Sexuelle Belästigung

Candussi: „Sexismus-Problematik ist für Minderheit noch neu“

Candussi: „Sexismus-Problematik ist für Minderheit noch neu“

Candussi: „Sexismus-Problematik ist für Minderheit noch neu“

Apenrade/Aabenraa
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Die deutsche Minderheit beschäftigt sich aktuell mit dem Thema Sexismus (Modellfoto). Foto: Adobe Stock

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Die AG Gleichstellung des BDN hat bereits vor zwei Jahren eine Sexismus-Politik ausgearbeitet. Doch was tun im Falle von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz oder im Verein? Diese Frage erörterten die Psychologin Kerstin Fritz vom DSSV und der Rechtsanwalt Asbjørn Jakobsen mit Vertreterinnen und Vertretern der Minderheitenorganisationen.

„Da ist gestern einigen die Ernsthaftigkeit des Themas bewusst geworden“, lautet am nächsten Tag die Schlussfolgerung von Ruth Candussi, Parteisekretärin der Schleswigschen Partei (SP).

Am Dienstagabend hatte der Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN) zu einer Veranstaltung zum Thema „Sexuelle Belästigung“ ins Haus Nordschleswig eingeladen. Und zu der waren zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der Organisationen der deutschen Minderheit erschienen.

Da ist gestern einigen die Ernsthaftigkeit des Themas bewusst geworden.

Ruth Candussi, Parteisekretärin der Schleswigschen Partei

Im Zentrum standen die Fragen, wie man handelt, wenn es zu einem sexuellen Übergriff gekommen ist, und wie man ein Gespräch nach einem solchen Übergriff am Arbeitsplatz führt? Dabei kann es sich um Fälle handeln, die einen persönlich betreffen, aber es können genauso Situationen sein, in denen eine Kollegin oder ein Kollege zu einem kommt und von einem Übergriff berichtet. Was macht man dann mit dieser Information?

Richtige Gesprächsführung wichtig

Auf diese Frage ging Kerstin Fritz, Diplompsychologin beim Deutschen Schul- und Sprachverein (DSSV), in ihrem Vortrag am Dienstagabend ein.

„Sexuelle Belästigung beginnt immer dann, wenn das Verhalten von der Person, die diesem ausgesetzt ist, als kränkend empfunden wird. Es geht also um persönliche Grenzen und individuelle Wahrnehmung. Die Deutungshoheit liegt immer beim Betroffenen. Fühle ich mich verletzt, dann bin ich verletzt worden“, stellte sie zunächst klar.

Dabei umfasst sexuelle Belästigung jede Form unerwünschten, übergriffigen und einseitigen Verhaltens. Dieses kann sowohl verbal als auch nonverbal oder physisch auftreten. Es geht dabei nicht immer um Sex.

Das Problem in solchen Fällen: Oftmals bewegt man sich in einer Grauzone, es steht im Zweifelsfall Aussage gegen Aussage. Das mache es Menschen oft schwer, richtig einschätzen zu können, ob eine sexuelle Belästigung tatsächlich stattgefunden hat oder nicht.

Fühle ich mich verletzt, dann bin ich verletzt worden.

Kerstin Fritz, Diplompsychologin beim DSSV

Prävention wichtig

„Deshalb ist der Bereich Prävention so wichtig. Welchen Umgang wünschen wir? Gibt es Grenzen, die wir offen festlegen können? Was wollen wir nicht am Arbeitsplatz? Manches erscheint vielleicht selbstverständlich, aber dennoch wird es nicht automatisch umgesetzt“, so Fritz.

Wichtig seien insbesondere eine gute Kommunikationskultur und dass sich alle im Team und am Arbeitsplatz wohlfühlen. Außerdem sollte allen bewusst sein, dass das Thema in der Verantwortung aller liegt. Eine weitere Voraussetzung ist, dass genug Vertrauen vorhanden ist.

Denn sexuell kränkendes Verhalten kann für die Betroffenen zu ernsthaften Konsequenzen wie Scham, Ekel, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafproblemen oder Angst führen.

Im Fall eines Konfliktes müsse dieser geklärt werden. Dabei müssten die betroffenen Parteien begleitet und geschützt werden, sodass am Ende eine Einschätzung vorliege, inwieweit sexuelle Belästigung stattgefunden habe oder nicht. Wichtig sei, dass in einer solchen Situation immer beide Parteien gehört würden, bevor eventuelle Konsequenzen gezogen werden. Diese müssten dann begründet, verhältnismäßig und angemessen sein.

Ich wünschte mir deshalb Antworten auf die Frage, wo ein Verein in einer solchen Situation Hilfe bekommen kann.

Maike Minor, Pädagogisch-Administrative Konsulentin beim DSSV

Juristische Perspektive

Anschließend legte Rechtsanwalt Asbjørn Jakobsen die rechtlichen Aspekte der Thematik dar.

Zunächst lobte er die deutsche Minderheit dafür, dass sie sich des Themas angenommen und Richtlinien ausgearbeitet hat.

„In der dänischen Gesetzgebung spielen vorwiegend das Gleichbehandlungsgesetz (Ligebehandlingsloven) und das Arbeitsgesetz (Arbejdsmiljøloven) eine wichtige Rolle. Zudem ist es wichtig, dass betroffene Personen im Augenblick des von ihnen als übergriffig empfundenen Verhaltens dieses Empfinden unmittelbar kundtun“, machte Jakobsen deutlich.

Allerdings würden die beiden Gesetze nur am Arbeitsplatz gelten, nicht jedoch bei freiwilliger Arbeit wie in Vereinen oder der Freizeit.

Rechtsanwalt Asbjørn Jakobsen lobte die deutsche Minderheit dafür, dass sie sich des Themas Sexismus angenommen und Richtlinien ausgearbeitet hat. Foto: DN

Noch viele Fragen offen

Gwyn Nissen, Chefredakteur des „Nordschleswigers“, gab zu bedenken, dass es auch in der Minderheit wichtig sei, dass sich jemand findet, der nicht befangen sei.

Maike Minor, pädagogisch-administrative Konsulentin beim DSSV, sagte unter Verweis auf den Sexismus-Leitfaden, dass es schwierig sein könne, als Verein oder Vorstand allein eine Entscheidung zu treffen, wie man mit dem einen Part umgehe. „Ich wünschte mir deshalb Antworten auf die Frage, wo ein Verein in einer solchen Situation Hilfe bekommen kann, um derartige Fragen zu klären.“

Anne-Sofie Dideriksen, die sich unter anderem in der Arbeitsgruppe Gleichstellung ehrenamtlich in der deutschen Minderheit engagiert, gab zu bedenken, dass sich in der Praxis immer neue Baustellen aufzeigen würden, wenn man sich erst einmal mit der Thematik beschäftige. „Aber wir arbeiten weiter und haben auch noch Rollen- und Aufgabenbeschreibungen, die wir noch präziser formulieren können. Und die Vereinsunterstützung ist wichtig.“

Alle können noch mehr lernen.

Uwe Jessen, Generalsekretär des BDN

Laufender Prozess

Uwe Jessen, Generalsekretär des BDN, sagte: „Das ist ja auch eine Fortbildung für die AG Gleichstellung und die Leitungsebene. Das ,Wie‘ wissen ja auch nicht alle. Es ist ein Ongoing-Process. Alle können noch mehr lernen.“

Die AG Gleichstellung bleibe deshalb auch bestehen, denn das Thema bedürfe weiterer Sensibilisierung. Wichtig sei insbesondere, ein Arbeitsklima zu schaffen, in dem sich alle trauen, etwas zu sagen.

Hinrich Jürgensen, Hauptvorsitzender des BDN, ergänzte: „Der Hauptvorstand ist sicherlich auch künftig interessiert daran, dass an dem Thema weitergearbeitet wird. Es ist ein laufender Prozess.“

Als Nächstes müssten die Verbände jetzt bis Mitte Februar erstmalig ihre Handlungspläne zum Thema Gleichstellung ausfüllen und an den BDN zurückschicken, so Jessen. Zudem sei im Zuge der Neugestaltung der Internetseite nordschleswig.dk etwas zum Thema Gendern veröffentlicht worden.

Alle, die bei der Veranstaltung am Dienstagabend nicht dabei sein konnten, können sich an das Generalsekretariat im Haus Nordschleswig wenden, da die Veranstaltung aufgezeichnet wurde.

Es ist vordergründig wichtig, dass sich alle im Klaren darüber sind, welche menschlichen Konsequenzen sexuelle Belästigung für die Betroffenen haben.

Ruth Candussi, Parteisekretärin der Schleswigschen Partei

Ein Paradigmenwechsel

Aus Sicht von Ruth Candussi hat die Veranstaltung gezeigt, dass die intensive Beschäftigung mit dem Thema „Sexismus“ in all seinen Facetten in der deutschen Minderheit erst begonnen hat. „Die Sexismus-Problematik ist immer noch neu für die Minderheitenverbände. Vor allem, dass das Thema auch rechtlich zu handhaben ist und man als Organisation dann in der Pflicht steht, dem Rechnung zu tragen, wird einigen erst jetzt bewusst“, sagt Candussi.

Überhaupt würde derzeit ein Paradigmenwechsel stattfinden. So würde heutzutage in Bezug auf die Vereinsfinanzen ein breit angelegtes Bewusstsein in den Vereinen dafür bestehen, wie wichtig eine genaue Dokumentation der finanziellen Verhältnisse ist. Nun müsse dieses Bewusstsein auch für die Sexismus-Problematik geschaffen werden.

„Es ist vordergründig wichtig, dass sich alle im Klaren darüber sind, welche menschlichen Konsequenzen sexuelle Belästigung für die Betroffenen haben und was das wiederum für den Verein oder den Arbeitsplatz nach sich ziehen kann“, so Candussi.

Der Hintergrund

So ist das Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz in den Fokus bei der deutschen Minderheit gerückt:

„Der Nordschleswiger“ hatte den Internationalen Frauentag am 8. März 2019 zum Anlass für eine Artikelserie genommen, in der ein genauerer Blick auf die Verteilung Männer-Frauen in der deutschen Minderheit geworfen wurde. Damals wurde deutlich, dass Frauen in der deutschen Minderheit vorwiegend auf der Leitungsebene unterrepräsentiert sind, aber auch in den Verbänden waren es hauptsächlich Männer, die den Ton angaben.

Aus der deutlich gewordenen Schieflage entwickelte sich eine öffentliche Debatte, die in die Gründung der Arbeitsgemeinschaft „Gleichstellung“ mündete. Sie arbeitete auf Veranlassung des BDN-Hauptvorstandes eine Gleichstellungspolitik aus, die noch 2019 von diesem verabschiedet wurde.

In einem im „Nordschleswiger“ erschienenen Artikel aus Anlass des 100-jährigen Bestehens der Schleswigschen Partei sagte Sofie Knauer im Herbst 2020, dass ihr zu einem früheren Zeitpunkt der Sexismus bei den Jungen Spitzen besonders aufgefallen sei. Dies führte für die deutsche Minderheit überraschend zu einem Wirbelsturm und löste eine kontroverse Debatte über die Thematik aus.

Die AG Gleichstellung formulierte daraufhin eine Sexismus-Politik und einen Leitfaden, was man als Betroffene oder Betroffener tun und wen man kontaktieren kann. Beides ist inzwischen vom BDN-Hauptvorstand verabschiedet worden und auf der Internetseite des BDN einsehbar.

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