Leitartikel

„Obrigkeitsstaatliches Gehabe“

Obrigkeitsstaatliches Gehabe

Obrigkeitsstaatliches Gehabe

Apenrade/Aabenraa
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Grenzübergang Pattburg
Grenzkontrollen in Pattburg (Archivfoto) Foto: Karin Riggelsen

Nordschleswiger-Redakteur Volker Heesch kommentiert die unklare Linie der dänischen und deutschen Regierungen bei der Zulassung von grenzüberschreitenden Besuchen bei Angehörigen.

Viele Grenzlandbewohnerinnen und -bewohner spitzten die Ohren, als vor über einer Woche der dänische Ausländer- und Integrationsminister Mattias Tesfaye (Sozialdemokraten) vor der Presse in Kopenhagen ankündigte, dass er erwäge, Angehörigen von in Dänemark lebenden Ausländern Besuche von Angehörigen zu erlauben.

Gerade auch im deutsch-dänischen Grenzland, wo familiäre Bande seit Ziehung der Grenze vor 100 Jahren trotz Grenzpfählen und unterschiedlichen Staatsbürgerschaften bestehen, haben die Grenzsperrungen durch Dänemark und Deutschland viele Bürgerinnen und Bürger schockiert. Vor allem auch Ignoranz der Obrigkeit beider Länder gegenüber den Realitäten im Grenzland, das im Jubiläumsjahr 2020 eigentlich das Verbindende und die deutsch-dänische Freundschaft feiern wollte.

Erinnerungen wurden wach an Schlagbäume, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg viele Familien oder auch Vertriebene lange an Zusammensein und Begegnung gehindert hat. Und empörende Vorfälle, dass ehrbaren Grenzlandbewohnern dringende Arztbesuche im Nachbarland verwehrt werden sollten. Vor wenigen Tagen löste die auch im „Nordschleswiger“ veröffentlichte Bekanntmachung, dass Dänemark südlich der Grenze ansässigen Familienangehörigen und Lebenspartnern den Besuch im Königreich nach wochenlanger Corona-Sperre gestatte, große Freude bei den betroffenen Menschen aus.

Umso größer die Enttäuschung, dass in zahlreichen Fällen Personen an der Grenze von dänischem Kontrollpersonal zurückgeschickt wurden, das erklärte, die Einreise sei nur Personen gestattet, die als Lebenspartner auch in Dänemark wohnhaft seien. In anderen Fällen gab es freie Fahrt. Verwunderlich ist, dass in Dänemark wohnhafte Personen ohnehin schon einreisen konnten.

Entweder sind die Anordnungen des Ministeriums unklar, oder sie sind nicht zu den Kontrollposten durchgedrungen. Enttäuschung herrscht auch darüber, dass Partnerbesuche von Dänemark nach Schleswig-Holstein dänischen Staatsbürgern weiterhin nicht erlaubt sind. Zwischen den deutschen und dänischen Ministerien scheint bei einem so sensiblen Thema Funkstille zu herrschen. Angesichts der schönen Reden zum Beginn des Grenzjubiläums ist auch das wenig überzeugend.

Blickt man auf die recht offenen Grenzen zwischen Deutschland und den Niederlanden oder den relativ regen Reiseverkehr von Dänemark nach Schweden können die Schließungsvorschriften an der deutsch-dänischen Grenze als zwingend erforderliches Instrument zur Eindämmung der ganz gewiss nicht zu verharmlosenden Gefahren durch die Corona-Pandemie jedenfalls nicht überzeugen.

Im Alltag sind entscheidende Faktoren zur Verhinderung von Ansteckungen durch die gefährlichen Viren Einsicht der Menschen, Disziplin und umsichtige Einhaltung der Abstands- und Hygienegebote. Und warum sollte der im Bereich der Grenze betroffene Personenkreis nicht ebenso einsichtig, diszipliniert und umsichtig handeln können wie die anderen Menschen mit Aufenthaltsrecht nördlich und südlich der Staatsgrenze. Gefragt ist nicht obrigkeitsstaatliches Gehabe, sondern Menschlichkeit und Achtung von Freiheitsrechten, die in Deutschland wie in Dänemark zu achten sind.

 

     

 

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