Standpunkt

„Stellungnahme der FUEN: Minderheiten beklagen Demokratiedefizit“

Stellungnahme der FUEN: Minderheiten beklagen Demokratiedefizit

FUEN: Minderheiten beklagen Demokratiedefi

Loránt Vincze und Bernard Gaida
Flensburg/Brüssel
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In einer Stellungnahme äußert sich die Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) und die Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten der FUEN (AGDM) ihr Bedauern über die Weigerung der Europäischen Kommission, Rechtsakte basierend auf den Vorschlägen der Minority SafePack Initiative, vorzuschlagen.

Die Europäische Bürgerinitiative Minority SafePack (MSPI) fordert ein breites Paket an Legislativvorschlägen zum Schutz und zur Förderung der Kultur und Sprache von Angehörigen autochthoner nationaler Minderheiten und Sprachgemeinschaften in den Rechtsrahmen der Europäischen Union aufzunehmen.

Die Weigerung der Kommission, Gesetzgebungsakte zu initiieren, veröffentlicht in einer Mitteilung vom 15. Januar 2021, zeigt ein sehr tiefgreifendes Problem innerhalb der Europäischen Union auf: Nämlich ihr anhaltendes Demokratiedefizit. Die Europäische Bürgerinitiative wurde 2012 als Instrument der partizipativen Demokratie ins Leben gerufen und erfordert die Sammlung von einer Million Unterschriften sowie das Überschreiten der jeweiligen nationalen Schwelle in zumindest sieben Mitgliedsstaaten. Dies ist wahrlich keine leichte Aufgabe: Seit Einführung des Instruments der EBI haben es nur sechs Initiativen geschafft diese Hürden zu nehmen. Die von der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) koordinierte Minority SafePack Initiative war erst die fünfte EBI, die mit insgesamt 1.123.422 validierten Unterschriften und dem Überschreiten der Schwellen in elf Mitgliedstaaten diese Kriterien zu erfüllen vermochte.

Leider ist die MSPI auch die fünfte Initiative in Folge, die eine ablehnende Antwort von der Kommission erhalten hat. Und das, obwohl sie eine noch nie dagewesene Unterstützung erfuhr: Viele Regionalparlamente – darunter die Landtage Schleswig-Holsteins und Brandenburgs –, die Zweite Kammer des niederländischen Parlaments, das ungarische Parlament unterstützten die Initiative mit entsprechenden Resolutionen. Am 27. November 2020 stimmte der Deutsche Bundestag einstimmig für eine Resolution zur Unterstützung der MSPI. Gekrönt wurde diese beispiellose Welle an Zuspruch, als am 16. Dezember 2020 auch das Europäische Parlament mit überwältigender Mehrheit für eine Entschließung stimmte. Darin fordert das EP die Kommission eindringlich dazu auf, Rechtsakte auf Grundlage der Minority SafePack Initiative zu erlassen.
Mit ihrer ablehnenden Entscheidung ignoriert die Kommission die mehr als 1 Million Unterschriften der europäischen Bürgerinnen und Bürger und missachtet auch den Willen einer 3/4-Mehrheit des Europäischen Parlaments. Dieser Umstand zeugt auch davon, dass in der EU die repräsentative Demokratie hinter der bürokratischen Willensbildung zurückstehen muss.

Wir bedauern es sehr, dass durch das Vorgehen der Kommission das Instrument der Europäischen Bürgerinitiative an Bedeutung verliert und somit der demokratische Prozess in der Europäischen Union nachhaltig geschwächt wird.

Obwohl das Motto der Europäischen Union "In Vielfalt geeint" lautet und der Schutz der Angehörigen von Minderheiten einer ihrer Grundwerte darstellt, hat sich die Kommission verweigert zielführende Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der genannten Werte zu ergreifen. Damit missachtet die Kommission die Belange von 50 Millionen EU BürgerInnen, die einer nationalen oder sprachlichen Minderheit angehören.

Zusätzlich wird dadurch auch ein falsches Signal an all jene Mitgliedsstaaten gesendet, in denen die Probleme der nationalen Minderheiten als nicht vollständig gelöst gelten oder, noch schlimmer, in denen die autochthonen Minderheiten nicht einmal vom Staat anerkannt werden. Im heutigen Europa hängt der Grad des Minderheitenschutzes nämlich ganz davon ab, in welchem Staat man geboren wurde. Diese bittere Wahrheit spiegelt sich in der Rechtsstellung und den Erfahrungen vieler deutscher Minderheiten in Europa wider. Ebenso wie andere nationale Minderheiten sind gerade auch die deutschen Volksgruppen in einigen Mitgliedsstaaten vom Verlust ihrer sprachlichen und kulturellen Identität bedroht. So etwas darf in der EU im 21. Jahrhundert nicht länger hingenommen werden.

Angesichts der enttäuschenden Entscheidung der Kommission und gestützt auf die Entschließung des Deutschen Bundestages fordert die FUEN im Namen der autochthonen und nationalen Minderheiten in Europa die Bundesregierung und den Bundestag auf,

  • alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Entscheidung der Europäischen Kommission zu tadeln
  • die Kommission aufzufordern ihre Entscheidung zu überdenken und die Forderungen der MSPI durch zielführende Rechtsakte und Maßnahmen umzusetzen.
  • das Europäische Parlament aufzufordern, alle ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen und politischen Mechanismen zu nutzen, um gegen die Mitteilung der Kommission vorzugehen.
  • durch bilaterale Abkommen und andere diplomatische Bemühungen zur Stärkung der Minderheitenrechte in anderen Mitgliedstaaten beizutragen.

Hochachtungsvoll,

Loránt Vincze, FUEN Präsident, MdEP

Bernard Gaida, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten in der FUEN

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