischen Nationalismus, aber auch ein Zeichen der Niederlage der Bewegung für ein unabhängiges Schleswig-Holstein, wie Historiker Hans Schultz Hansen bei der Geschichtsveranstaltung am Sonnabend in der Bildungsstätte Knivsberg feststellte. Foto: Knivsberggesellschaft / Sammlung Jürgen Drexel.

 

„Seit 1895 war das Knivsbergfest ein Ausdruck des deutschen Nationalismus, mit einem übergroßen Bismarckturm. Inzwischen ist das Knivsbergfest nicht mehr das des 19. Und 20. Jahrhunderts“, sagte sie und ging auch auf die bis heute andauernde Geheimniskrämerei um die Personen ein, die im August 1945 den Knivsbergturm in einer illegalen Aktion gesprengt haben, dessen Bismarck-Statue bereits 1919 „evakuiert“ worden war und heute auf dem Aschberg auf den Hüttener Bergen steht.

Neue Fragen stellen

Dass es Spannungen gebe, zeigten die Kontroversen über zweisprachige Ortstafeln. Caroline plädierte Weber plädierte dafür, neue Fragen an die Grenzregion und die Minderheiten zu stellen, damit nicht jeder oder jede nur im eigenen Narrativ verharre. „Es wurde anfangs ein deutsch-dänisches Freundschaftsjahr angekündigt, der Geburtstag der Minderheiten, aber nördlich der Grenze wurde letztlich das nationale dänische Narrativ von 1920 wiederholt und südlich der Grenze hieß es, wir feiern das gemeinsam“, stellte sie etwas süffisant fest und empfahl künftig nicht immer nur zu feiern, was vor 100 oder 75 Jahren passiert ist, sondern aktuelle Dinge an kulturellen Orten mit einer oft einzigartigen Geschichte zu vermitteln.

Caroline Weber lobte die Veranstaltung mit den vielen interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern als etwas Besonderes, denn es konnten Vorträge in deutscher und dänischer Sprache und ebenso Diskussionen stattfinden, ohne dass jemand Kopfhörer mit Übertragung von Übersetzungen aufsetzen musste. Und sie hob abschließend hervor, dass die Grenzschließungen wegen der Corona-Pandemie eigentlich am stärksten das Bewusstsein für das echte Leben in der Grenzregion im Jubiläumsjahr geschärft habe.        

 

Mehr lesen

VOICES – MINDERHEITEN WELTWEIT

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
„Sudan am Rande einer Hungersnot“