Heldentat

Deutscher Haderslebener nach Juden-Rettung in aller Welt bewundert und geehrt

Deutscher Haderslebener nach Juden-Rettung in aller Welt bewundert und geehrt

Deutscher Haderslebener nach Juden-Rettung in aller Welt bewundert und geehrt

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Hadersleben/Haderslev
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Gustav Schröder Foto: DN

Die Heldentat von Kapitän Gustav Schröder. Von Hadersleben über Kuba bis zum Ehrenplatz in Yad Vashem.

Unter den Namen „der Gerechten unter den Völkern“ in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem findet sich unter dem Buchstaben S  der Name des weltberühmten Oskar Schindler, aber weiter unten auf der Liste hat der Name eines gebürtigen Haderslebeners, der aus der deutschen Minderheit stammte, einen Ehrenplatz in Jerusalem: Gustav Schröder. An seine Heldentat zur Rettung von 900 Juden als Kapitän der „St. Louis“ erinnerte erst kürzlich das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, nachdem ein in der Nähe von Hamburg lebender Großneffe, Jürgen Glavecke, 2015 die Seemannskiste seines Großonkels entdeckt hatte und darin Neues über die Irrfahrt von Gustav Schröder erfuhr, „der 1939 die Welt im Atem gehalten hatte“, so Spiegel-Online unter der Überschrift „Der Papitän“.  

In der offiziellen Eintragung von Yad Vashem aus dem 1993 heißt es über Gustav Schröder: „Schröder war Kapitän des HAPAG-Passagierschiffs  ,St. Louis‘. Das Schiff war 1939 mit über 900 jüdischen Flüchtlingen an Bord von Hamburg nach Amerika gefahren, dort wurden sie aber sowohl von Kuba wie auch von den USA abgewiesen. Zurück in Europa unternahm Schröder alles, um nicht nach Deutschland zurückkehren zu müssen; er erwog sogar, das Schiff vor Großbritannien auf Grund zu setzen. Schließlich erklärten sich verschiedene Länder bereit, die an Bord befindlichen Juden aufzunehmen.“
Wer war dieser nordschleswigsche Held, der in seiner eigenen Heimat fast unbekannt geblieben ist?  Adjunkt Henrik Heinemeier von der Haderslebener Kathedralschule hat einen verdienst- und wertvollen Beitrag über den Hintergrund verfasst, der unter der Überschrift „ Gustav Schröder – en retfærdig blandt folkene“   im Archiv „Haderslev Historie“ zu finden ist.

Gustav Schröder wurde am 27. September 1885 in Hadersleben geboren und am 25. Oktober in „Vor Frue Kirke“ auf den vollen Namen Gustav Adolf Ernst Theodor Schröder getauft. Wikipedia vermerkt: „Schröder stammte aus einer alten reichsdänisch-deutschen kulturengagierten Familie aus dem Grenzland.“

Seine Eltern waren der Gymnasiallehrer Nis Ankjær Schröder und dessen Frau Johanne Elisabeth, geborene Pomnitz. Die Großeltern waren Gutsbesitzer. Gustav war der erste Junge unter neun Geschwistern, ein Bruder starb frühzeitig. Die Familie wohnte in der Storegade 9, später in der Schulstraße, wo Gustav den größten Teil seiner Kindheit verbrachte. Von hier aus konnte man den Arbeitsplatz des Vaters sehen, das Gymnasium und Real-Progymnasium.  Schröder war laut Heinemeier eine bekannte Persönlichkeit. Selbst 1849 in Gramm als Sohn des Malermeisters Gotsche Schröder geboren, bestand er 1870 das Abitur am preußischen Gymnasium.

Universitätsstudium in Deutsch und Latein

Danach folgte ein Universitätsstudium in den Fächern Deutsch und Latein. 1879 kehrte er an seine frühere Schule zurück, ab 1882 als „Ordentlicher Lehrer“ tätig, später trug er den Titel „Professor“. In der Zeit von Kaiser Wilhelm II. wurde die Schule deutsch-nationaler, Nis Schröder machte sich als Vorkämpfer der Deutschen in Hadersleben bemerkbar, angeblich soll er  als Lehrer Schüler aus dänischen Heimen provoziert haben. In den 90er Jahren schloss sich Nis Schröder dem deutschen Verein in der Domstadt an, redigierte die  Zeitschrift „Die Nordmark“ und wurde sogar zum Vorsitzenden eines ersten deutschen Ortsvereins gewählt. Er galt als „Altdeutscher“. Mit seinem Vollbart und dicken Brillen war er bei Kindern gefürchtet.

Gustav Schröder wuchs in einem bürgerlich gebildeten, deutsch-nationalen Elternhaus auf. In der Sønder Ottinggade (heute Nummer 12) baute sich der Vater später ein eigenes Haus. Da hatte sich Gustav aber schon aus Hadersleben verabschiedet. Gustav verließ das Gymnasium 1902 in der Obersekunda, ihn zog es nach eigenen Worten „in die Ferne“, er wollte zur See fahren trotz seines schmächtigen Körpers (1,46 Meter groß und nur 33 Kilogramm wiegend!). Die Schule hing ihm zum Halse raus, hat er später geschrieben. Im Alter von 16-17 Jahren verließ er mit der Einwilligung seines Vaters Hadersleben, um zusammen mit einigen Kameraden in Hamburg auf dem Segelschulschiff „Großherzogin Elisabeth“ anzumustern. Auch die anderen Kinder folgten nicht in die akademischen Fußspuren des Vaters.

Das gilt auch für den vier Jahre jüngeren Bruder von Gustav, Ernst Friedrich Wilhelm Schröder, der ebenfalls vor dem Abitur die Lateinschule verließ.  Ernst Schröder wurde eine führende Person in der deutschen  Minderheit in der Zeit von 1920-1945, nicht zuletzt seit 1929 als einflussreicher Vorsitzender der Nordschleswigschen Zeitung (NZ). Während Ernst Schröder den nationalsozialistischen Weg der Minderheit maßgeblich mitgeht, macht sein Bruder Gustav eine maritime Karriere. Beide Brüder sind aber Parteimitglieder – Gustav seit dem 1. Dezember 1933 mit der Mitgliedsnummer 3286996.

 

Während die „NZ“ nichts über die Irrfahrt der „St. Louis" berichtete, hatte die Haderslebener Zeitung „Dannevirke“ am 8. und 20. Juni 1939 diese Meldungen auf Seite 1 – offenbar aber nicht wissend, dass ein Haderslebener die „St. Louis" steuerte. Foto: DN

Decksmatrose beim Schnelldampfer Deutschland

Er verließ das  Segelschulschiff  mit dem Patent zum Leichtmatrosen. Danach heuerte er als Decksmatrose auf dem Schnelldampfer Deutschland an, und es folgten mehrere Weltumsegelungen. Nach der Segelschiffzeit fuhr er Hongkong-Reedereien als Zweiter Offizier. 1914 wurde er von den Briten in Kalkutta interniert; erst 1920 kam er wieder frei. 1921 heuerte er bei der HAPAG an und verdiente zwölf Jahre auf „Trampfahrt“ seine Streifen. 1935 wurde Gustav Schröder Offizier auf der Hansa. Im August 1936 erhielt er mit 50 Jahren das Kapitänspatent und übernahm das Motorschiff Ozeana.

Schröder leitete zahlreiche KdF-Fahrten ins Mittelmeer und nach Skandinavien und übernahm Urlaubsvertretungen auf Schiffen, die zwischen Hamburg und New York verkehrten, unter anderem auch auf der „St. Louis“, die am 13. Mai 1939 von den Landungsbrücken im  Hamburger Hafen – eine Kapelle spielte „Muss I denn zum Städtele hinaus“  – ausläuft mit dem Ziel: Kuba. An Bord sind 937 Juden, zumeist Deutsche.

Laut Passagierschein sind sie „Touristen auf einer Vergnügungsreise“, sie werden  auf dem Kreuzfahrtschiff der Hapag –  17.600 BRT, 173 Meter lang, drei blitzende Decks mit Spiegelsalon, Pool, Kino, Tanzkapelle und Teppichen, in denen die Füße versinken –  so respektvoll begrüßt wie normale Luxurlauber mit dem Dampfer über den Atlantik. Schröder selbst beschreibt in seinen Erinnerungen, wie sich die anfangs „nervöse Stimmung“ bald entspannt: „Zuversicht und Hoffnung blühten und niemand regte sich auf.“

Am 27. Mai macht die St. Louis frühmorgens an der Pier von Havanna fest, die Kapelle spielt „Freut euch des Lebens“, doch Bewaffnete zwingen die Passagiere zurück und besetzen die Gangway. Schröder verhandelt, klagt, bittet und schreibt Dutzende Telegramme – vergeblich. Mit einem Komitee aus Passagieren versucht er, die Kontrolle zu wahren und plant nachts sogar „Selbstmordverhütungsrundgänge“. Die St. Louis wird jedoch aus dem Hafen von Havanna gezwungen. Nur 23 Juden, die über gültige Visa verfügen, werden aus Mitleid an Land gelassen. Schröder ist niedergeschlagen, von einer melancholischen Abfahrtsstimmung ist die Rede. Zum ersten Male kann er die Frage nicht beantworten, wohin das Schiff nun fahren werde.

Er nimmt Kurs auf die Küste von Florida, hofft auf die Amerikaner, doch US-Präsident Roosevelt hat ein strammes Quotensystem zur Begrenzung der Einwanderung eingeführt. Jährlich dürfen nur 25.957 Deutsche in die USA einreisen – Ausnahmen für Juden gibt es nicht. Schröder plant sogar eine illegale Landung, doch die wird u. a. durch US-Flugzeuge verhindert. Das Drama setzt sich fort mit widersprüchlichen Funksprüchen zwischen Warten  und Umkehr. Schröder pendelt im Zickzack-Kurs zwischen Kuba und Florida, auch eine zunächst versprochene Landung in der Domikanischen Republik scheitert – ebenso wie spätere Landungsversuche auf der kubanischen Insel Pionosa und auch in New York. US-Präsident Roosevelt gibt auf Drängen seines Außenministers nicht nach. Die deutsche NS-Presse verhöhnt die Irrfahrt. Unter den Passagieren in Todesangst gibt es Nervenzusammenbrüche.

„Wir fürchten das KZ mehr als den Tod“

Als das Öl knapp wird und die St. Louis nach Europa zurückkehren soll, sagen Passagiere: „Wir fürchten das KZ mehr als den Tod.“ Schröder als ihr Verbündeter überlegt sogar, vor der britischen Küste einen Schiffsbrand vorzutäuschen, um so eine Einreise zu erreichen, doch nach vierwöchiger Irrfahrt einigen sich England, Belgien, die Niederlande und Frankreich in letzter Minute, die Flüchtlinge doch aufzunehmen.

Am 17. Juni legt die „St. Louis“ in Antwerpen an. Die Passagiere können von Bord gehen, aber von den rund 900 Passagieren sterben dennoch mindestens 254, weil sie in den besetzten Ländern doch noch von den Nazis gefasst und danach in die Todeskammern geschickt werden.

Am 1. Januar 1940 geht Gustav Schröder nach 38 Jahren in Hamburg von Bord. Nie mehr darf er danach ein Schiff steuern, nun wird er in der Deutschen Seewarte bis Kriegsende eine Beschäftigung übernehmen.

Seine Odyssee wird 1976 in den Hauptrollen mit Faye Dunaway und Max von Sydow (als Gustav Schröder) unter dem Titel „Reise der Verdammten“ („Voyage of Damned“) verfilmt: Schröder findet nun national und international hohe Anerkennung für seinen mutigen Einsatz zur See. 1957 erhält er „für Verdienste um Volk und Land bei der Rettung von Emigranten“ das Bundesverdienstkreuz am Bande, der Staat Israel ehrt ihn posthum im Kreise der „Gerechten unter den Völkern“ – ebenso wie den deutschen Diplomaten Georg-Ferdinand Duckwitz, der entscheidend zur Rettung der dänischen Juden 1943 nach Schweden beitrug. 

Im Februar 1990 wird in Hamburg-Langenhorn die Straße „Kapitän Schröder-Weg“ nach ihm benannt, seit 2000 gibt es an den Landungsbrücken eine ausführliche Gedenktafel, und Ende 2017 wurde eine Grünfläche zwischen Kirchenstraße und der Kirche St. Trinitatis in Altona in „Kapitän Schröder-Park“ umbenannt.

 

Der Kapitän-Schröder-Weg in Hamburg-Langenhorn. Foto: DN

„Heimatlos auf hoher See“

Selbst beschrieb er 1949 in einem Buch „Heimatlos auf hoher See“ erstmalig das Drama der „St. Louis“. Im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ wird der Großenkel nach den möglichen Motiven befragt, und er verweist auf „zarte Hinweise“ auf Schröders Innenleben aus der lange verschollenen Seemannskiste mit Postkarten an seinen geistig behinderten Sohn Rolf, liebevoll unterzeichnet mit „Der Papitän“. Liegt hier der Schlüssel zu Schröders humanem Handeln, der Empathie für andere Verfolgte geweckt hat? 

Großenenkel Glaeveke glaubt, dass Gustav Schröder seine grundsätzliche Prägung schon in seiner Haderslebener Kindheit erfahren hat. In seinen Erinnerungen darüber schrieb Gustav Schröder: „Ich muss an einen alten Lehrer denken, der uns Schülern immer wieder Toleranz predigte. Er sagte nie ein böses Worte über einen Mitmenschen, nicht einmal über seine Widersacher. Tragt euch gegenseitig nichts nach. Ein wirklich gebildeter Menschen tut das nicht.“

Nordschleswig vergisst Gustav Schröder nie. Laut Heinemeier wird sein letztes Werk „Meer und Wald“ 1958 beim Haderslebener Buchdrucker W. L. Schütze veröffentlicht, der nach dem 2. Februar 1946 entscheidenden Anteil an der Herausgabe der damaligen Wochenzeitung Der Nordschleswiger hatte.

Was aber geschah mit seinem Bruder Ernst, der 1939 Aufsichtsratsvorsitzender der Nordschleswigschen Zeitung war? Über seinen Bruder Gustav und dessen Odysse ist in der „NZ“ nichts zu finden, doch am 2. Juni 1939 tauchen in der „NZ“ unter der Überschrift „Keiner will sie haben“ zwei kurze Meldungen auf über die gescheiterte Flucht von zwei deutschen Schiffen mit jüdischen Flüchtlingen – ohne jeden Hinweis auf die St. Louis.  

Ernst Schröder wird als Mit-Hauptangeklagter im Minderheiten-Prozess (auch wegen antisemitischer Artikel, die er vor Gericht bedauerte) 1948 in Apenrade zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. 1951 stirbt Ernst Schröder in Flensburg; ohne Ehren.Sein Bruder Gustav Schröder stirbt 1959 in Hamburg – in Ehren!

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