Asyldebatte

Das sind die Unterschiede zwischen der dänischen und deutschen Migrationspolitik

Das sind die Unterschiede zwischen der dänischen und deutschen Migrationspolitik

Unterschiede bei dänischer und deutscher Migrationspolitik

Walter Turnowsky und Dirk Fisser/Neue Osnabrücker Zeitung
Kopenhagen/Hamburg
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Großer Abstand zwischen Staatsministerin Mette Frederiksen und Bundeskanzler Olaf Scholz in der Ausländerpolitik Foto: Odd Andersen/AFP/Ritzau Scanpix

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In Dänemark feiern demokratische Parteien Verschärfungen in der Migrationspolitik schon mal mit einer Torte. In Deutschland überlassen die übrigen Parteien der AfD das Thema. Jetzt werden in der Bundesrepublik Stimmen laut, man solle sich Dänemark als Vorbild nehmen. Es liegen jedoch Welten zwischen der Diskussion nördlich und südlich der Grenze.

Die Unterschiede beginnen schon in der Kommunikation. Die Asyldebatte in Deutschland ist ein Minenfeld: Ein falsches Wort, ein falscher Zungenschlag und schon werden selbst überzeugte Demokraten, wie Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, in die Nähe von Menschenfeinden gerückt. Im Interview mit dem „ZDF“ hatte er gesagt, „dass es vielleicht auch moralisch überhaupt nicht verwerflich ist und politisch sogar geboten, eine Begrenzungsstrategie zu fahren.“ 

Viele deutsche Politikerinnen und Politiker vermeiden Migrations-Klartext und überlassen damit das Feld der AfD. Die treibt die Parteien links von ihr – also alle – mit dem Thema Migration vor sich her.

In Dänemark ist das anders. Hier wird öffentlich gefeiert, wenn die Zahl der Menschen, die vom Asyl-Grundrecht Gebrauch machen, besonders gering ausfällt: „Es freut mich, dass wir hierzulande weiterhin so niedrige Asylzahlen haben“, teilte beispielsweise Dänemarks damaliger Ausländer- und Integrationsminister Mattias Tesfaye von der Sozialdemokratie Anfang 2022 in einer Presseaussendung mit. 

Harte Rhetorik in Dänemark

Seine Aussage ist symptomatisch für die Art und den Stand der Diskussion in Dänemark. Mit wenigen Ausnahmen ist es ein parteiübergreifendes Ziel der Politikerinnen und Politiker geworden, die Anzahl der Asylbewerberinnen und -bewerber so niedrig wie möglich zu halten. Entsprechend ist die Migrationspolitik in dem Land ausgerichtet. Ihre 50. Gesetzesverschärfung feierte die damalige Ausländer- und Integrationsministerin Inger Støjberg 2017 öffentlichkeitswirksam mit einer Torte. Sie gehörte zu dem Zeitpunkt der bürgerlich-liberalen Partei Venstre an. 

 

Ihr sozialdemokratischer Nachfolger Tesfaye formulierte es 2022 so: „Es sind einige kluge Entscheidungen gefällt worden, die laufend eine bessere Kontrolle der Einwanderung gewährleistet haben.“ Welche der vielen Maßnahmen er als „klug“ empfand, erwähnte er nicht. Er hatte versprochen, mit den weniger klugen aufzuräumen, geschehen ist das nicht. 

Zehnfache Anzahl Asylsuchender in Deutschland

Und die Entscheidungen – und vor allem Dänemarks Ruf als „hartes Asylland“ – wirken nach, wie der Blick auf die aktuellen Asylzahlen zeigt. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beantragten im Juli 2023 insgesamt 25.165 Menschen Asyl. In Dänemark waren es im selben Monat gerade einmal 180. Selbst wenn man das auf die Bevölkerung Deutschlands hochrechnet, wären das nur 2.520, also ungefähr ein Zehntel.

In Deutschland herrscht schlicht kein Konsens in Sachen Migrationspolitik. Noch nicht einmal darüber, ob die derzeit vergleichsweise hohen Asylzahlen Deutschland überfordern. Viele Vertreterinnen und Vertreter von Kommunen sowie einige Ministerpräsidentinnen und -präsidenten sehen den Punkt erreicht. Katharina Dröge, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, verneinte das aber kürzlich im Interview mit unserer Redaktion. 

Wenig Kritik an Grenzkontrollen

Mehr noch: Mit Blick auf die deutsche Nazi-Vergangenheit warnte sie davor, das Asylrecht zu reformieren: „Das Grundrecht auf Asyl ist nicht nur in der deutschen Verfassung, sondern auch im europäischen Recht und in der Genfer Flüchtlingskonvention verankert. Es war die gemeinsame Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg, Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, Schutz zu gewähren. Das würde man infrage stellen, wenn man das Asylrecht derart aushöhlt. Ich will das nicht.“ 

Zarte Andeutung aus Kreisen der Bundesregierung, die Migration dann doch, notfalls mit stationären Grenzkontrollen bremsen zu wollen, stießen umgehend auf Kritik. Dänemark hatte genau solche Kontrollen im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 eingeführt und jahrelang aufrechterhalten – zum Ärger vieler deutscher Urlauber, aber vergleichsweise weniger Menschen in Dänemark. Die Kritik an ihnen geht vornehmlich vom Grenzland aus – hier auch bei Weitem nicht von allen – und spielt in der öffentlichen Debatte nur eine geringfügige Rolle.  

Die Grenzkontrollen: kein Aufregerthema in Dänemark Foto: Karin Riggelsen

Frederiksen Wende in der Ausländerpolitik

In Dänemark herrscht bei Asyl- und Migrationspolitik weitgehend Einigkeit, oder wie es in der dänischen Diskussion schlicht heißt: Ausländerpolitik. Das war nicht immer so. Der Wendepunkt lässt sich an der Wahl der heutigen Staatsministerin Mette Frederiksen zur Chefin der dänischen Sozialdemokratie festmachen. Sie vollzog mit ihrer Partei eine zweifache Wende: In Sachen Sozialpolitik setzte Frederiksen wieder auf klassische sozialdemokratische Tugenden wie die „Arne-Rente“. Dies verknüpfte sie mit einer „harten“ Justiz- und Ausländerpolitik. Auch wenn die manchmal mehr auf die psychologische Wirkung zielte, denn auf konkrete Ergebnisse.

2015: Mette Frederiksen wird zur neuen Vorsitzenden der Sozialdemokratie gewählt. Foto: Flindt Pedersen Rasmus/Ritzau Scanpix

Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Schmuckgesetz: Flüchtlingen kann Schmuck ab einem Wert von 10.000 Kronen, etwa 1340 Euro, abgenommen werden. Auch Bargeld über dieser Grenze kann eingezogen werden. Das Gesetz wurde europaweit viel beachtet. Allerdings kam es dann bislang doch nur 17-mal zum Einsatz. Deutschland indes, kann sich nicht einmal darauf einigen, ob Asylbewerberinnen und Asylbewerbern das ihnen zustehende Taschengeld nun in bar, in Form von Gutscheinen oder doch einer Prepaid-Karte ausgezahlt werden soll. Seit Jahren wird darüber gestritten.

Ohne Dänisch kein Familiennachzug

Härter als in Deutschland sind ebenfalls die Regeln für den Familiennachzug. Der Partner muss zum Beispiel Dänisch-Kenntnisse vorweisen, wenn er ins Land will. Wer in den zurückliegenden drei Jahren Sozialleistungen in Dänemark bezogen hat, kann den Familiennachzug gleich vergessen. Die Ehepartnerin oder der Ehepartner kann erst im Alter von 24 Jahren nachziehen. Die Regeln trifft auch Däninnen und Dänen, die in der weiten Welt die Liebe gefunden haben.

Auch in Deutschland gibt es Auflagen für das Nachholen von Verwandten. Aber offenkundig deutlich weniger Gespür für Psychologie: Auf dem Höhepunkt der aktuellen Migrationskrise mit mehr als 20.000 Asylanträgen im Monat wurde kürzlich bekannt, dass im Bundesinnenministerium über eine Erleichterung des Familiennachzugs nachgedacht wird.

Die AfD im Höhenflug

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ließ eiligst verlauten, das habe dann doch keine Priorität für sie. Eher sollten stationäre Grenzkontrollen zu Polen geprüft werden. Die Ministerin ist zugleich Wahlkämpferin und will Ministerpräsidentin in Hessen werden. In den Umfragen sieht es für die Sozialdemokratin sehr schlecht aus. Ihre ehemalige Volkspartei liegt unter 20 Prozent und auf Augenhöhe mit der AfD.

Innenministerin Nancy Faeser will Ministerpräsidentin in Hessen werden. Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters/Ritzau Scanpix

Immerhin könnte man sagen. In ostdeutschen Bundesländern führt die AfD aktuell in Umfragen teils deutlich. In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel kommt die Partei derzeit auf 32 Prozent der Stimmen, die regierende SPD von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig auf nur noch 23 Prozent. Keine Partei, auch nicht die ehemaligen Volksparteien SPD und CDU, haben bislang ein Rezept gefunden, die Wählerwanderung nach rechts zu stoppen. Eng verknüpft ist das mit den ungelösten Problemen in der Migrationspolitik. 

Sozialdemokratisches Machtkalkül

In Dänemark wurde diese Entwicklung umgedreht, mit der Politik eines harten, aber – zumindest gefühlt – gerechten Sozialstaats. Die Zielgruppe dieser Neuausrichtung war klar: jene (meist männliche) Facharbeiter und Menschen außerhalb der größeren Städte, die in den vergangenen 20 Jahren von der Sozialdemokratie zur rechten Dänischen Volkspartei (DF) gewechselt waren.

Stimmverluste in anderen Milieus nahmen die Sozialdemokraten dabei in Kauf. Sie setzten darauf, dass durch ihre Migrationspolitik vergrätzte Wählerinnen und Wähler Parteien wie die Einheitsliste, die Sozialistische Volkspartei und den Radikalen ihre Stimme geben würden. Das Kalkül ging bei der Wahl 2019 auf. Es gelang, Wähler über die Mitte hinweg zurückzuholen. Am Ende konnte Mette Frederiksen eine sozialdemokratische Alleinregierung bilden, mit Unterstützung der drei genannten Parteien. 

Dänemark: Rechte Parteien weiterhin stark

Seither hat das Integrations- und Migrationsthema in Dänemark laufend an politischer Bedeutung verloren. Vor der Wahl 2022 landete es bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Voxmeter“ weit abgeschlagen hinter Gesundheit, Klima und Senioren an achter Stelle. Nur ungefähr 10 Prozent der Wählerinnen und Wähler sahen es als eines der drei wichtigsten Themen an. 

Die Regierung in Kopenhagen wird anders als die Regierung in Berlin nicht von dem Thema Migration getrieben. Aber: Das bedeutet nicht, dass die Rechtsaußen-Parteien im Norden von der Bildfläche verschwunden sind. Zwar ist die eher gemäßigte und nicht direkt mit der AfD vergleichbare Dänische Volkspartei mit 2,6 Prozent 2022 sehr weit von ihrem Höhenflug 2016 mit 21,1 Prozent entfernt geblieben. Das hängt jedoch auch damit zusammen, dass es mittlerweile drei rechte Parteien gibt, die zusammen bei der vorherigen Wahl immerhin 14,4 Prozent erzielten.

Grundsätzliche Unterschiede zwischen Scholz und Frederiksen

Müsste es Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) also einfach seiner Kollegin Mette Frederiksen nachmachen, um die Sozialdemokratie zu stärken und die AfD auszubremsen? Im direkten Vergleich der Migrationsrhetorik wird deutlich, wie viel härter Frederiksen auftritt: Sie benennt häufig und gerne von ihr wahrgenommene Integrationsdefizite bei manchen Menschen mit Migrationshintergrund. 

Zuletzt Anfang September, als die Regierungsspitze ein Maßnahmenpaket gegen kriminelle Banden und Rockerclubs vorstellte. Ihr Augenmerk legte die Regierungschefin vornehmlich auf Kriminelle mit dunkler Hautfarbe. „Ein großer Teil der Banden wird von Jugendlichen mit Minoritätshintergrund ausgemacht. Sie sind in Dänemark schlecht integriert. Viele von ihnen wünschen regelrechte Parallelgesellschaften mit eigenen Vorstellungen von Ehre und eigenen Spielregeln“, sagte Frederiksen.

Mette Frederiksen bei der Vorstellung des Bandenpakets Foto: Jens Dresling/Ritzau Scanpix

Könnte ein deutscher Kanzler, könnte Olaf Scholz das sagen? In Deutschland wird darüber diskutiert, ob der Begriff Clankriminalität diskriminierend ist. Nicht mal bei Wahlkampf-Auftritten findet der Sozialdemokrat klare Worte zur Migrationsthematik. Die Lage sei „schwierig“, so der Kanzler bei einer Veranstaltung in Bayern. Das – also das „schwierig“ – auszusprechen sei für jede Demokratin und jeden Demokraten in einer Gesellschaft, die über Probleme frei diskutiere, unverzichtbar und richtig, so Scholz. 

Sozialdemokratie gegen Zuwanderung von Arbeitskräften

Keine Spur von dänischer Härte beim deutschen Kanzler. Der hält sich beim Thema Migration ohnehin zurück und lässt seine Minister machen. Chefsache ist die Asylkrise in Berlin nicht. Vielleicht ändert sich das nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen Anfang Oktober. Vielleicht aber auch nicht. 

In Dänemark ist derzeit eines der zentralen Themen, dass der drohende Mangel an Arbeitskräften den Sozialstaat gefährdet. Wirtschaftsverbände und die Regierungspartei, die Moderaten, wollen die Anstellung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus Drittländern erleichtern. Doch da spielt die Sozialdemokratie nicht mit: Das Image der Partei mit der harten Ausländerpolitik wird sorgfältig gehütet. 

Der Artikel wurde in einer Zusammenarbeit zwischen der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ und dem „Nordschleswiger“ erarbeitet.

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