Schengen-Abkommen

Analyse: Die Grenzkontrollen bleiben

Analyse: Die Grenzkontrollen bleiben

Analyse: Die Grenzkontrollen bleiben

Kopenhagen
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Die neue Regierung wird vornehmlich aus politischen Gründen die Grenzkontrolle aufrecht erhalten, lautet die Analyse. Foto: Karin Riggelsen

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Es sind schlechte Nachrichten für alle, die gegen Grenzkontrollen sind, und gute für jene, die meinen, sie sollten bleiben: Die derzeitige Regierung wird sie höchstwahrscheinlich nicht abschaffen. So zumindest lautet die Einschätzung von Walter Turnowsky.

Mitte April wird Justizminister Peter Hummelgaard (Soz.) einen Brief an EU-Innenkommissarin Ylva Johansson schicken, in dem steht, dass Dänemark die Kontrollen ab dem 12. Mai um weitere sechs Monate verlängern wird.

Die offizielle Sprachregelung der Regierung ist, man habe noch keinen Beschluss dazu gefasst. Hört man sich auch die Zwischentöne an, wird deutlich, dass sie keine Pläne hat, sie abzuschaffen. Wenn Hummelgaard zum Beispiel sagt, er sei zufrieden mit dem Effekt der Kontrollen, dann kann man getrost davon ausgehen, dass er es auch im April noch sein wird.

Auch die Tatsache, dass die Regierung immer wieder betont, man wolle die Polizei bitten zu untersuchen, wie die Kontrollen für Pendlerinnen und Pendler erträglicher gestaltet werden können, ist ein deutlicher Hinweis. Es wäre ein ziemlicher Aufwand, die Polizei zu bitten, etwa eine Pendlerspur einzurichten, um dann die Kontrollen abzuschaffen. Bis so etwas überhaupt umgesetzt werden kann, sind wir schon fast im Mai angekommen.

Kein Interesse der SVM-Regierung Kontrollen abzuschaffen

Gegnerinnen und Gegner der Kontrollen haben vielleicht darauf gehofft, dass diese zumindest im Lauf dieser Legislaturperiode abgeschafft werden, doch auch das halte ich für hochgradig unwahrscheinlich. Dafür gibt es zwei Gründe:

1. Rein politisch hat vor allem die Sozialdemokratie, aber auch Venstre, kein Interesse daran, sie abzuschaffen. Ob sie ihren erklärten Zweck erfüllen oder man die Schengen-Regeln bis zur Unkenntlichkeit dehnt, spielt dabei eine geringe Rolle.

2. Der Druck seitens der EU-Kommission und Deutschlands wird bescheiden bleiben, solange eine Reihe von anderen Schengen-Ländern inklusive Deutschland selbst Grenzkontrollen durchführt.

Effekt ist fragwürdig

Wie „Der Nordschleswiger“ in einer Reihe von Artikeln nachgewiesen hat, hat weder Regierung noch die Polizei Daten dafür, dass die Kontrollen vor Terror und organisierter Kriminalität schützen. An geheimdienstliche Informationen über den möglichen Terrorschutz kommen wir nicht heran. Aber insgesamt ist bemerkenswert, dass der ausgewiesene Polizeiexperte Adam Diderichsen keine Dokumentation des Effektes zu erkennen vermag.

Vor allem die Sozialdemokratie will sich gegenüber den rechten Parteien keine Blöße geben, und dabei sollte man nicht vergessen, dass die Kontrollen in Teilen der Bevölkerung durchaus populär sind – auch und gerade in Nordschleswig.

Walter Turnowsky

Was die Kontrollen Richtung Schweden betrifft, sieht selbst die Reichspolizei keinen Effekt. In einer Einschätzung, in die „Der Nordschleswiger“ Akteneinsicht erhalten hat, schreibt sie, die Kontrollen hätten grenzüberschreitende Bandenkriminalität nicht verhindert.

Politische Gründe

Insbesondere gibt es keine Hinweise darauf, dass die Regierung und die Polizei ernsthaft untersucht haben, ob man mit anderen Methoden als den Kontrollen für das gleiche Geld, eine genauso effiziente oder effizientere Kriminalitätsbekämpfung erreichen könnte. Das zeigt deutlich, dass es nicht darum geht, ob die Kontrollen wirken oder nicht, sondern der Grund ist politischer Art.

Vor allem die Sozialdemokratie will sich gegenüber den rechten Parteien keine Blöße geben. Dabei sollte man nicht vergessen, dass die Kontrollen in Teilen der Bevölkerung durchaus populär sind – auch und gerade in Nordschleswig. Als deutliches Symbol vermitteln die Beamtinnen und Beamten an der Grenze vielen ein Gefühl des Schutzes (Stichwort: tryghed) vor äußeren Bedrohungen.

Intern in Venstre sprechen sich einzelne Stimmen gegen die Kontrollen aus, aber keine der zentralen Politikerinnen und Politiker. Hier bleibt man bequem im Windschatten der Sozialdemokratie. 

Zustimmung in der Bevölkerung

Wenn der Politiker der Dänischen Volkspartei, Peter Kofod, berichtet, er erlebe in der Fußgängerzone oder im Supermarkt Zustimmung für permanente Grenzkontrollen, kann man ihm das ruhig abnehmen. Wirklich überzeugte Gegnerinnen und Gegner der Kontrollen findet man außerhalb von Nordschleswig nur wenige; den meisten sind sie egal.

Daher haben auch die Moderaten, die sich vor der Wahl gegen die Kontrollen ausgesprochen haben, wenig Anlass, großes Aufheben um sie zu machen. Wie ihr Vorsitzender, Außenminister Lars Løkke Rasmussen, lakonisch bemerkte, sei man nun Teil einer Mehrheitsregierung.

Auch unter den übrigen Parteien ist die Motivation, für die Öffnung der Grenzen zu streiten, daher gering. Von den Alternativen und den Radikalen kommt etwas, aber ansonsten herrscht zu dem Thema weitgehend Funkstille.

Acht Staaten mit Grenzkontrollen 

Daher muss der Druck, und damit wären wir bei zweitens, von außen kommen, soll die SVM-Regierung in dieser Frage umgestimmt werden. Die EU-Kommission und die übrigen Schengen-Staaten haben die Möglichkeit, eine Stellungnahme zur Verlängerung der Kontrollen abzugeben und Dänemark zu einer Sitzung zu bestellen. Deutschland hat als betroffener Nachbarstaat ein besonderes Recht, sich zu äußern.

Das Problem der Kommission ist, dass Dänemark bei Weitem nicht das einzige Land ist, das derzeit temporäre Grenzkontrollen durchführt. Sieben weitere Staaten inklusive große wie Deutschland und Frankreich tun dies. Solange das der Fall ist, ist nicht zu erwarten, dass die Kommission sehr entschieden gegenüber Dänemark auftreten wird.

Baerbocks Problem

Und daraus ergibt sich auch das Problem für die deutsche Bundesregierung. Zwar ist es das Bundesland Bayern, das die Kontrollen Richtung Österreich eingeführt hat, aber der Schritt stärkt die Möglichkeit, Druck auf Dänemark auszuüben, nicht gerade.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat bei ihrem Besuch in Kopenhagen im August das Thema angesprochen. Das waren deutlichere Worte, als sie bis dahin deutsche Regierungsvertreterinnen und -vertreter gefunden hatten. Doch machte sie gleichzeitig deutlich, dass sie auf den freundlichen und diplomatischen Dialog setzt.

Moderater Pragmatismus

Damit wird sie vermutlich bei ihrem derzeitigen dänischen Amtskollegen auf offenere Ohren stoßen als bei dessen sozialdemokratischen Vorgänger Jeppe Kofod. Doch wie bereits erwähnt, wird Lars Løkke Rasmussen in dieser Frage nicht viel politisches Kapital investieren, um die beiden anderen Koalitionspartner zu überzeugen.

Daher ist die Schlussfolgerung, dass die SVM-Regierung die Grenzkontrollen zwar lockern wird – wie viel muss sich zeigen –, dass sie sie abschaffen wird, ist jedoch nicht sonderlich wahrscheinlich.

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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