Buchbesprechung

Erinnerungen an eine Kindheit in Nordschleswig

Erinnerungen an eine Kindheit in Nordschleswig

Erinnerungen an eine Kindheit in Nordschleswig

Andrea Kunsemüller
Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:
Das Schöne und Kostbare an dem Buch von Marion Elly Knutz ist, dass es sowohl das Erwachsenwerden als auch die Zugehörigkeit zur Minderheit beschreibt, findet Andrea Kunsemüller. Foto: Unsplash/Tom Hermans

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In dem Buch „Zwischenwelten – Eine Kindheit in Nordschleswig“ von Marion Elly Knutz geht es darum, wie es ist, in der deutschen Minderheit in Dänemark aufgewachsen zu sein. Andrea Kunsemüller hat das Buch gelesen und erklärt, warum sie davon begeistert ist.

Eigentlich habe ich gar keine Lust auf Erinnerungen. Sie schwirren eh ständig im Kopf herum, machen sich selbstständig und begleiten mich durch den Tag – mal aufdringlicher, mal weniger aufdringlich.

Als ich aber Marion Elly Knutz’ kleines Buch „Zwischenwelten – Eine Kindheit in Nordschleswig“ lese, werde ich wie ein Stück Löschpapier: Ich sauge die Worte, die Gefühle, die Erinnerungen auf, freue mich an den Schilderungen, weil sie mich fühlen lassen, wie es damals war. Ihre Bilder, ihre Sprache nehmen mich auf. Marion wurde 1956 in Nordschleswig geboren, besuchte die deutsche Schule, war Teil der Minderheit.

Deutsch oder Dänisch?

Sie versuchte, sich freizuschwimmen und hat doch ein wichtiges Stück Leben in Nordschleswig gelassen. Irgendwann gelingt es, erwachsen zu sein und ein wenig freier. Jetzt, nach vielen Jahren, kann man die Kinderheimat wieder leben. Man kann ein Stück Vertrautheit in Nordschleswig atmen, auch ein Stück Sehnsucht nach dem, was fehlt. Und immer fehlt etwas. Ist einem das in die Wiege gelegt oder ist das eine Folge davon, dass man nicht weiß, was einem näher ist: Deutsch oder Dänisch?

„Pattburg ist die erste Station in Dänemark hinter der Grenze. Der Ort strahlt eine Schläfrigkeit aus: Bin am Ende der Welt angelangt, wenn ich aus Kiel komme. Gleichzeitig ist es der Beginn meiner vertrauten Heimat. Die etwas humorvolle und gemütliche Art des dänischen Bahnwärters lockt in mir Gefühle hervor wie: Gerettet, nun bin ich geborgen. Nun kann mir nichts mehr passieren. Anscheinend trage ich immer ein Stück Angst in der Fremde in mir, auch Deutschland gehört für mich zur Fremde, obgleich ich in Dänemark deutsch bin.“

Das Buch ist am 1. Juli bei der Husum Druck- und Verlagsgesellschaft erschienen. Foto: Privat

Marion Elly Knutz stammt aus Hadersleben (Haderslev). Ihre Familie hatte ein Manufakturgeschäft in der Norderstraße. Eine alteingesessene Familie, die zu einem Teil deutsch, zum anderen dänisch war. Marions Zweig der Familie fühlt sich der deutschen Minderheit zugehörig. Zwischen Deutsch und Dänisch tun sich durch die Besetzung Dänemarks und Krieg Gräben auf. Geschwister, Onkel und Neffen reden nicht mehr miteinander, und als deutsche Minderheit ist man nicht gern gesehen.

So gehört zur Kindheit von Marion Knutz eine gewisse Einsamkeit, denn auch nach dem Krieg waren Deutsche Gegner – Deutsche sind zu groß, zu direkt, zu bedrohlich.

„Verlassenheit kriecht in meine Glieder und unter die Haut“, schreibt Marion Elly Knutz, und: „Ängstlich bin ich nach wie vor. Warum ist Deutschland für mich als Kind der deutschen Minderheit noch lange nicht mein Zuhause?“

Gefühl des Unbehagens in der Kindheit

Als Kind der Zwischenwelten – weder Deutsch noch Dänisch – tut sie sich schwer mit dem, was wir mit Identität beschreiben. Marion nimmt eine andere Perspektive ein und lebt ein Jahr in Uppsala in Schweden, will sich befreien von der Zeit. Der Kindheit. Sie will erwachsen werden. „Ich will ins Offene und halte mich fest an der Angst vor dem Gefährlichen.“

Ich kenne das Gefühl der Angst, bzw. des Unbehagens sehr gut aus meiner eigenen Kindheit und Jugend, und immer noch zucke ich zusammen, wenn wir auf der Straße in Dänemark Deutsch reden. Ein kurzer Moment nur, dann übernimmt die Ratio. Natürlich dürfen wir Deutsch sprechen. Das ist das Recht der deutschen Minderheit. Auch wir sind hier zu Hause. Aber was ist Recht schon gegen das Gefühl, dadurch allein zu sein?

„In unserer Familie mischen sich Menschen, die sich dänisch und deutsch fühlen. Mit Onkel Karl, mit Onkel Karl-Heinz, Onkel Peter spreche ich deutsch und mit Onkel Nis und Onkel Rasmus dänisch. Ich wähle die eine oder andere Sprache oder den Dialekt aus, je nachdem, wen ich gerade vor mir habe. Manchmal werden die unterschiedlichen Sprachen wie ein buntes Sammelsurium miteinander vermischt. Für Außenstehende ist es schwer zu verstehen, was gesagt wird. Ich weiß immer, mit wem ich die eine oder die andere Sprache spreche. Ich weiß, dass ich mit den Angestellten im Geschäft dänisch sprechen muss. In der Schule wird mir deutlich, wie ich selbst die Sprachen vermenge. Es macht mich traurig, festzustellen, weder die eine noch die andere Sprache wirklich fließend sprechen zu können.“

Geborgenheit und Verlassensein in der Minderheit

Wie kompliziert sind diese Zwischenwelten aus Deutsch und Dänisch. Und dennoch liest sich das Buch wunderbar leicht. Was also macht den Zauber des Buches aus? 

Ist es die Poesie der Sprache oder ist es, weil hinter den Bildern die Einsamkeit steckt, die uns förmlich einwebt und mitnimmt in das Land des Alleinseins, während die deutsche Minderheit als Gruppe gleichzeitig Geborgenheit und Heimat verspricht?

Beides existiert vielleicht in allen Minderheiten: Geborgenheit und Verlassensein. Nach innen, in die Minderheit hinein ist das Gefühl, dazuzugehören vordringlich, und nach außen, in die dänische Umwelt, das Gefühl, nicht richtig zu sein, weil anders. Das hat sich möglicherweise jetzt gegeben. Die Stigmatisierung gehört der Vergangenheit an – vielleicht. Die deutsche Kriegsschuld ist verjährt. Ist sie das?

Wie einfach ist es geworden, dazuzugehören!

Marion kehrt zusammen mit ihrem Mann, der auch Theologe ist, nach Nordschleswig zurück. Sie teilen sich eine Stelle als Pastoren in Gravenstein (Gråsten). Es sind gute Jahre, und dadurch gibt es auch bei den Kindern von Marion und Matthias Knutz-Kempendorf Besonderheiten beim Gebrauch der deutschen Sprache, Danismen – etwa, wenn Sahne „gepeitscht“ wird und wenn „etwas Sünde ist“.

Sprache ist für Marion Elly Knutz eine Kostbarkeit, ein unmittelbarer Ausdruck ihrer selbst. Sprache ist ihr Zuhause, wo und wie auch immer. Heute lebt sie in Rendsburg, und das Sommerhaus steht in Nordschleswig. Beides ist Zuhause.

An einer Stelle schreibt sie: „Zuhause ist für mich dort, wo Widersprüchliches in mir gespürt und gelebt werden darf und nicht aufgehoben werden muss, um eindeutig zu sein.“

Marion Elly Knutz schreibt Gedichte. „Gedichte sind ein Schrei, gesehen und gehört zu werden: Ich | Wer da? | Ich | Wer ist ich? | Ich bin ich | Ja.“

„Zwischenwelten – eine Kindheit in Nordschleswig“ ist ein sehr persönliches, ein schönes Buch. Unbedingt empfehlenswert.

71 Seiten, 5,95 Euro, Husum Taschenbuch, ISBN 978-3-96717-083-2

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