Geschichte

Kaiser Wilhelms Sturz in Hadersleben und „Genforening“

Kaiser Wilhelms Sturz in Hadersleben und „Genforening“

Kaiser Wilhelms Sturz in Hadersleben und „Genforening“

Apenrade/Aabenraa
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Die Statue Kaiser Wilhelm I. stand von 1890 bis 1920 auf dem Markt in Hadersleben. Heute ist sie ein Blickfang in der Ausstellung über die Jahre 1864 bis 1920 im Museum Sønderjylland, Schloss Sonderburg (Sønderborg}. Auf dem Foto: (v. links) Jens Christian Gjesing, früherer Bürgermeister in Hadersleben, Peter Dragsbo, früherer Museumschef in Sonderburg, und Museumsinspektor Lennart Madsen. Foto: JydskeVestkysten

Die neueste Ausgabe von „Sønderjysk Månedsskrift“ berichtet über Geschichte des Denkmals aus dem Jahre 1890. Hans Schultz Hansen analysiert den Zwist über einen korrekten Begriff für den Übergang Nordschleswigs in den dänischen Staat 1920.

Die neueste Ausgabe des Geschichtsmagazins „Sønderjysk Månedsskrift“ (Heft 7, Jahrgang 2020) enthält interessante Beiträge, passend zum Jubiläum der Volksabstimmungen, Grenzziehung und die Eingliederung Nordschleswigs in den dänischen Staat. 

Statue den Dänen Dorn im Auge

Seit 2012 ist das Standbild Kaiser Wilhelm I. (1797-1888), das 1890 auf dem Marktplatz in Hadersleben (Haderslev) feierlich unter den Klängen der örtlichen Regimentorchesters eingeweiht worden war, ein Blickfang im Museum Sønderjylland Schloss Sonderburg. Die 2,60 Meter hohe Statue ist in der Abteilung des Museums über die Zeit 1864 bis 1920 zu sehen, als nach der dänischen Niederlage im Zweiten Schleswigschen Krieg 1864 Nordschleswig zu Preußen bzw. zum deutschen Reich gehörte. Der Museumsinspektor am Museum Sønderjylland, Lennart Madsen, berichtet über das „Schicksal“ des Denkmals, das seit seiner Enthüllung vielen dänisch gesinnten Bürgern und Besuchern der Stadt ein Dorn im Auge gewesen ist.

Erinnerte es doch an die Person, die als preußischer König regierte, als Schleswig und Holstein im Friedensvertrag von Wien 1864 an Preußen und Österreich abgetreten werden mussten und 1867 zur preußischen Provinz wurden, die 1871 Teil des Deutschen Kaiserreichs wurde. 

Standbild schon 1918 in Gefahr

Madsen berichtet, dass die Statue 1918 fast im Zuge der deutschen Kriegszwangswirtschaft wie viele Kirchglocken eingeschmolzen worden wäre. Die Revolution in Berlin und der Sturz des Kaisers Wilhelm II. (er war Enkel Wilhelm I.) sowie der Waffenstillstand am 11. November 1918 retteten den 720 Kilogramm schweren Metallkoloss. Doch nachdem sich das Ende der deutschen Herrschaft in Hadersleben mit der im Versailler Friedensvertrag festgelegten Volksabstimmung in Nordschleswig mit zwei Abstimmungszonen abzeichnete, nahte das Ende des Kaisers auf dem Markt.

Ein besonderes Kapitel war die Verwaltung der Abstimmungszonen durch eine Internationale Kommission (CIS) vom 10. Januar bis zum 15. Juni 1920. Sie war begleitet vom Abzug des deutschen Militärs und der Stationierung britischer und französischer Truppen in Nordschleswig und in der Abstimmungszone 2 von Flensburg bis Sylt.

Mit Sackleinen verhängt

Bevor am 27. Januar französische Alpenjäger Hadersleben besetzten, wurde die Statue mit Sackleinen verhängt, um den Franzosen den Anblick der Person zu ersparen, die 1871 als Akt der Demütigung des zuvor von Preußen und weiteren deutschen Staaten besiegten Frankreichs ausgerechnet im Spiegelsaal von Schloss Versailles bei Paris von seinem Kanzler Bismarck zum deutschen Kaiser ausgerufen worden war. Interessant ist, dass das Kaiserstandbild am 27. Januar 1920 demontiert wurde und per Pferdewagen in den „Bürgerverein“ an der Schlossstraße befördert wurde. Dort lag die Statue „eingemottet“ bis 1945, als sie laut Madsen von dort einquartierten deutschen Flüchtlingskindern entdeckt wurde.

Der Vorstand des „Bürgervereins“ veranlasste eine Übergabe des Kaisers an das Haderslebener Museum, wo er jahrelang waagerecht im Freilichtbereich lag, bis er ab ungefähr 1980 in der historischen Scheune aus Ösby (Øsby) stehend ausgestellt wurde. 1988 wurde er sogar zum 150-jährigen Bestehen des „Bürgervereins“ dorthin ausgeliehen und bildete anschließend bis 2012 ein zentrales Objekt der Nordschleswig-Ausstellung in Hadersleben, bevor sie im neuen Glanz ins Sonderburger Schloss umziehen konnte, um dort die Kaiserzeit in Nordschleswig zu illustrieren.

Neuer Diskurs über Begriffe 2020

Sehr lesenswert ist im neuen Heft von „Sønderjysk Månedsskrift“ der Beitrag von Forschungsleiter Dr. Hans Schultz Hansen, Reichsarchiv Apenrade. Darin geht es um die im Jubiläumsjahr der Volksabstimmung und Grenzziehung 1920 in einigen Medien „aufgewärmte“ Frage, ob der in Dänemark gebräuchliche Begriff „Genforening“ (Wiedervereinigung) die korrekte Bezeichnung für den Übergang der Abstimmungszone 1 (Nordschleswig) aus deutscher in dänische Oberhoheit am 15. Juni 1920 ist, oder die deutsche „wertungsfreie“ Bezeichnung Eingliederung dem Vorgang gerecht wird.

Auch den Begriff Abtretung, den die deutschen Nordschleswiger und vor allem Schleswig-Holsteiner, jahrzehntelang nutzten, nimmt sich Schultz Hansen unter die Historiker-Lupe. Schultz Hansen führt aus, dass eine Rezension des Buches „Volksabstimmung 1920“ des Historikers Klaus Alberts in „Flensborg Avis“ im Herbst 2019 dänische Leser daran erinnerte, dass in Schleswig-Holstein weiter Zweifel bestehen, ob die neue Grenzziehung zu einer Wiedervereinigung Nordschleswigs mit Dänemark nach dem Verlust der Herzogtümer Schleswig und Holstein 1864 geführt hat.

Aussagen Hinrich Jürgensens

Thema sind auch Äüßerungen des Hauptvorsitzenden des Bundes Nordschleswiger (BDN), Hinrich Jürgensen. Dieser erklärte gegenüber der Zeitschrift „Grænsen“ des dänischen Grenzvereins, in der deutschen Minderheit feiere man 100 Jahre nach der Grenzziehung keine Wiedervereinigung. Vielmehr sei es ja zu einer Teilung Schleswigs gekommen, seitdem spreche man von Nord- und Südschleswig. Das sozialdemokratische Stadtratsmitglied in Sonderburg, Bjørn Allerelli Andersen, reagierte kritisch auf diese Aussage und erklärte es verletze sein nationales Herz, dass die Minderheitendeutschen immer noch nicht das dänische Wort Wiedervereinigung akzeptierten. Die Minderheit sollte die Tatsache anerkennen, dass „Sønderjylland“ zurück zu Dänemark gekommen ist.

Der Ritt König Christian X. ist nach Ansicht von Klaus Alberts eine Inszenierung einer Wiedervereinigung Nordschleswigs mit Dänemark gewesen, die es nach Ansicht des Buchautors gar nicht gegeben hat. Foto: Archiv Der Nordschleswiger

 

Alberts stellt in seinem Buch fest, dass man nicht von einer Wiedervereinigung sprechen könne, da nur ein Teil Schleswigs mit Dänemark vereinigt wurde. Hinzu komme, dass Schleswig vor 1864 kein Bestandteil des Königreiches Dänemark gewesen sei. Er bestreitet nicht das Recht der dänischen Nordschleswiger, nach dem eindeutigen Votum in den dänischen Staat einbezogen zu werden, kommt aber zu dem Schluss, dass die „Inszenierung“ einer Wiedervereinigung Teil der dänischen Bewältigung des eigenen Traumas 1864 gewesen sei.

 

Schwierige Fragen

Schultz Hansen erklärt, dass es eine sehr schwierige Frage sei, welche staatsrechtliche Position das Herzogtum Schleswig vor 1864 hatte. Der dänische Gesamtstaat sei eine komplizierte Größe gewesen, mit vielen eigenständigen Institutionen in Schleswig, aber mit Verwaltung eben auch durch Ministerien für die Herzogtümer mit Sitz in Kopenhagen. Der Historiker schreibt, dass der Begriff „Genforening“ vor allem eine feste Größe in der Vorstellung der Ereignisse im dänischen Volk geworden sei. Bereits gleich nach 1864 habe sich diese Begrifflichkeit gebildet.

Aus der Rede  Niels Neergaards beim „Genforeningsfest“ in Düppel (Dybbøl) am 11. Juli 1920, in der dieser sagte, „Sønderjylland“ sei in der tausendjährigen Geschichte nie „eins mit Dänemark gewesen“, sei diese Passage in vielen dänischen Zeitungen Dänemarks 1920 übergangen worden, so Schultz Hansen. Die Angabe des Historikers Neergaard habe jedoch nicht die dänische Begrifflichkeit beeinflusst. Und er erwähnt, dass König Christian X. 1920 selbstverständlich in Verbindung mit der Unterzeichnung des Gesetzes über die Einverleibung der nordschleswigschen Landesteile in einer anschließenden Erklärung von „Genforening“ sprach. Schließlich geht Schultz Hansen auf die „moderne“ Sichtweise auf die Grenzziehung 1920 ein, die die Teilung des mehrsprachigen, multikulturellen einstigen Herzogtums als Unglück der Epoche des Nationalismus betrachtet.

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