Erpressung

Kieler LKA warnt: Falsche Chatfreunde überreden Kinder und Jugendliche zu Nacktaufnahmen

Falsche Chatfreunde überreden Kinder und Jugendliche zu Nacktaufnahmen

Falsche Chatfreunde überreden Kinder zu Nacktaufnahmen

Eckard Gehm/SHZ
Kiel
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Kriminelle versuchen ihre Opfer mit Sex-Aufnahmen zu erpressen. Foto: 84473867

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Es beginnt mit einem Online-Flirt und endet mit einer Erpressung. Mit einem Trick erschleichen sich kriminelle Banden Nacktaufnahmen. Eine perfide Masche, der aktuell viele junge Menschen zum Opfer fallen.

Lange Zeit war „Sextortion“, eine Wortkombination aus „Sex“ und „Extortion“, also Erpressung nur ein simpler Bluff per Mail. Die Täter drohten, angeblich per Hack erbeutete intime Aufnahmen zu veröffentlichen. „In Schleswig-Holstein ist kein Fall polizeilich bekannt, bei dem eine derartige Aufnahme auch wirklich existierte“, sagt Carola Jeschke, Sprecherin im Landeskriminalamt (LKA)

Mittlerweile aber bringen die Täter Menschen dazu, ihnen freiwillig Nacktaufnahmen zu schicken, womit sie dann tatsächlich kompromittierendes Material in der Hand haben.

„Hast du schon mal Cam-Sex gemacht?“

Und das funktioniert so: Mit gefakten Accounts nehmen die Täter über Instagram, Tinder oder Facebook Kontakt auf, bevorzugte Zielgruppe sind junge Männer, aber vielfach auch Kinder und Jugendliche. Es wird geflirtet, teilweise erstrecken sich die Chats über mehrere Tage. Die vermeintliche Chatfreundin fragt dann: „Hast du schon mal Cam-Sex gemacht?“

Das vermeintliche Live-Video ist nur eine Konserve

Er sei aufgefordert worden, Google Meet zu nutzen, erzählt ein junger Mann (21), der erpresst wurde, in einem Interview. „In dem Video war zu sehen, wie ein Mädchen erst freundlich gegrüßt hat und sich dann langsam auszog. Mit der Intention, dass ich im selben Takt mitmache.“

Doch das vermeintliche Live-Video des Mädchens war nur eine Konserve und ein Gespräch war nicht möglich, da angeblich das Mikrofon kaputt sei. Nach dem Videocall folgte unmittelbar das Erpresserschreiben mit angefügten „Beweisbildern“. 7200 Euro sollte der junge Mann zahlen, ansonsten würden die Aufnahmen an seine Social-Media-Kontakte geschickt – was dann auch passierte.

Eine Vielzahl von Fällen auch in Schleswig-Holstein

„Mittlerweile gibt es in Schleswig-Holstein eine Vielzahl von Fällen, bei denen Täter versuchen, ihre Opfer zu freiwilligen sexuellen Handlungen im Rahmen eines gemeinsamen Chats zu bewegen“, sagt LKA-Sprecherin Jeschke. Anschließend werde Geld gefordert und eine Veröffentlichung der gespeicherten Bilder oder Videos im Freundes- und Bekanntenkreis angedroht.

Auffällige Zunahme von betroffenen Kindern und Jugendlichen

Genaue Zahlen kann die Polizei nicht nennen, da „Sextorsion“ nicht als eigenes Delikt geführt wird. Jeschke: „Festzustellen ist jedoch, dass seit etwa Mitte 2022 eine auffällige Zunahme im Bereich von geschädigten Kindern und Jugendlichen im Bereich der Ansprechstelle Kinderpornografie beim LKA Schleswig-Holstein und auch insgesamt bundesweit zu verzeichnen ist.“

Bezahl werden soll mit „Paysafe“- oder „Steam“-Gutscheinkarten

Die Kieler Ermittler gehen von einer hohen Dunkelziffer aus, weil das Thema gerade für die kindlichen und jugendlichen Opfer schambehaftet sei. „Von ihnen werden häufig Geldsummen von zwei- bis zu vierstelligen Beträgen gefordert“, ergänzt Jeschke. Die Bezahlung solle über Gutscheinkarten von „Paysafe“ oder „Steam“ erfolgen, die auch ohne eigenes Konto in Supermärkten und Tankstellen gekauft werden könnten.

Eltern fassungslos, wenn die Polizei sie informiert

Beim Bundeskriminalamt gehen täglich etwa zehn Hinweise auf entsprechende Erpressungsversuche von Jugendlichen ein. Allerdings nicht nur von Opfern. Häufig erhalten die Ermittler einen Hinweis vom US-amerikanischen „National Center for Missing and Exploited Children“, einer Organisation, der die großen Internetkonzerne verdächtige Aktivitäten melden. „Doch oft kommen wir zu spät, da befinden sich die Jugendlichen schon in der Notlage“, sagt Hans-Joachim Leon, der beim BKA den Fachbereich für Gewalt- und Sexualdelikte leitet. Die Eltern seien meist fassungslos, wenn sie informiert würden.

Kinderschutzbund: Jugendlicher war vollkommen aufgelöst

Susanne Günther vom Kinderschutzbund Schleswig-Holstein berichtet, wie sehr ein solcher Erpressungsversuch einem Jugendlichen zugesetzt hat. „Er war völlig aufgelöst und panisch. Weil er sich aber seiner Mutter anvertraut hat, ist sie zu uns gekommen und wir konnten die richtigen Ansprechpartner bei der Polizei vermitteln.“ Dass sich dann da jemand sehr kompetent kümmerte, habe dem Jugendlichen sehr geholfen.

Weißer Ring betreut zwei zehnjährige Mädchen

Die Opferschutzorganisation Weißer Ring betreut noch keine Opfer, von denen Geld erpresst wurde. Wie Karl-Heinz Rath, Leiter der Außenstelle Rendsburg-Eckernförde, betont, gebe es jedoch einen weiteren Zweig, der für die Opfer ebenso traumatisierend sei. „Wir haben aktuell zwei Fälle von jeweils zehnjährigen Mädchen, bei denen Täter sich mit falschen Identitäten in Chats das Vertrauen erschlichen haben und sie dann zum Versenden von Nacktbildern überredeten.“ Hier seien sexuelle Motive der Antrieb der Pädokriminellen.

„Eltern sollten sich dafür interessieren, wo in der digitalen Welt ihre Kinder gerade sind.“

„Willkommen in der Lebenswirklichkeit unserer Kinder“. Das ist der Satz, mit dem Susanne Günther vom Kinderschutzbund die bestehenden digitalen Gefahren beschreibt. Sie sagt: „So wie Eltern früher ihre Kinder gefragt haben, wo sie hingehen, sollten sie sich heute dafür interessieren, wo in der digitalen Welt sie gerade sind und wen sie treffen.“

Bundeskriminalamt vermutet die Erpresser in Westafrika

Die Erpresser zu ermitteln, ist schwierig. Jeschke: „Da die Täter vorwiegend aus dem außereuropäischen Ausland agieren, ergeben sich besondere Schwierigkeiten bei den Ermittlungen – aufgrund langwieriger Rechtshilfeverfahren und mangelnder Auskunftsmöglichkeiten der jeweiligen Staaten.“ Aus den hinterlassenen IP-Adressen der Täter hätten sich Hinweise auf den afrikanischen Kontinent ergeben, so die LKA-Sprecherin weiter. Das Bundeskriminalamt vermutet die Täter in Westafrika.

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