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„Die Krönung: Schottland sucht lieber die Nähe zu Skandinavien“

Die Krönung: Schottland sucht lieber die Nähe zu Skandinavien

Die Krönung: Schottland sucht die Nähe zu Skandinavien

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Apenrade/Aabenraa
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Charles III. ist am Sonntag zum Regenten des Vereinigten Königreiches gekrönt worden. Doch wie vereint ist das Königreich tatsächlich, fragt Jan Diedrichsen, der sich im selben Atemzug als Republikaner outet. 

Wer in Dänemark lebt, kennt das Gefühl, als Republikaner einen schweren Stand zu haben. Dänemark hat Glück mit der königlichen Familie, die sich nur selten durch Streit oder gar Skandale hervortut. Anders ist dies in Großbritannien. Persönlich habe ich (als Republikaner) den Mediensturm im Rahmen der Krönung von Charles III. erfolgreich boykottieren können und bin ohne einen einzigen Filmbeitrag oder Artikel durch die Krönungsfeierlichkeiten gelangt.

Doch neben allem Kitsch und Prunk ist die royale Frage auch immer eine politische. Das zeigt sich nicht zuletzt an den Unabhängigkeitsbestrebungen Schottlands. Feiern die Schottinnen und Schotten Charles III.? Dieser gilt als „der König mit dem Schottenrock“, ein Monarch, der sein Herz an die Highlands hängt. Der neue König stammt von Robert the Bruce ab, dem gefeierten Kriegerkönig, der im 14. Jahrhundert für die Unabhängigkeit Schottlands kämpfte. Es bleibt zweifelhaft, ob die Schottinnen und Schotten Charles III. als ihren König akzeptieren und er zu dem gesellschaftlichen Kitt werden könnte, der die fragil gewordene Konstruktion „Vereinigtes Königreich“ weiter aneinanderbindet.

Während der Krönung marschierten 20.000 Bürgerinnen und Bürger für die schottische Unabhängigkeit durch die Straßen von Glasgow. Die von der Organisation „All Under One Banner" organisierte Veranstaltung gipfelte in einer Kundgebung in Glasgow Green, auf der der ehemalige schottische Premierminister Alex Salmond zur Menge sprach. Auf der Kundgebung erklärte er: „Das unabhängige Schottland, das wir anstreben, wird auf Gleichheit und nicht auf Aristokratie beruhen, auf menschlichem Talent und Können und nicht auf dem Recht der Geburt. Wir blicken nicht zurück auf das Vereinigte Königreich, sondern vorwärts auf ein besseres Schottland.“

Die schottische Politik macht gerne darauf aufmerksam, dass man ganz anders sei als das vornehmlich durch England dominierte Vereinigte Königreich. Man fühle sich viel eher dem Sozialstaatsgedanken Skandinaviens verbunden. Ja, man sehe sich als Mitglied der „skandinavischen Familie“, wie es immer wieder aus der Regierung Schottlands zu vernehmen ist.

Beim Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2014 stimmte Schottland mit 55 zu 45 Prozent gegen die Unabhängigkeit des Landes. Doch auch wenn dies in London als Anlass genommen wird, festzuhalten, dass die Frage einer Unabhängigkeit für „eine Generation“ (Boris Johnson) erledigt sei, sehen das viele Politikerinnen und Wähler in Schottland anders. Die SNP („Scottish National Party“), die trotz einer parteiinternen Krise weiterhin den Ton im Norden Großbritanniens angibt und Wahlen gewinnt, fordert zusammen mit dem Koalitionspartner von den Grünen vehement ein zweites Referendum.

Die ehemalige Premierministerin Nicola Sturgeon hatte sich für eine Abstimmung am 19. Oktober dieses Jahres ausgesprochen. Doch im vergangenen November entschied der Oberste Gerichtshof, dass die schottische Regierung kein Unabhängigkeitsreferendum ohne die Zustimmung der britischen Regierung abhalten dürfe. Der britische Premierminister Rishi Sunak wies eine entsprechende Forderung des neuen Ersten Ministers von Schottland und Vorsitzenden der regierenden SNP, Humza Yousaf, umgehend zurück. Yousaf hat die Führung der Partei Ende März dieses Jahres nach dem Rücktritt von Nicola Sturgeon übernommen.

Die große Mehrheit in der Politik und der Bevölkerung Schottlands hält am völkerrechtlich verbrieften Recht auf Selbstbestimmung fest. Der Brexit ist hierbei ein wichtiges Argument. Schottland wurde durch den Brexit dem Recht auf Selbstbestimmung beraubt, als Großbritannien beschloss, aus der Europäischen Union auszutreten, obwohl 62 Prozent der schottischen Bevölkerung für den Verbleib im Bündnis gestimmt hatten, so die Argumentation.

Thomas Benedikter, der führende Experte für Autonomiefragen in Europa (und Autor bei VOICES), ist sich sicher: „In Schottland geht es um einen grundsätzlichen Selbstbestimmungsanspruch einer historisch gewachsenen Gemeinschaft, die sich in vielfacher Weise von der Mehrheit des Vereinigten Königreichs fremdbestimmt fühlt. Die 1998 gewährte Territorialautonomie kann diesen Anspruch nicht mehr erfüllen. Aus der vom Staatsverständnis des Vereinigten Königreichs abgeleiteten Notwendigkeit der demokratischen Legitimation der „Vereinigung“ steht dem schottischen Volk als Träger dieses Rechts die freie Entscheidung darüber zu.

Es hängt von den Mehrheitsverhältnissen in London ab, ob Schottland das Recht auf eine zweite Volksabstimmung zur Loslösung vom Vereinigten Königreich erhält. Territorialautonomie hat Grenzen. Schottlands Vorteil in dieser geschichtlichen Phase ist, dass Großbritannien das Recht der Schotten auf Selbstbestimmung grundsätzlich anerkennt. Eine weitere Volksabstimmung scheint nur mehr eine Frage der Zeit zu sein.“

Gegen den Wunsch nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit wird es auch ein „König im Schottenrock“ in den nächsten Jahren schwer haben.

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