Leitartikel

„Setzt doch selbst eure „One Love“-Zeichen“

Setzt doch selbst euer „One Love“-Zeichen

Setzt doch selbst eure „One Love“-Zeichen

Apenrade/Aabenraa
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Armbinden bei der Fußball-WM in Katar: Können wir von Spielern erwarten, ihren Lebenstraum zu gefährden, um Zeichen zu setzen? Wer das verlangt, sollte sich selbst hinterfragen, schreibt Marle Liebelt. Sie meint: Viele argumentieren scheinheilig und anmaßend.

Ich bin die Kommentare zur „One Love“-Binde bei der WM in Katar leid. Die Teams hätten kein Rückgrat, sie sollten sich ein Beispiel an den iranischen Spielern nehmen, die ihre eigene Nationalhymne nicht mitgesungen haben, um sich solidarisch mit den Protesten in ihrem Land zu zeigen. 

Dass die Fifa moralische Werte nicht hochhält, dämmerte vielen bereits und steht nach dem Armbinden-Verbot außer Frage. Aber die Kommentare, die derzeit in den Medien zu lesen und zu hören sind, sind scheinheilig. Ja, Sport und Politik sind nicht einfach zu trennen – zumindest nicht bei dieser Größenordnung. Aber die Forderungen an die Spieler, Rückgrat zu zeigen und trotz Sanktionen ein Zeichen zu setzen, sind fehl am Platze und anmaßend.

Die Fußballer haben ihr Leben dem Leistungssport verschrieben, ihre Jugend geopfert und stehen vor dem Höhepunkt ihrer Karriere. Mal ganz ehrlich – würdest du persönlich das Opfer bringen und eine erfolgreiche WM für die Armbinde aufs Spiel setzen?

Finger heben und dabei nicht mal gendern

Ein Journalist kommentierte diese Woche, dass er nach der DFB-Entscheidung jetzt die Spieler in der Pflicht sieht. „Soll die Fifa doch einen Spieler nach dem anderen verwarnen. Soll sie doch unsere ganze Mannschaft vom Platz stellen“, sagt er und appelliert an das deutsche Team: „Lieber mit One-Love-Binde einen Punktabzug riskieren und in der Gruppenphase rausfliegen, als ohne Weltmeister werden.“

Deutschlands grüner Wirtschaftsminister Robert Habeck betonte am Dienstagabend in der „ZDF“-Talkshow von Markus Lanz zwar, er sei kein Spielerberater, sondern Politiker. Wenn es jedoch nach ihm gehe, solle Manuel Neuer die Binde tragen und es „drauf ankommen lassen“. 

Auch die sozialen Medien sind derzeit voll von diesen Äußerungen. 

 

Diese Aussagen sind anmaßend. Ausgerechnet diejenigen, die etwas in der Gesellschaft bewegen könnten, die die marginalisierte queere Community sichtbar machen oder sie mit mehr Rechten ausstatten könnten, zeigen nun mit dem Finger auf einzelne Fußballspieler. Sie fordern sie auf, trotz möglicher Konsequenzen, ein Zeichen zu setzen, zu dem sie sich selbst nicht durchringen können. 

Gerade Robert Habeck muss doch wissen, wie es ist, Kompromisse zu machen. Oder so ziemlich alle deutschsprachigen Medienhäuser: Wo ist denn deren Zeichen? Sie können sich doch nicht einmal dazu durchringen zu gendern. Abgesehen von ausgewählten Formaten, auf denen nicht mit viel Gegenwind zu rechnen ist, macht sich das Sternchen oder der Doppelpunkt ansonsten ziemlich rar auf ihren Plattformen. 

Sie zeigen jetzt mit dem Finger auf einzelne Fußballspieler und fordern, trotz Konsequenzen, ein Zeichen zu setzen, zu dem sie selbst sich nicht durchringen können. 

Marle Liebelt

Auch ich hatte in meinem Journalistinnen-Leben schon viele Gelegenheiten, gegenderte Texte gegen den Willen meiner Arbeitgebenden zu veröffentlichen und damit ein Zeichen zu setzen. Habe ich das gemacht? Nein, ich wollte Sanktionen oder gar die Kündigung nicht in Kauf nehmen. Stattdessen warte ich auf das gesamt-redaktionelle Umdenken der Verlagshäuser.  

Was Kasper Hjulmand sagt

Kasper Hjulmand, Trainer der dänischen Nationalmannschaft, hat etwas völlig Richtiges und Wichtiges gesagt: „Es ist sehr schwer, den Spielern die Verantwortung aufzubürden. (…) Vielleicht können wir etwas anderes machen, wir werden sehen.“

Genau das ist der Punkt: Ja, es muss etwas passieren. Denn Sport und Politik sind nicht zu trennen. Doch es sind die Strukturen – Regierungen, Organisationen, Institutionen – die dieser Änderung verpflichtet sind.

Zwar ist es löblich, wenn Einzelpersonen im Kampf für das Gute persönliche Opfer bringen, bis sich diejenigen, die die Strukturen festlegen, gezwungen sehen, etwas zu verändern. Solche Vorreiterinnen und Vorreiter lieben die Menschen und feiern sie dafür.

Aber in Wirklichkeit wäre es angebracht, wenn diese heroischen Kämpfe nicht nötig wären und diejenigen, die Verantwortung tragen, von sich aus die Werte der Gerechtigkeit lebten. Stattdessen zeigen einige von ihnen jetzt auf Einzelpersonen und kreiden ihnen an, nicht ihre persönlichen beruflichen Chancen aufs Spiel zu setzen. Das ist nicht nur unangemessen, sondern peinlich. 

Die Ironie des Ganzen

Ironischerweise hat diese ganze Debatte aufgrund des Verbots schon jetzt so viel mehr Aufmerksamkeit erreicht, als es das Tragen der „One Love“-Binde ohne die Gegenwehr jemals hätte tun können. 

Es wäre schade, wenn es bei der Pöbelei gegen Fifa, DfB oder Spieler bleibt. Es muss hängen bleiben, dass Themen wie Gender-Equality, sexuelle Vielfalt und Diversität im Allgemeinen noch viel mehr Raum gegeben werden muss. 

Wer sich gegen diese Werte stellt, muss Konsequenzen erfahren. An all diejenigen, die jetzt den Finger heben und meinen, die Spieler bei der WM sollten an ihrem Zeichen festhalten: Setzt selbst eure Zeichen.

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