Fall Maddie

Darum kam der Tatverdächtige im Fall Maddie 2018 frei

Darum kam der Tatverdächtige im Fall Maddie 2018 frei

Darum kam der Tatverdächtige im Fall Maddie 2018 frei

shz.de/Mira Nagar
Flensburg
Zuletzt aktualisiert um:
Kate und Gerry McCann zeigen während einer Pressekonferenz 2007 ein Bild ihrer vermissten Tochter. Foto: Soeren Stache/dpa

Die Staatsanwaltschaft Flensburg wird für die Freilassung des Tatverdächtigen Christian B. verantwortlich gemacht. Sprecherin Stephanie Gropp weist Vorwürfe zurück.

Der Vorwurf wiegt schwer: Der Tatverdächtige im Fall der verschwundenen Maddie soll 2018 wegen einer Justizpanne der Staatsanwaltschaft Flensburg freigekommen sein. Eine versäumte Frist und schon wurde Christian B. aus der damaligen Haft wegen Kindesmissbrauchs in einem anderen Fall entlassen. So zumindest berichteten mehrere Medien über den Fall.

Für die Flensburger Staatsanwaltschaft stellt sich der Sachverhalt allerdings anders dar.

Die Situation sei komplexer als berichtet – und die Rechtswege seien langwierig.

Bewährungsstrafe wegen Drogenhandels auf Sylt

Christian B. saß wegen einer Verurteilung am Landgericht Brauschweig im niedersächsischen Gefängnis. Um überhaupt in Haft zu kommen, musste er seinerzeit von den portugiesischen Behörden nach Deutschland ausgeliefert werden. Ein formeller Akt, den die Staatsanwaltschaft in Braunschweig erwirkte. Er wurde also wegen des Missbrauchsfalls nach Deutschland gebracht. Das Problem: Ein weiteres Verfahren wurde dabei nicht erwähnt.
Und hier kommt die Staatsanwaltschaft Flensburg ins Spiel. Der Verurteilte hatte noch eine andere Straftat begangen: Auf Sylt hatte Christian B. mit Drogen gehandelt, wurde erwischt und erhielt am 6. Oktober 2011 eine Bewährungsstrafe vom Amtsgericht Niebüll. Grund für die Bewährung war eine positive Sozialprognose. Ein Irrtum, wie sich später herausstellte.

Widerruf erst spät rechtskräftig

Christian B. hatte sich ja, wie es der Missbrauchsfall zeigte, eben nicht bewährt. Es gab nunmehr also einen Grund, ihn weiter in Haft zu behalten. Daher stellte die Staatsanwaltschaft Flensburg im November 2017 den Antrag auf Widerruf der Bewährung. Dieser Widerruf war allerdings erst Ende Juni 2018 nach der Bearbeitung in Braunschweig rechtskräftig. Das Ende der Haftstrafe wegen Kindesmissbrauchs drohte da bereits.

BGH: Zustimmung erfolgte nicht rechtzeitig

Der Bundesgerichthof schreibt dazu: "Die Staatsanwaltschaft Flensburg stellte am 22. August 2018 beim Tribunal de Relacao de Evora einen Antrag auf Verzicht auf die Anwendung des Spezialitätsgrundsatzes und ersuchte um Zustimmung zur Strafvollstreckung. Da diese nicht rechtzeitig erfolgte, wurde der Angeklagte am 31. August 2018 aus der Strafhaft entlassen. Am 18. oder 19. September 2018 reiste er in die Niederlande aus und begab sich später nach Italien."

Das Problem dabei: Christian B. war von der portugiesischen Justiz wegen des Missbrauchsfalls nach Deutschland überstellt worden. Für die Vollstreckung des Urteils wegen unerlaubten Drogenhandels musste ein neuer Antrag her. Denn man kann die Begründung für die Auslieferung nicht im Nachhinein einfach ausweiten. So sieht es der vom BGH erwähnte Spezialitätsgrundsatz vor.

Haftentlassung Ende August

Dass eine Antwort der portugiesischen Behörde nicht innerhalb einer Woche kam, ist keine Überraschung: "Man nimmt nicht einfach den Hörer in die Hand und ruft da an", sagt Gropp. Sie würde eher mit einem Zeitfenster von mehreren Monaten rechnen. Bei manchen südeuropäischen Ländern und Großbritannien sei diese Form der Rechtshilfe nicht ganz einfach. "Es ist ein sehr sehr förmliches Verfahren. Selbst wenn man den Antrag gleich nach Eingang der Akten gestellt hätte, hätte man den 31. August nicht halten können."

31. August 2018 - das ist das Datum, an dem Christian B. aus der Haft entlassen wurde. Und mit Antrag ist das Schreiben an die portugiesischen Behörden gemeint. Dieses nämlich war entscheidend, um die Haft für Christian B. zu verlängern. Wohlgemerkt nicht die Haft für den Fall Madeleine McCann. Die Flensburger Staatsanwaltschaft wollte B. wegen Drogenhandels auf Sylt belangen.

Zwei Monate bis zum Antrag

Es blieben der Staatsanwaltschaft Flensburg nach Eingang der Akten aus Braunschweig knapp zwei Monate bis zum Haftende. Gropp zieht in Zweifel, ob dies überhaupt Erwähnung gefunden hätte, wäre Christian B. nicht als Tatverdächtiger im Fall Maddie bekannt geworden.

Nach der Haftentlassung beantragte die Staatsanwaltschaft Flensburg einen neuen europäischen Haftbefehl, der zur Festnahme führte. Einen Monat konnte sich B. frei bewegen, bis er am 27. September 2018 in Italien festgenommen und am 18. Oktober 2018 an Deutschland übergeben wurde. Parallel zu diesem Verfahren beantragte die Staatsanwaltschaft in Braunschweig einen zweiten Haftbefehl wegen Vergewaltigung einer 72-Jährigen.

Seine Strafe für den Sylter Drogenhandel sitzt Christian B. derzeit in Kiel ab. Am 29. Mai beantragte er beim zuständigen Landgericht Kiel, frühzeitig aus der Haft entlassen zu werden, da er zwei Drittel verbüßt hat. Eine Entscheidung darüber steht noch aus. Freiheit würde aber auch das sehr wahrscheinlich nicht bedeuten - denn das Braunschweiger Urteil wegen Vergewaltigung könnte bald rechtskräftig werden. Die Gesamtstrafe wären dann sieben Jahre. Wertvolle Zeit für die Ermittler im Fall Maddie.

Mehr lesen