Knivsberg

August Julius Langbehn – eine schwierige Geschichte

August Julius Langbehn – eine schwierige Geschichte

August Julius Langbehn – eine schwierige Geschichte

Frank Lubowitz
Nordschleswig/Knivsberg
Zuletzt aktualisiert um:
August Julius Langbehn Foto: Privat

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Historiker Frank Lubowitz schreibt über August Julius Langbehn und das Langbehnhaus auf dem Knivsberg – der Begegnungsstätte der deutschen Minderheit in Nordschleswig.

Zum ersten Mal – aber im Rahmen eines „politischen Forums“ im Haus Nordschleswig 2015  ausgesprochen hitzig – wurde der Namensgeber der 1931 eingeweihten Jugendherberge auf dem Knivsberg, August Julius Langbehn, diskutiert.

Dabei ging es um die Fragestellung, wie geht man mit den Personen um, die in ihrer Zeit und bei den folgenden Generationen kulturell und gesellschaftlich von großem Einfluss waren, deren Thesen und Haltungen aber weit davon entfernt sind, in unsere Zeit zu passen.

Handelt es sich nur um ein Buch, bei dessen Inhalt man heute die Augenbrauen hochziehen und dessen Thesen man ablehnen würde, so erledigt sich die Sache fast von selbst: Wird es nicht mehr aus dem Regal geholt und gelesen, wandert es allmählich in die hinterste Ecke des Bücherschrankes und fällt dort dem Vergessen anheim.

Langbehnhaus auf dem Knivsberg

Schwieriger ist es, zum Beispiel mit einer Straßenbenennung oder in diesem Fall mit der Benennung eines für die deutsche Volksgruppe zentralen Gebäudes umzugehen.

In Deutschland werden etwa erbitterte Diskussionen über die Benennung von Straßen nach Paul Lettow-Vorbeck (Cuxhaven, Bünde, Kaiserslautern, Wuppertal, Hannover) oder Carl Peters (Kiel, Berlin, Hamburg, Bremen, Köln, Bielefeld), beide tief in einen rassistischen Kolonialismus verwickelt, geführt, aber auch Reichspräsident Paul von Hindenburg ist zumindest in Kiel als Namensgeber des Hindenburgufers, jetzt Kiellinie, verschwunden.

In Nordschleswig geht es um August Julius Langbehn und die Frage, ob die Thesen und Haltungen, für die sein zwischen 1890 und den 1920er Jahren einflussreiches Buch steht, in unserer Gegenwart noch hinnehmbar sind.

Das Langbehnhaus auf dem Knivsberg Foto: arkiv.dk

Langbehn stammte aus Hadersleben

August Julius Langbehn wurde 1851 in Hadersleben geboren. Er studierte zunächst in Kiel, nahm 1870/71 als Freiwilliger am Krieg gegen Frankreich teil, setzte sein Studium fort, wechselte nach München und begab sich von dort auf eine Reise nach Italien, was den Anlass gab, seine bisherige philologische und naturwissenschaftliche Studienrichtung zugunsten der Archäologie aufzugeben. Im Fach Archäologie wurde er 1880 promoviert und erhielt ein zweijähriges Stipendium in Rom.

Die Neue Deutsche Biografie bezeichnet ihn als Kulturphilosoph. Zeit seines Lebens war er unstet, durchstreifte als ein von Gönnern finanziell unterstützter vagabundierender Bohemien ohne Beruf und festen Wohnsitz Europa.

Junger Mann auf der Suche

Er war, so kann man es wohl sagen, „auf der Suche“, und dies spiegelt sich in seinem Werk, in dem er keine zusammenhängenden Sinndeutungen seiner Gegenwart zu geben vermag, sondern die gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit einer sehr subjektiven Kritik unterzieht, die im Stil feuilletonistisch und eklektisch ist.

Langbehns Gefährte und Herausgeber der auf Langbehns Tod folgenden Ausgaben seines Buches bezeichnet es 1927 als „eine hinfließende Rede“ voller Wortspiele und Andeutungen.

Worum handelt es sich nun bei Langbehns wirkungsmächtigem Hauptwerk, dem vor allem von Kulturpessimismus, aber auch von Antisemitismus geprägten Buch „Rembrandt als Erzieher“? Es erschien erstmals im Jahr 1890 anonym, zur Autorenschaft hieß es „von einem Deutschen“, allerdings wurde Langbehn als Autor bald bekannt.

Erfolgreiches Rembrandt-Buch

In diesem Werk fasste er all das zusammen, was das deutsche Klein- und Bildungsbürgertum angesichts der rapiden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung seit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 bewegte und ängstigte.

Das Rembrandt-Buch wurde auf Anhieb ein gewaltiger Erfolg mit 60.000 Exemplaren allein im ersten Jahr. Bis 1893 erschienen über 40 Auflagen, 1936 ist die 85. als letzte Auflage erschienen.

Das Buch hatte einen wesentlichen Einfluss auf die kulturelle und geistige Entwicklung zwischen 1890 und dem Ersten Weltkrieg, insbesondere auf die deutsche Jugendbewegung: den Wandervogel vor dem Ersten Weltkrieg und nach dem Krieg auf die Bündische Jugend in der Weimarer Republik.

Kult- und Kulturbuch

Ohne Übertreibung kann man Langbehns „Rembrandt als Erzieher“ als das Hauptwerk – das „Kultbuch“ – der deutsch-idealistischen Kultur- und Lebensreformbewegung zur Jahrhundertwende bezeichnen.

Langbehns Kulturpessimismus sieht in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und in der zunehmenden Verstädterung sowie in der Moderne mit ihrem wissenschaftlichen Denken sowie im Materialismus und Liberalismus, in den Entwicklungen von Demokratie und Sozialismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts eine Degenerationserscheinung.

Dem setzt er eine „völkische Wiedergeburt“ aus der Kunst und aus dem Geist des „Niederdeutschen“ entgegen, die mit den neu aufkommenden Strömungen von Lebensreform, Individualismus, Heimatverbundenheit und Landleben verbunden ist. In dem im Titel genannten Rembrandt sah er den Inbegriff von Wahrhaftigkeit, Innerlichkeit und Glauben verkörpert.

Dazu gehörte allerdings auch ein in der Zeit verbreiteter Antisemitismus und bei Langbehn damit verbunden die Verherrlichung eines „treu-biederen niederdeutschen“ Ariertums.

Antiliberale Haltung

Diese antimoderne und antiliberale Haltung kam dem Denken großer Teile des deutschen Bürgertums im Kaiserreich entgegen. Sie bot Formeln für alle diejenigen, die bislang in einer als Sinnkrise erlebten Epoche sprachlos geworden waren. Und das trotz Langbehns  unsystematischen Gedankenganges oder gerade deswegen!

Ein solches Buch traf um die Wende vom 19. zum  20. Jahrhundert den Geist vor allem auch jener Menschen, die sich als „Lebensreformer“ verstanden und einerseits die Abkehr von der Gesellschaft, verbunden mit dem Anspruch ihrer wahren Führung und Erneuerung, vertraten.

So wenig wie das Buch in seiner sprunghaften pseudo-philosophischen Sprache und seiner antisemitischen Haltung heute überhaupt noch lesbar ist, so sehr muss man es andererseits in die Strömungen der Zeit einordnen, um seine Wirkung zwischen 1890 und 1935 zu verstehen – und um erklären zu können, warum die damalige Jugendherberge auf dem Knivsberg den Namen „Langbehnhaus“ trägt.  

Toepfer als Namensgeber

Denn es war der Stifter der Jugendherberge auf dem Knivsberg, der die Namensgebung und die Widmung über dem Eingang beim Bau des Hauses 1931 durchsetzte.

Die Namensgebung erfolgte auf ausdrücklichen Wunsch des Stifters, des Hamburger Großkaufmanns Alfred C. Toepfer (1894-1993), der der Wandervogelbewegung eng verbunden war und für den das Buch „Rembrandt als Erzieher“ eine große Bedeutung hatte.

Toepfer hatte sich 1912 dem Wandervogel angeschlossen, wobei er Langbehns Buch „Rembrandt als Erzieher“ als prägend für sein Denken bezeichnete.

Das Langbehn-Haus auf dem Knivsberg Foto: arkiv.dk

Nach der Gründung seines Handelsunternehmens nach dem Ersten Weltkrieg begann Toepfer ab 1926 Projekte der Jugendförderung zu finanzieren. Seine Spendentätigkeit war dabei geleitet von der Idee einer „Erneuerung des Volkstums als Grundlage des deutschen Wiederaufstiegs“ nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg; gedanklich stand Toepfer damit in Nordschleswig Johannes Schmidt-Wodder nahe. Auch Schmidt-Wodder sah in Langbehn einen großen Wegbereiter für die „Kraft des Volkstums“.

Die 1931 von Toepfer gegründete F.V.S-Stiftung (heute Alfred Toepfer Stiftung F.V.S) nannte als Stiftungszweck „Förderung des Deutschen Volkstums in Europa“, insbesondere in den an das Reich grenzenden, aber jenseits der Reichsgrenzen liegenden Ländern und Gebieten deutschen und niederdeutschen Volkstums. Schmidt-Wodder gehörte zu den ersten Mitgliedern des Stiftungsrates.

Proteste aus Nordschleswig

Allerdings war die Namensgebung nicht unumstritten. Schmidt-Wodder und ebenso Vertreter der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche sprachen sich energisch gegen die Benennung des Hauses nach Langbehn aus. Dabei traten zwei Hauptargumente hervor: Zum einen die Tatsache, dass lediglich der Geburtsort Hadersleben, ansonsten aber weiter nichts Langbehn mit Nordschleswig verband, gewichtiger noch war aber das Argument, dass Langbehn im Jahr 1900 zum Katholizismus konvertiert war.

Toepfer beharrte allerdings nach dem Motto, wer bezahlt, bestimmt die Musik, auf der Namensgebung, allerdings wurde der Widmungstext durch den Zusatz ergänzt „Dem Rembrandtdeutschen …“, dieser Kompromiss betonte das Norddeutsch-Protestantische.

Mehrfach ist die Namensgebung nach August Julius Langbehn in den vergangenen Jahrzehnten in die Kritik geraten. Wobei nicht vergessen werden darf, dass Langbehn 1907 auf einer Reise nach Italien in Rosenheim starb.

In einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus lässt er sich somit nicht stellen, zumal die Nationalsozialisten mit Langbehns im 19. Jahrhundert fußender Weltdeutung nicht sonderlich viel anzufangen wussten und nach 1935 keine weiteren Auflagen dieses Bestsellers aus der Kaiserzeit drucken ließen.

Haltung löst Unbehagen aus

Dennoch lässt sich das, was bei Langbehn dem heutigen Leser mit dem Wissen, wohin sein antidemokratischer und antisemitischer Kulturpessimismus geführt hat, Unbehagen auslöst, nicht wegdiskutieren.

Sein Buch steht – und das ist gut so – ganz hinten im Regal oder ist schon längst verschwunden; bleibt also in Nordschleswig die in den Backstein gehauene Widmung über dem Eingang der frisch renovierten Jugendherberge auf dem Knivsberg.

2009 hat man bei der Beschilderung des Knivsbergs und auf einem Faltblatt die Formulierung gefunden:

„Die Beibehaltung des Namens Langbehn-Haus fordert zur kritischen Auseinandersetzung mit der Ideologie dieses Autors heraus, dessen Name so tief in den Stein über dem Eingang eingehauen ist, wie seine Gedanken zwei Generationen geprägt und sie blind für die menschenverachtenden Auswirkungen der Langbehnschen Ideen gemacht haben.”

Ein weiteres Jahrzehnt später und 90 Jahre nach der Errichtung des Hauses ist es an der Zeit, eine weitergehende Lösung zu finden, ohne dabei die vergangenen Jahrzehnte, in denen dieses Haus Langbehn-Haus hieß, auszulöschen.

 

Der alte Saal im Langbehnhaus ist gerade neu renoviert worden. Foto: Deutsches Museum, Sonderburg
Mehr lesen