Minderheiten in Europa

„Baskisch muss auch Sprache der Freizeit sein“

„Baskisch muss auch Sprache der Freizeit sein“

„Baskisch muss auch Sprache der Freizeit sein“

Bojan Brezigar/Primorski Dnevnik
Donostia/San Sebastián
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Martxelo Otamendi
Martxelo Otamendi: Die Jahre der Angst im Baskenland sind vorbei – und die baskische Sprache floriert. Foto: Cornelius von Tiedemann

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Interview: Martxelo Otamendi, Ex-Chefredakteur der baskischen Tageszeitung „Berria“, über die Schließung seiner ersten Zeitung, Folter und die Zukunft seiner Heimat, in der es der baskischen Sprache „so gut wie nie zuvor“ gehe.

Martxelo Otamendi war 30 Jahre lang Chefredakteur der baskischen Tageszeitung „Euskaldunon Egunkaria“ und von deren Nachfolgezeitung „Berria“. Nun ist er in den Ruhestand getreten. Otamendi wurde 2003, als die spanische Justiz die Zeitung „Egunkaria“ unrechtmäßig wegen angeblicher Unterstützung der Terrororganisation ETA schloss, verhaftet und gefoltert. Im Interview mit Bojan Brezigar von „Primorski Dnevnik“ berichtet er über diese Zeit und richtet einen Blick in die Zukunft.

Primorski Dnevnik
Foto: Primorski Dnevnik

Primorski Dnevnik ist eine slowenischsprachige Tageszeitung in Italien, die in der Region Friaul-Julisch Venetien erscheint. Sie richtet sich an die dortige autochthone slowenische Minderheit. Redaktionssitz ist Triest (slow. Trst, ital. Trieste). Sie ist die einzige Tageszeitung in slowenischer Sprache außerhalb Sloweniens.

Martxelo Otamendi, Sie wurden am 20. Februar 2003 mitten in der Nacht geweckt …

„Ich war an diesem Abend nicht im Büro, sondern hielt auswärts einen Vortrag über die baskischen Medien. Als ich fertig war, machte mich jemand darauf aufmerksam, dass auf dem Platz, auf dem mein Auto geparkt war, drei sehr verdächtig aussehende Männer stünden. Ich hatte etwa 25 Kilometer nach Hause zu fahren, hauptsächlich auf Bergstraßen, von denen es im Baskenland viele gibt. Vor mir war ein Auto, hinter mir ein anderes, die ganzen 25 Kilometer bis zu meinem Haus. Ich hatte zwar ein Mobiltelefon, aber da nichts passierte, habe ich niemanden angerufen.  Ich nahm an, dass sie mich einfach wissen lassen wollten, dass ich überwacht werde, dass sie kontrollieren, wohin ich gehe und mit wem ich mich treffe, aber ich erwartete  nichts Schlimmes.“

Was geschah dann?

„Ich kam nach Hause, duschte und ging ins Bett. In der Nacht wurde ich durch lautes Klopfen und Rufen geweckt, ich solle die Tür öffnen. Sie betraten das Haus und verbrachten fünf Stunden damit, alles zu überprüfen und alles zu zerstören. Dann brachten sie mich in mein Büro und durchsuchten auch dort fünf Stunden lang alles. Ich durfte mit niemandem Kontakt aufnehmen, ich war isoliert, ich wusste nicht, wer noch durchsucht wurde. Dann haben sie mich nach Madrid gebracht. Erst dort wurde mir gesagt, dass sie von der Guardia Civil sind und dass sie mit mir machen können, was sie wollen, dass ich keine Rechte habe.“

Martxelo Otamendi am Eingang des Medienhauses, in dem heute die „Berria“ ihre Hauptredaktion hat. Früher wurden hier baskische Journalistinnen und Journalisten mitten aus der Arbeit von der Polizei abgeführt. Foto: Cornelius von Tiedemann

Wie ging es weiter?

„Sie verhörten mich drei Tage lang, folterten mich, zogen mich nackt aus, misshandelten mich körperlich und verhöhnten mich. Sie wussten nichts von meinen sexuellen Neigungen, aber bei der Durchsuchung fanden sie eine Broschüre mit Informationen über Restaurants für Schwule im benachbarten Frankreich, und das reichte ihnen, um Gewalt anzuwenden. Nach drei Tagen wurde ich einem Richter vorgeführt, der entschied, dass ich gegen Zahlung einer Kaution von 13.000 Euro freigelassen werden könne. Meine Familie zahlte, und nach sechs Tagen in der Gewalt der Guardia Civil und einigen Stunden im Gefängnis konnte ich nach Hause zurückkehren.“

Es gab einen Prozess?

„Sieben Jahre später sprach mich das Gericht mit der Begründung frei, dass es keinen Grund für die Schließung der Zeitung gegeben habe. In dem Urteil hieß es, es gebe keine Beweise für eine Verbindung zwischen der Zeitung und der ETA, keine Beweise dafür, dass die Zeitung die ETA finanziert oder Geld von der ETA erhalten habe. Die Untersuchung kam zu dem Schluss, dass die Aktion der Anti-Terrorismus-Behörden völlig ungerechtfertigt war.“

Das war alles?

„Die Richter schrieben auch, dass wir von der Guardia Civil sehr schlecht behandelt wurden; natürlich konnten sie nicht schreiben, dass wir gefoltert wurden. Zehn Personen waren verhaftet worden, sechs wurden gefoltert, drei von ihnen bekamen danach Krebs – auch ich –, zwei starben, aber ich erholte mich. Es war nicht einfach. Ich habe vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt, weil die spanische Justiz nicht  wegen der Folterungen ermittelt hatte,  und ich habe gewonnen.“

Was geschah mit Egunkaria?

„,Egunkaria' blieb geschlossen. Wir haben nicht auf die endgültige Entscheidung des Gerichts gewartet, sondern eine neue Tageszeitung gegründet, „Berria“. Es gab einen großen Protest gegen die Schließung von ,Egunkaria', Tausende von Menschen, wir fanden 25.000 Aktionäre und bekamen insgesamt 5 Millionen Euro zusammen, das ist viel Geld für eine neue Zeitung mit mehr Journalistinnen und Journalisten, mehr Seiten, mehr Geld. Wir haben uns gesagt: Ihr habt uns dichtgemacht, wir machen etwas Neues auf. Auch  viele Leute, die kein Baskisch sprechen, haben Aktien von ,Berria' gekauft, ebenso auch viele Leute, die zwar Baskisch sprechen, aber vorher nicht ,Egunkaria' gelesen hatten. Sie haben verstanden, dass es um Freiheit, um Demokratie geht.“

Berria
Zum 20-jährigen Bestehen der „Berria“ gab es in Donostia (San Sebastián) mehrere Empfänge – einen auch für die Partnermedien im Minderheiten-Mediennetzwerk Midas. Foto: Cornelius von Tiedemann

Wie ist die Situation im Baskenland heute?

„Nach dem Ende der ETA-Aktivitäten im Jahr 2011 muss niemand mehr Angst haben, niemand schaut unter das Auto, um zu sehen, ob etwas daran angebracht wurde, es gibt keine Leibwächter mehr, es gibt keine Entführungen, keine Verbrechen mehr, keine Verhaftungen und keine unbegründeten Anschuldigungen mehr. Allerdings sind noch etwa 500 politische Gefangene inhaftiert. Das ist immer noch eine offene Frage. Spanien hat die Verurteilten in weit entfernte Gefängnisse geschickt, sogar auf die Kanarischen Inseln, was es für ihre Familien sehr schwierig machte, sie zu besuchen. Dies war eine doppelte Bestrafung. Sie wurden zu zehn Jahren Haft verurteilt und dann weit weg von zu Hause verlegt; das war eine politische Entscheidung, die nicht von den Gerichten getroffen wurde. Es war auch eine Strafe für Freunde, für die Familie.“

Wie steht Madrid heute zu diesem Thema?

„In den vergangenen Jahren ist die Regierung Sánchez der baskischen Linkspartei Bildu, die sie im Parlament unterstützt, entgegengekommen und hat diese Verurteilten an weniger abgelegene Orte verlegt, meist in Gefängnisse im Baskenland. Einige erhalten Vergünstigungen, sie können arbeiten und abends ins Gefängnis zurückkehren oder gelegentlich einen Tag mit ihren Familien verbringen. Wir hatten keine Friedenskonferenz wie in Nordirland oder in Kolumbien, es war einfach ein Prozess, der mithilfe Norwegens beendet wurde. Wenn es eine Friedenskonferenz gegeben hätte, wären die Menschen freigelassen worden. In Nordirland ist niemand mehr im Gefängnis. Denken Sie daran: Auch Jassir Arafat und Nelson Mandela waren Terroristen, und dann haben sie den Friedensnobelpreis bekommen. Unsere Aufgabe ist es nun, Spanien dazu zu bringen, all diese Gefangenen nach und nach freizulassen. Aber das wird schwierig werden.“

Gibt es die ETA noch?

„Nein, die ETA gibt es seit 2011 nicht mehr; sie  wurde 2018 offiziell aufgelöst.“

Wie ist die Situation im Baskenland, wie sieht es mit den Rechten aus, was ist mit der Sprache, was sind Ihre Wünsche?

„Die Sprache wird bewahrt und weiterentwickelt, die Schule hat viel getan, und viele Kinder aus spanischen Familien sprechen Baskisch.“

Wird Baskisch in allen Schulen unterrichtet?

„Ja, wir haben vier Modelle. Modell A sieht eine Stunde Baskischunterricht pro Tag vor, aber vielerorts bieten die Schulen dieses Modell nicht mehr an. Modell B ist zur Hälfte auf Spanisch und zur Hälfte auf Baskisch, also eine zweisprachige Schule, Modell C wurde abgeschafft, und Modell D ist eine baskischsprachige Schule, in der nur Spanisch auf Spanisch unterrichtet wird, alle anderen Fächer auf Baskisch. Vielerorts wird in den Schulen nur Modell D angeboten.“

Was ist mit  den Privatschulen?

„Wenn sie diesen Modellen folgen, finanziert der Staat die Gehälter ihrer Lehrer, ansonsten erhalten sie keinen Euro vom Staat. Natürlich haben wir englische, deutsche und sogar spanische Schulen, aber die sind wirklich privat. Baskisch wird in der gesamten Region gesprochen, in der es stark vertreten ist: Gipuzkoa, Bizkaia, ein großer Teil der Araba und Nord-Nafarroa. Die Menschen verstehen und sprechen Baskisch, aber natürlich nicht alle; die Schule allein reicht nicht aus, wenn die Sprache zu Hause nicht verwendet wird, wenn es nicht die normale gesprochene Sprache ist.“

Wie ist der Stand der Sprache in der Gesellschaft?

„Der Zustand des Baskischen ist so gut wie nie zuvor. Wir haben zwei staatliche Universitäten, an denen alles auf Baskisch gemacht wird, wir haben Medien, und auch die Politik wird in unserer Sprache gemacht.  Unsere Journalisten reisen in die ganze Welt, und natürlich berichten sie auf Baskisch, sie schreiben für die Tageszeitung, sie gehen ins Radio, und sie treten im Fernsehen auf. Dies ist natürlich eine qualitative Bewertung. Zahlenmäßig kommen wir viel langsamer voran.  Inhaltlich  machen wir große Fortschritte, aber zahlenmäßig viel weniger.“

Was bedeutet das für die Zukunft?

„Heute sprechen 35 bis 36 Prozent  der Bevölkerung Baskisch. Diese Menschen verwenden Baskisch als Alltagssprache. Tatsache ist, dass die Elite Baskisch spricht, während die unteren Schichten es in viel geringerem Maße tun. Es gibt auch viele Einwanderer, die nicht  im Baskenland zur Schule gegangen sind.  Das ist die Herausforderung der nächsten 20 Jahre, der wir uns stellen müssen: Wir können es uns nicht leisten, uns damit zufrieden zu geben, dass Baskisch die gesprochene Sprache der Mittel- und Oberschicht ist. Es reicht nicht aus, dass die Menschen die Sprache in den Schulen lernen und sie in der Gesellschaft nicht verwenden, wie es in Irland mit dem Irischen ist: Es ist Pflichtfach in den Schulen, und jeder benutzt Englisch in der Öffentlichkeit. Baskisch darf nicht die Sprache der Schulen bleiben, sondern muss die Sprache der Gesellschaft für alle Kinder sein, auch in ihrer Freizeit. Das erfordert große Anstrengungen und auch viel Geld. Das ist die Herausforderung der nächsten 20 Jahre.“

Midas – das Redaktionsnetzwerk der Minderheiten

Im Rahmen des Verbandes europäischer Minderheiten-Medien „Midas“ veröffentlicht „Der Nordschleswiger“ Artikel aus anderen Mitgliedsmedien. Zu dem Netzwerk gehören 27 Medien aus zwölf Ländern Europas. Chefredakteurinnen und Chefredakteure von Tageszeitungen, die in Minderheiten- oder Regionalsprachen erscheinen, haben die Minority Dailies Association (Midas) 2001 gegründet.

Alle veröffentlichten Artikel aus der Serie:

 

www.midas-press.org
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Gabriel N. Toggenburg