Leitartikel

„Scholz auf den Lippen“

Scholz auf den Lippen

Scholz auf den Lippen

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Nordschleswig
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Es ist von größter Bedeutung für Dänemark, wer in Deutschland Kanzler wird. Doch auch wenn der Sozialdemokrat Olaf Scholz derzeit die Nase vorn hat, bedeutet es nicht automatisch eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den Regierungen der beiden Länder, meint Siegfried Matlok. Denn es gibt deutliche Unterschiede.

Die meisten Dänen kannten bisher nur einen Scholz – den Fußballer Alexander Scholz. Aber nun ist ein anderer Scholz auf den rot-weißen Lippen: Olaf Scholz.  Obwohl – anders als Annalena Baerbock und Armin Laschet – aus der Nähe kommend, aus Hamburg, hat er sich in Dänemark bisher nie richtig bemerkbar gemacht.  

Im Gegensatz zu einem anderen Hanseaten, nämlich Helmut Schmidt, der als Bundeskanzler vor allem eine enge Parteifreundschaft zum damaligen Staatsminister Anker Jørgensen pflegte und mit ihm oft  Segeltouren in dänischen Gewässern unternahm. Nun kann Olaf Scholz also Kanzler werden, und sollte er den Sprung ins Kanzleramt schaffen, darf man gespannt sein, wie sich das Verhältnis zwischen der deutschen SPD und der dänischen Sozialdemokratie entwickelt.

Die engen auch persönlichen Bindungen früherer Zeiten – vor allem unter Willy Brandt und Jens Otto Krag – sind in den vergangenen Jahrzehnten sanft eingeschlafen: Dänemark ist vielen Genossen inzwischen suspekt. Auch nach der Regierungsübernahme durch die Sozialdemokratin Mette Frederiksen hat sich die Luft zwischen den Genossen beider Länder bisher nicht verbessert.

Das liegt vor allem daran, dass die Ausländerpolitik der Sozialdemokraten in Kopenhagen mit ihrer rechten „Umarmung“ den linken deutschen Parteikollegen überhaupt nicht ins Konzept passt. Im Gegenteil, Mette Frederiksen hat mit ihrer Politik – auch in Europa – so manche Position eingenommen, die großen Teilen der SPD überhaupt nicht gefällt. 

Bei den Themen Flucht und Migration müsse die Partei auf eine andere Politik setzen, erklärte der Bundesfinanzminister dem Redaktionsnetzwerk Deutschland und warnte sogar davor, „einen ähnlichen Kurs einzuschlagen wie die Sozialdemokraten in Dänemark. Abschottung und Ausgrenzung kann nicht unsere Politik sein. Ich setze auf Pragmatismus", sagte Scholz, der nun auf dem besten Wege ist, mit rund 25 Prozent jenes Resultat  zu erreichen, das Mette Frederiksen bei der Folketingswahl 2019 erzielte – nämlich 25,9 Prozent.

Das dänisch-nordische Modell, das ja auch die Grünen unter dem dänisch-sprachigen Spitzenmann Robert Habeck verfolgen ­ – vom sperrklauselfreien Berlin-Bewerber SSW ganz zu schweigen –, hat heute in politischen Kreisen Berlins längst nicht mehr die Attraktivität früherer Zeiten. Und doch bewundern die meisten Deutschen Dänemark, zum Beispiel die Art und Weise, wie die Dänen nun die Pandemie als gesellschaftskritische Krankheit offiziell abgeschafft haben und wie sie am Sonnabend im Kopenhagener Parken mit der Punkband „Minds of 99“ und 50.000 Fans die „Wiederauferstehung“ der eigenen Freiheit feierten.

Die Wahl in Deutschland ist für die Dänen natürlich von größter Bedeutung, und das gilt hier im Lande besonders für die Sozialdemokraten, die solidarisch auf Scholz setzen – und doch nicht richtig wissen können, was sie erwartet. Sollte es nach dem 26. September in Berlin zu einer sozialdemokratisch geführten Regierung kommen, dann werden die Genossen beider Länder gewiss nicht nur ihre historischen Gemeinsamkeiten betonen, sondern sich auch – fernab von offiziellen Kameras – darauf einstellen müssen, dass die Unterschiede zwischen ihnen vielleicht, ja wahrscheinlich noch größer werden.

Die Differenzen in der Ausländer- und Einwanderungspolitik sind bekannt, aber nicht weniger tief, ja an manchen Stellen fast schon unüberbrückbar sind die Unterschiede in der Europa-Politik, wo die dänischen Sozialdemokraten zusätzlich unter Druck geraten, wenn Olaf Scholz das Integrationstempo in Europa erhöhen will. Selbst mit viel roter Fantasie: Ein politisches Happy End zwischen Olaf und Mette ist vorläufig nicht in Sicht – trotz geopolitischer Nähe!

 

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