Schengener Abkommen

Experte nennt Begründung für Grenzkontrollen „peinlich und wirr“

Experte nennt Begründung für Grenzkontrollen „peinlich und wirr“

Experte: Begründung für Grenzkontrollen „peinlich und wirr“

Kopenhagen/Nordschleswig
Zuletzt aktualisiert um:
Polizeiforscher Adam Diderichsen hält die Argumente für die Grenzkontrollen nicht für stichhaltig. Foto: Karin Riggelsen/Privatfoto

Diesen Artikel vorlesen lassen.

„Der Nordschleswiger“ hat den Sicherheitsexperten Adam Diderichsen gebeten, die Begründung der Regierung für die jüngste Verlängerung einzuschätzen. Auch Dokumente der Polizei zum Effekt der Kontrollen liegen ihm vor. Sie würden nicht vor Terror und organisierter Kriminalität schützen, lautet sein Urteil.

Der Sicherheitsexperte Adam Diderichsen lässt kein gutes Haar an dem Brief des damaligen Justizministers Mattias Tesfaye (Soz.) an die EU-Kommission, in dem dieser die Verlängerung der Grenzkontrollen ab dem 12. November vergangenen Jahres begründet.

„Das Schreiben ist in meinen Augen peinlich und wirr“, schreibt er in einer schriftlichen Einschätzung an den „Nordschleswiger“.

Experte vermisst „stichhaltige Gründe“

Die Begründung, die Tesfaye am 14. Oktober an EU-Innenkommissarin Ylva Johansen schickte, ist, wie zuvor beschrieben, deutlich wortreicher als entsprechende frühere Schreiben. „Der Nordschleswiger“ hat vom Justizministerium eine Akteneinsicht zur Beratung des Ministeriums durch die Polizei im Vorfeld der Verlängerung gewährt bekommen. Beide Dokumente haben wir Diderichsen vorgelegt. Die ausführliche Begründung Tesfayes hält der Sicherheitsexperte nicht für stichhaltig.

„Man führt eine lange Liste von Begründungen von so gut wie allem an, das einem an ernsten Sicherheitsproblemen eingefallen ist. Generell gibt es überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass die Grenzkontrollen ein effektives Mittel zur Bekämpfung dieser Probleme sind, und das Schreiben führt keine stichhaltigen Gründe dafür an, dass dies der Fall sein sollte“, so sein Urteil.

Die zentrale Frage ist daher nicht, ob die Polizei bei den Grenzkontrollen etwas findet, sondern ob man dasselbe oder mehr erreichen könnte, indem man die Polizeiressourcen anderweitig einsetzt.

Adam Diderichsen

Adam Diderichsen

 

Seit August 2022 Postdoc am Institut für Staatswissenschaften an der Süddänischen Universität

 

2018 bis 2022 Lektor für Katastrophen- und Risikomanagement an der Professionshochschule Kopenhagen.

 

2016 bis 2018 Chefberater bei der Reichspolizei

 

2015 bis 2016 Lektor für Polizeiwissenschaften an der Universität Aalborg

 

2008 bis 2015 Arbeit für die Reichspolizei in unterschiedlichen Funktionen, unter anderem als Chefanalytiker für strategische Analyse und zuständig für den Aufbau der Professionsbachelorausbildung für Polizeitätigkeit

 

Hat mehrere Publikationen über die Polizeiarbeit veröffentlicht

Foto: Privat

Diderichsen forscht am Institut für Staatswissenschaften an der Süddänischen Universität zu Polizeifragen. Er hat insgesamt neun Jahre bei der Reichspolizei gearbeitet, unter anderem als Chefanalytiker.

„Keine Ahnung von Polizeiarbeit und Finanzen“

Statt zu dokumentieren, dass die Kontrollen effizient seien, würde man sogenannte „Fakten“ über die Anzahl der abgewiesenen Personen, der Bezichtigungen und der Beschlagnahme von Waffen auflisten, betont er. Solche Listen seien bereits mehrfach als Argument für die Grenzkontrollen angeführt worden.

„Dazu kann man nur sagen, dass man weder von Polizeiarbeit noch Finanzen Ahnung hat, wenn man glaubt, so eine Liste als Argument anführen zu können. Selbstverständlich findet man etwas, wenn man an der Grenze kontrolliert, denn das tut man immer, wenn die Polizei größere Kontrollen durchführt“, argumentiert Diderichsen aus.

Diderichsen fordert „sinnvollen“ Einsatz von Ressourcen

Auch bei Razzien auf der Autobahn würde die Polizei Waffen, Drogen, Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung und vieles mehr finden; das seien jedoch „Zufallsfunde“. Diese würde die Polizei auch machen, würde sie alle Personen an der Brücke über den Großen Belt oder in der Kopenhagener Fußgängerzone kontrollieren.

„Die zentrale Frage ist daher nicht, ob die Polizei bei den Grenzkontrollen etwas findet, sondern ob man dasselbe oder mehr erreichen könnte, indem man die Polizeiressourcen anderweitig einsetzt“, betont der Polizeiforscher.

Løkke bezeichnete Begründungen als sachlich

Es sei nicht genug, dass man etwas für sein Geld bekommen würde. Es könne trotzdem eine schlechte Investition sein, wenn man auf andere Weise mehr für sein Geld bekommen könnte. Die Beratung durch die Reichspolizei, die aus der Akteneinsicht des „Nordschleswigers“ hervorgeht, würde die Begründungen der damaligen Regierung nicht stärken. Begründungen, die der jetzige Außenminister, Lars Løkke Rassmussen (Moderate) in einem Interview als „sachlich“ bezeichnet hat.

Dies bestätigt den Eindruck einer verworrenen und undurchdachten Argumentation.

Adam Diderichsen

„Die Dokumente der Reichspolizei dokumentieren in erster Linie die Behauptungen im Schreiben des Justizministeriums“, so Diderichsen nach Sichtung der Unterlagen.

Er finde es bezeichnend sowohl für das Schreiben an die EU-Kommission als auch für die Dokumente der Reichspolizei, dass sie die verschiedenen Ebenen vermischen würden. Zum Beispiel, wenn man Fremdkrieger und Immigration als Argument für Kontrollen an den EU-Binnengrenzen anführe, obwohl diese Probleme vor allem für die Kontrollen an den Außengrenzen relevant seien.

„Dies bestätigt den Eindruck einer verworrenen und undurchdachten Argumentation“, schlussfolgert Adam Diderichsen.

Justitsminister Peter Hummelgaard (Soz) schreibt in einer schriftlichen Stellungnahme an den „Nordschleswiger“, er meint, die Verlängerung der Grenzkontrollen sei die richtige Entscheidung gewesen

Am Mittwoch muss er um 13 Uhr während der Fragestunde des Folketings Fragen der Alternativen zu den Grenzkontrollen beantworten. 

Der Artikel wurde um 10.42 Uhr um die Reaktion des Justitsministers ergänzt. 

Im Laufe des vergangenen Jahres ist die Diskussion über die Grenzkontrollen intensiver geworden. „Der Nordschleswiger“ hat zum Jahreswechsel die wichtigsten Artikel dazu zusammengefasst:

Mehr lesen

Leserbrief

Svend Brandt
„Stor opgave for borgmesteren“