Minderheiten in Europa

Südtiroler Volkspartei regiert jetzt mit Rechtsaußen zusammen

Südtiroler Volkspartei regiert jetzt mit Rechtsaußen zusammen

Südtiroler Volkspartei regiert jetzt mit Rechtsaußen

Hatto Schmidt, Midas
Bozen/Bolzano
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Arno Kompatscher (SVP) bei der Replik auf die Kritik der Opposition im Südtiroler Landtag vor seiner Wiederwahl zum Landeshauptmann. Foto: Dolomiten/DLife

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Die größte Partei der deutschsprachigen Minderheit in Italien hat sich mit den „Brüdern Italiens“ in der autonomen Region Südtirol in ein Boot gesetzt. Die Bildung der neuen Landesregierung sorgt für Aufsehen – und für Proteste.

Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher wurde kürzlich in seinem Amt bestätigt. Bei der Wahl in der Autonomen Provinz Bozen – Südtirol erhielt er 19 von 35 Stimmen im neugewählten Landtag. 13 der Ja-Stimmen kamen von Kompatschers Südtiroler Volkspartei (SVP) und anderen Parteien, zwei Stimmen kamen auch von den beiden Abgeordneten der Fratelli d’Italia (Brüder Italiens).

Dass die bei der Landtagswahl im Oktober arg gerupfte SVP mit der Partei der italienischen Regierungschefin Giorgio Meloni eine Koalition eingegangen ist, sorgte weit über Südtirol hinaus für Aufsehen. Es gab Proteste im Land und auch in der Partei des Landeshauptmanns, bis hin zum Austritt eines früheren SVP-Chefs.

Warum aber gingen der als sozialliberal geltende Südtiroler Landeshauptmann und seine Partei, die wichtigste politische Vertretung der deutschsprachigen Minderheit, eine Koalition mit den „Fratelli“ ein?

Arno Excuses
„Es gibt keine Entschuldigung“: Proteste gegen die Regierungsbildung mit den „Fratelli d’Italia“ vor dem Südtiroler Landtag in Bozen. Foto: Dolomiten/DLife

Vorgängerbewegung wollte Südtirols Autonomie aufheben

Diese haben sich in der Vergangenheit oft genug sehr kritisch über die Südtirol-Autonomie geäußert und gelten als zumindest rechtsnational und populistisch; einige Beobachter stufen sie als rechtsradikal ein und Teile der Partei gar als postfaschistisch. Tatsächlich haben die „Fratelli“ ihre Wurzeln in der „Alleanza Nazionale“ (Nationale Allianz), die ihrerseits aus dem postfaschistischen Movimento Sociale Italiano heraus entstanden war und von Silvio Berlusconi in den 1990er-Jahren hoffähig gemacht wurde, indem er sie in seine Regierungskoalition aufnahm. Man hatte sich zuvor vom historischen Faschismus distanziert, der die deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler vor und während des Zweiten Weltkriegs unterdrückt hatte und sie aus ihrer Heimat vertreiben wollte. 

 


Technische und politische Gründe

Die Gründe für die Koalition der SVP mit den Fratelli sind zum einen technischer, zum anderen aber auch politischer Natur. Die italienische Sprachgruppe, die etwa ein Drittel der Südtiroler Bevölkerung ausmacht, stellt im neuen Landtag nur mehr fünf Abgeordnete, das ist ein historischer Tiefstand. Der Grund für den Rückgang wird in der Wahlmüdigkeit vieler italienischer Bürgerinnen und Bürger vermutet.

Und er brachte die SVP in ein Dilemma. Der langjährige frühere Koalitionspartner, die Sozialdemokraten des Partito Democratico, stellen nur mehr einen einzigen Abgeordneten. Der Partner in der vorhergegangenen Amtsperiode, die Lega, ist bei der Wahl im Oktober von vier Mandaten auf eines abgestürzt, und auch die italienische Bürgerliste Civica brachte nur einen Abgeordneten in den Landtag.

Die größte Gruppe unter den italienischen Parteien – aber mit auch nur zwei Abgeordneten – stellen nun die Fratelli. Sie haben zwar schwächer abgeschnitten als erwartet, sind aber auf italienischer Seite die Wahlsieger.

Konnte die SVP sie außen vor lassen? Die italienische Bevölkerung muss laut Autonomiestatut in der Landesregierung gemäß ihrem Anteil im Landtag vertreten sein. Eine Regierungsbildung wäre nur mit größeren Verrenkungen möglich gewesen, auch weil Lega und Fratelli einen Pakt geschlossen hatten, wonach sie nur zusammen in eine Landesregierung eintreten.  

Hoffnungen auf Zugeständnisse der rechten Regierung in Rom

Ein weiterer Grund ist ein politischer. Die SVP vertraut auf Signale von Ministerpräsidentin Meloni, wonach diese offen sei für Bemühungen, die Südtirol-Autonomie in jenen Bereichen wiederherzustellen, in denen sie in den vergangenen 30 Jahren von italienischen Regierungen und vom Verfassungsgericht ausgehöhlt worden war.

Hätte die SVP den Fratelli die Tür zugeschlagen, wäre in Rom nichts mehr zu holen gewesen. Ob sich aber die Volkspartei mit der Koalitionsbildung nicht in eine Zwangslage manövriert hat, wenn sie vor die Frage gestellt wird, ob sie der von Meloni angestrebten Reform der italienischen Verfassung zustimmt, wird sich weisen. 

Zunächst einmal müssen jedoch die Mitglieder der neuen Landesregierung im Landtag gewählt werden. Das soll am 31. Januar geschehen. Um die Ansprüche der Partner erfüllen zu können, wird die neue Regierung aus elf Mitgliedern bestehen – zwei mehr als fünf Jahre zuvor. Je ein Landesrat wird von den Fratelli und der Lega gestellt, eine Landesrätin von den Freiheitlichen, acht von der SVP. 

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