Minderheitenpolitik

Spanisch statt Katalanisch: Patientin und Ärztin verstehen sich nicht

Spanisch statt Katalanisch: Patientin und Ärztin verstehen sich nicht

Katalanisch: Patientin und Ärztin verstehen sich nicht

Oriol Bäbler und Arnau Lleonart/Vila Web
Barcelona
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35 Verstöße gegen die Sprachvorschriften wurden 2021 gemeldet, 2022 waren es 39, und in den ersten beiden Monaten des laufenden Jahres gingen bereits drei Beschwerden ein. Foto: Unsplash/CDC

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In Spanien kommt es immer wieder zu einer Sprachdiskriminierung von Bürgerinnen und Bürgern, die ihr Recht einfordern und Katalanisch im Gesundheitsbereich sprechen wollen. Oriol Bäbler und Arnau Lleonart vom katalanischen Medium „VilaWeb“ haben solche Ereignisse zusammengetragen. Dabei ist ihnen aufgefallen: Es handelt sich nicht um Einzelfälle.

Minderheitenmedium „VilaWeb“

„VilaWeb“ ist ein Nachrichtenportal mit täglicher Berichterstattung in katalanischer Sprache, das die Journalisten Vicent Partal und Assumpció Maresma im Mai 1995 gegründet haben. Es war das erste vollständig auf Katalanisch produzierte Online-Medium.

 

www.vilaweb.cat

Wer im Krankenhaus seine Muttersprache nicht benutzen kann, ist besonders hilflos beim Schildern seiner gesundheitlichen Probleme. Ein solcher Vorfall ereignete sich zum Beispiel voriges Jahr, als eine Frau mit ihrem Sohn in ein Krankenhaus in Hospitalet de Llobregat kam. Nachdem das Kind von einer Krankenschwester untersucht worden war, wurde es an eine Ärztin überwiesen, der die Mutter das Problem schildern wollte.

Die Ärztin aber unterbrach sie und sagte, dass sie kein Katalanisch verstehe. Die Mutter entgegnete, sie müsse sich in ihrer Sprache ausdrücken, weil sie sehr nervös sei. Die Ärztin erwiderte: „Möchten Sie Katalanisch sprechen, oder möchten Sie, dass Ihr Kind geheilt wird?“ Sie als die Ärztin habe sprachliche Rechte; die Mutter müsse die Konsequenzen tragen, wenn sie sich weigere, Spanisch zu sprechen.

Katalanisch auf C1-Niveau im Gesundheitswesen

Allerdings gilt, wer in Katalonien im Gesundheitswesen arbeiten will, muss die Kenntnis der katalanischen Sprache auf C1-Niveau (weit fortgeschrittenes Sprachniveau) nachweisen. Es gibt aber Ausnahmen für vorübergehend Beschäftigte sowie Praktikantinnen und Praktikanten. In jedem Fall bietet die Regionalregierung Ressourcen und Informationen, damit Beschäftigte Katalanisch lernen. Die Sprachpolitik und das Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst schreiben vor, dass die Angestellten in katalanischer wie auch in spanischer Sprache auf die Bürgerinnen und Bürger eingehen können.  

Zwischen 2019 und 2022 sammelte die Plattform für Sprache 102 Beschwerden wegen Verletzung der sprachlichen Rechte im Gesundheitsbereich in den katalanischen Gebieten. Ihre Daten zeigen einen deutlichen Aufwärtstrend. Die Plattform ist eine 1993 gegründete zivilgesellschaftliche Organisation, die sich für die Anerkennung und Verbreitung der katalanischen Sprache einsetzt.  

Zu wenig Personal in den Krankenhäusern

Probleme bereitet auch die Tatsache, dass es zu wenige Mitarbeitende im Gesundheitswesen gibt. Also müssen Beschäftigte von außerhalb gesucht werden.  „Im Jahr 2022 kamen mehr als 50 Prozent der neuen Mitarbeitenden aus Nicht-EU-Ländern, die nicht das katalanische Bildungssystem absolviert und auch keinen Spezialisierungstitel haben“, schildert Jaume Padrós, der Präsident der Ärztekammer von Barcelona. 

Verstöße gegen die Sprachvorschriften

Auch die katalanische Regionalregierung nimmt immer wieder Beschwerden gegen die Sprachvorschriften entgegen. 35 Verstöße wurden 2021 gemeldet, 2022 waren es 39, und in den ersten beiden Monaten des laufenden Jahres gingen bereits drei Beschwerden ein.

In der Provinz Valencia kündigte im November die Regionalregierung aus Sozialisten, Compromís (einem Bündnis linker Regionalparteien) und Unidas Podemos („Botanic-Koalition“) nach langen Diskussionen eine Vereinbarung zur Umsetzung der sprachlichen Anforderungen im öffentlichen Dienst an. „Es muss möglich sein zu garantieren, dass Menschen sich in der Sprache an uns wenden, die sie bevorzugen, und dass wir als Verwaltung die Fähigkeit haben, darauf zu antworten“, sagte Regionalrätin Raquel Tamarit. 

Das Gesundheitssystem wurde jedoch von dem Abkommen ausgenommen, obwohl dort die meisten Verstöße zu verzeichnen sind. Laut der Plattform für Sprache haben sich im vergangenen Jahr die Beschwerden über die Diskriminierung von Sprachen im valencianischen Gesundheitswesen fast verdreifacht.  

Muttersprache benutzt – Strafe über 601 Euro 

Einer der am schwerwiegendsten Fälle von Diskriminierung ereignete sich im vergangenen Sommer im Gesundheitszentrum Alfafar südlich von Valencia. Ein Bürger wurde mit einer Strafe von 601 Euro belegt, weil er angeblich den Dienst gestört haben soll, als er Betreuung in katalanischer Sprache forderte. Der Arzt forderte den Mann auf, Spanisch zu sprechen oder zu gehen. Er wurde schließlich von einem anderen Arzt behandelt. 

Vier Monate später wurde Francesc Xavier Tébar von der Vertretung der spanischen Regierung in der Provinz Valencia mitgeteilt, dass gegen ihn eine Geldstrafe ausgesprochen worden sei, weil er „den normalen Betrieb des Gesundheitszentrums gestört“ und „die Rezeptionistin belästigt“ habe. Es brach ein medialer Sturm los, auf den hin die Strafe annulliert wurde.  

Sprachprobleme auf den Balearen 

Die sprachlichen Anforderungen im Bereich des Gesundheitswesens haben auch die Regierung der Balearischen Inseln in eine Krise gestürzt. Jetzt hat Präsidentin Francina Armengol, nachdem sie dies offenbar zunächst zurückgewiesen hatte, die Sprachpflicht akzeptiert, allerdings mit einem zweijährigen Aufschub für Angestellte, die keine Katalanischkenntnisse nachweisen können.  

Wenige Wochen später meldete der Gesundheitsbetrieb, dass 248 medizinische und pflegerische offene Stellen – aus elf verschiedenen Kategorien – von der Anforderung ausgenommen worden seien: Es gab nicht genügend Kandidatinnen und Kandidaten mit den erforderlichen Qualifikationen. Dabei wurden 9.494 Bewerbungen für 2.283 Studienplätze eingereicht. Die Ausnahme gilt also für 10,86 Prozent der Stellen. Anfang Februar hat die Plattform für die Sprache die Grundlage der Ausschreibung angefochten, weil sie der Ansicht ist, die Exekutive wolle Katalanisch weiterhin ausschließen. 

Das von „VilaWeb“ konsultierte Büro für Verteidigung der Sprachenrechte (ODDL) teilte mit, dass im Gesundheitswesen die meisten Maßnahmen notwendig sind. Zwischen Dezember 2020 und Februar 2023 wurden  110 der 370 in der gesamten Verwaltung verzeichneten Beschwerden zu diesem Bereich eingereicht.   

In diesen Fällen gibt es nach Angaben des ODDL 14 schwere Fälle, bei denen Beschäftigte des Gesundheitsdienstes das Recht der Bürgerinnen und Bürger, ihre Sprache zu benutzen, nicht respektiert hätten.

Hohe Dunkelziffer vermutet

„Wir dürfen die Tatsache nicht aus den Augen verlieren, dass die Fälle, die im Büro eingehen, auf ein viel umfassenderes Problem hinweisen. Die Personen, die sich an die ODDL wenden, sind in der Regel diejenigen, die versucht haben, das Recht auszuüben, sich auf Katalanisch auszudrücken, und dies nicht geschafft haben. Aber es gibt noch viel mehr, die ihr Recht sofort aufgeben, wenn der Gesprächspartner kein Katalanisch spricht oder wenn der Kontext sie nicht dazu einlädt, diese Sprache zu verwenden. Dieser Verzicht sollte nicht als beabsichtigt angesehen werden, sondern als Ergebnis der Situation der Unterordnung der katalanischsprachigen Sprachgemeinschaft“, schließt das Büro für Verteidigung der Sprachenrechte. 

 

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