Lunge, Leber und Niere

Warten auf eine Organspende: Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt

Warten auf eine Organspende: Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt

Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt

Tilman Wrede
Schleswig-Holstein
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Wolfgang Siewert (65) hat nicht lange auf einen Organspender warten müssen und hat die zweite Leber transplantiert bekommen. Foto: Tilman Wrede/shz.de

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Mit einer beschädigten Niere kann ein Patient mehrere Jahre weiterleben, bei einer Lunge oder einer Leber bleiben meist nur wenige Tage. Wir haben mit drei Betroffenen, die auf ein Spenderorgan warten, darüber gesprochen, ob die Hoffnung noch am...

„Ich habe diese minimale Chance bekommen und sofort zugegriffen. Das muss jetzt einfach klappen“, sagt Wolfgang Siewert (65) aus Stralsund. Seit wenigen Wochen hat er seine zweite Spender-Leber. Im April 2021 war er zum ersten Mal wegen des beschädigten Organs in der Universitätsklinik in Rostock.

Damals wurde bei dem gelernten Handwerker Leberzirrhose und Krebs festgestellt. Die Operation verlief ohne Probleme. Auch im Anschluss hatte Siewert keine Beschwerden. Regelmäßig ging er zu Routineuntersuchungen und zur Reha.

Im Oktober 2022 dann der Schock: Der Körper stößt die gespendete Leber ab. „Damit habe ich gar nicht mehr gerechnet. Das war ein krasser Rückschlag. Plötzlich stand ich wieder dort, wo ich vor eineinhalb Jahren schon war“, erinnert sich der 65-Jährige. Er zieht die Augenbrauen und Schultern hoch. Für einen kurzen Moment scheint sein Leben unerwartet zu enden.

Doch dieses Mal überschlagen sich die Ereignisse: Innerhalb weniger Stunden rutscht Wolfgang Siewert auf Platz eins der Warteliste. Kaum im Krankenhaus angekommen, kommt auch schon der Arzt ins Zimmer. „Wir haben ein passendes Organ für Sie gefunden. Es kann losgehen“, erinnert sich Siewert an dessen Worte. Zu diesem Zeitpunkt ist die Leber schon auf dem Weg nach Rostock, wo das Organ kurz darauf bei dem Patienten eingesetzt wird.

Deutschland ist in Sachen Organspende Katastrophenland

Wer in Deutschland auf eine Organspende angewiesen ist, braucht viel Glück. „Deutschland ist absolutes Katastrophenland, was Organspende angeht“, sagt Sebastian Hinz, Leiter der Transplantationschirurgie der Universitätsklinik Rostock. Es gebe viel zu wenig Organspender: Neun bis zehn Spender kommen auf eine Million Einwohner. Im Vergleich: Spanien hat eine Quote von 30 bis 40 Organspender pro eine Million.

Eine Organspende bei beschädigter Leber muss schnell gehen

Erst Tage nach seiner zweiten Transplantation realisierte Siewert, was für ein Glück er hatte. „Es stehen über 800 Menschen nur aus Deutschland auf der Warteliste für eine Leber und ich bin in nur wenigen Stunden auf Platz eins vorgerückt. Das ist so ein wahnsinniges Glück. Das habe der Arzt auch noch nicht erlebt“, sagt der Stralsunder erleichtert.

Stand es für ihn je zur Diskussion, eine Organspende abzulehnen? Nicht eine Sekunde: „Das ist ja eine Chance aufs Leben. Was der Spender für ein Mensch war, ist mir egal, da muss man offen und immer bereit sein. Ich weiß bis heute nicht, ob das Organ aus Luxemburg oder Slowenien kam.“

Die Hoffnung habe er nie verloren. „Ich bin Optimist – schon immer und werde ich immer sein. Den Kopf in den Sand zu stecken, bringt nichts, auch wenn es manchmal schwer ist“, sagt Siewert mit voller Überzeugung. Positive Lebenseinstellung gepaart mit trockener norddeutscher Art.

„Danke an die Spender, auch wenn ich sie nicht kenne. Sie schenken Leben und helfen anderen“, sagt Siewert, als wolle er jedem Organspender persönlich ansprechen. Er selbst sei nun extrem vorsichtig, jede Erkältung könnte seine letzte sein und auf Alkohol verzichtet er seit zwei Jahren. „Nicht mal Schnapspralinen an Weihnachten, da gibt es Wichtigeres. Meine Familie wartet nur darauf, dass ich nach elf Wochen Krankenhaus endlich nach Hause komme.“

Organspender in Deutschland für Leber, Lunge und Niere Mangelware

Woran liegt es, dass es nur so wenig Organspender in Deutschland gibt? Für den Leiter der Transplantationschirurgie, Sebastian Hinz, findet sich eine Ursache in der Politik: „Wir haben in Deutschland die Vereinbarung, dass jeder Mensch einer Spende zustimmen muss. Vor ein paar Jahren hat der Bundestag darüber diskutiert, daraus eine Widerspruchslösung zu machen. Leider ist dieser Vorschlag gescheitert.“

Zudem sei der „klassische Organspender“ kein 20-jähriger Motorradfahrer, sondern ein Mensch im Alter 70 Plus. „Der hat meist auch schon geschädigte Organe. Die Leber ist durch Alkohol verfettet oder durch Zigaretten verraucht. Nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität hat abgenommen“, sagt Hinz.

Mit beschädigter Niere kann es auch ohne Organspender weitergehen

Mit einer geschädigten Lunge oder Leber muss es für Patienten schnell gehen. Mit einer geschädigten Niere hingegen kann ein Patient bis zu zehn Jahre überleben. In dieser Zeit ist er allerdings auf regelmäßige Dialyse angewiesen. Diese befreit den Körper von Schadstoffen und überschüssigem Wasser – was das Organ alleine nicht mehr schafft.

Mehrmals in der Woche muss die Blutwäsche wiederholt werden. Um auf der Warteliste für ein neues Organ nach oben zu kommen, sammeln Patienten – neben der Dringlichkeitsdiagnose – Wartetage. Über 6500 Menschen standen zu Beginn des Jahres auf der Warteliste für eine Niere. Die häufigsten Gründe für Nierenversagen sind übrigens nicht Alkohol-Konsum, sondern langjähriger Bluthochdruck, Zuckerkrankheit oder andere Infekte.

Für die Blutwäsche geht es dreimal die Woche ins Dialysezentrum

Ingo Christiansen (56) aus Dörpstedt ist auch auf die Blutreinigung angewiesen. Im Alter von 22 Jahren wurde bei ihm das Alport-Syndrom festgestellt, eine genetische Erkrankung, die zu schlechter Nierenfunktion führt und bei der unter anderem Taubheit und Augenschäden auftreten können.

Im Juni 1988 ging es für Christiansen zum ersten Mal an die Dialyse, vier Monate später die überraschende Nachricht: Eine passende Niere ist gefunden und kann transplantiert werden. „Das war ein ganz großer, emotionaler Moment für mich. Ich war total euphorisch, dann aber auch ängstlich. Ich wusste ja nicht, was da passiert“, erinnert sich Christiansen. Seine Stimme zittert dabei.

Die Operation verläuft gut. Ein neues Leben beginnt. Der Verwaltungsangestellte ist von Grund auf positiv, was ihm durch schwere Zeiten hilft: „Das ist jetzt mein Weg und den werde ich gehen. Nach und nach war ich nur noch dankbar, dass mir das jemand ermöglicht hat.“

Doch dann, 27 Jahre später, gehen die Nierenwerte erneut bergab. Seit sechs Jahren gehört die Blutwäsche nun wieder zu Christiansens Leben. „Sie ist dafür da, dass ich leben darf. Das nehme ich gerne in Kauf“, sagt Christiansen. Er atmet tief ein – und mit einem Lächeln im Gesicht wieder aus. Die Hoffnung auf den Anruf, dass eine passende Niere eingesetzt werden kann, sei immer da. „Angst davor, dass der Anruf nicht kommt, habe ich aber nicht. Ich habe mehr Respekt vor dem möglichen Eingriff“, sagt Christiansen.

Ingo Christiansen hat sich inzwischen gut auf dieses Leben eingestellt: Er darf nicht so viel essen und trinken, weil seine Niere sonst überarbeitet wäre. Seine Urlaube brauchen mehr Organisation, jedes Reiseziel muss auch ein Dialysezentrum haben. Doch so positiv wie heute war er nicht immer. „Mir helfen mein Partner und mein Umfeld, die Hoffnung hochzuhalten“, sagt der 56-Jährige. „Man kann damit leben. Das ist nicht immer schön, aber die Dialyse hält mich am Leben und das ist mir wichtig.“

Bauchfelldialyse bei Nierenproblemen ein Ersatz zur Organspende

Eike Martens (63) aus Schleswig lebt auch mit einer Dialyse. Die gebürtige Ahrensburgerin bekommt jede Nacht eine Bauchfelldialyse über einen Katheter, der fest in die Bauchhaut eingenäht ist. Das geht von zu Hause aus. Neben und über ihrem Bett sind Schläuche und die Halterung für die Dialysemaschine. Neben dem Bett hinter einem Vorhang lagert Martens die Monatsrationen an Spüllösungen. Diese Form der Blutwäsche hat für Martens einen großen Vorteil: „Auch wenn ich nicht mehr so gut schlafe, bin ich tagsüber total frei.“

Bei einem Gesundheitscheck vor 27 Jahren ist das erste Mal aufgefallen, dass Martens Harnwerte nicht in Ordnung sind. Damals noch kein Grund zur Sorge, weder für sie und noch für die Ärzte. Elf Jahre später wurde dann bei einem Organcheck aber festgestellt, dass ihre Niere nur noch bei einer Leistung von 50 Prozent ist. Der Grund ist bis heute unbekannt.

„Es heißt ja ‚Die Hoffnung stirbt zuletzt‘, so sehe ich das aber nicht. Glaube, hoffe, liebe heißt es in der Bibel. Die Liebe ist am stärksten und darin ruhe ich“, sagt Martens in ihrer positiven Art.

Seit 2017 ist die Englischtrainerin dialysepflichtig. „Ich versuche, die ‚normale‘ Dialyse so lange es geht herauszuzögern. Mit der Bauchfelldialyse soll es fünf bis sieben Jahre gut gehen. Ich kann nur hoffen und sprenge gerne Statistiken“, sagt Martens mit einem entschlossenen Blick. Vor dem Tod habe sie keine Angst, viel mehr vor der Operation.

„Wenn jetzt ein Anruf käme, würde ich zur OP fahren. Aber auf dem Weg kann ich mir das auch noch anders überlegen“, sagt sie. In diesem Moment ist für eine Sekunde Unsicherheit zu bemerken. Sie überspielt es schnell mit einem Lachen.

Bis es nach Kiel zu einer möglichen Operation geht, bleibt das Auto aber stets einsatzbereit. Nicht für die Transplantation, sondern für Urlaube und Wochenendtouren. Damit sie sich überall an die Schläuche ihrer Bauchdialyse-Maschine anschließen kann, hat Eike Martens sich extra ein großes Fahrzeug angeschafft, in dem auch die mobile Dialysestation Platz hat.

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