Ehrenamtliches Angebot

Ein zweites Zuhause für Menschen mit psychischen Erkrankungen

Ein zweites Zuhause für Menschen mit psychischen Erkrankungen

Zweites Zuhause für Menschen mit psychischen Erkrankungen

Tondern/Tønder
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Die Vorsitzende von „Sind", Anne Hvidberg Jørgensen, und ihr Stellvertreter und Kollege Frederik Mogensen. Foto: Monika Thomsen

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„Sind Huset" in Tondern lebt durch das ehrenamtliche Engagement. Treibende Kraft ist die Initiatorin Anne Hvidberg Jørgensen. Frederik Mogensen, der Nutzer und Mitarbeiter zugleich ist, vermittelt einen persönlichen Eindruck vom Stellenwert der sozialen Stätte.

Seit 2018 gibt es in Tondern in der Osterstraße die soziale Stätte „Sind Huset“. Das Angebot, das auf einem ehrenamtlichen Engagement fußt, bietet Menschen mit psychischen Erkrankungen eine Möglichkeit, sich zu treffen und an verschiedenen Aktivitäten teilzunehmen.

Die Einrichtung ist von der Vorsitzenden Anne Hvidberg Jørgensen und ihrem damaligen Stellvertreter quasi aus dem Nichts geschaffen worden.

Drei Jahre später wurde die Stätte nun für ihre Art, die Schwachen in der Gesellschaft zu unterstützen und ihnen zu helfen, mit dem mit 5.000 Kronen dortierten Behindertenpreis der Kommune Tondern ausgezeichnet. Die Stätte biete Gleichgesinnten einen Ort, wo sie Teil einer Gemeinschaft werden können.
 

Frederik Mogensen im Café, das außer sonnabends täglich geöffnet ist. Foto: Monika Thomsen

„Das sehr gut besuchte Haus ist für die Schwachen und Verletzlichen in der Gesellschaft und ihren Angehörigen von großem Nutzen“, hieß es in der Begründung für die Nominierung.

Zu denjenigen, die sich mit dem Betrieb und dem Stellenwert der Stätte auskennen, gehört Frederik Mogensen aus Lügumkloster (Løgumkloster).

Er ist nicht nur Nutzer der Einrichtung, sondern auch stellvertretender Vorsitzender und hat jeweils montags die ehrenamtliche Kaffee-Schicht.

Kaffee, Käsebrote und ein offenes Ohr

Dann kocht er Kaffee, bereitet Käsebrote zu und schenkt den Leuten ein offenes Ohr, wenn Bedarf dafür besteht. Ungeachtet dessen, wie viele Tassen Kaffee getrunken werden, bezahlt jeder 20 Kronen.

„Ich habe eine bipolare Diagnose und bin manischdepressiv. Für mich ist ´Sind Huset´ ein Freiraum. Ich betrachte es wie mein zweites Zuhause. Die Dienste, die ich hier habe, sind ein Lebensstil“, berichtet Frederik Mogensen an einem der Holztische im Café.

Frederik Mogensen malt seit zehn Jahren. Einige der Bilder stammten von Nutzerinnen und Nutzer, die erst im „Sind Huset" das Malen für sich entdeckt haben. Foto: Monika Thomsen

Mittwochs gehört er zum Zeichenteam unter professioneller Leitung.

„Die Menschen, die hierherkommen, sind meine Kollegen und Freunde. Wir sprechen über lustige, ernste und auch sehr private Dinge. Entscheidend ist aber, dass das, worüber wir gesprochen haben, hier im Hause bleibt“, so Frederik. Die Schweigepflicht sei unabdingbar, so der 42-Jährige, der vor zehn Jahren das Zeichnen für sich entdeckt hat.

„Die Kirche ist schwarz, weil sie im Schatten liegt“, erläutert er zu dem einen seiner drei Bilder, die hinter ihm an der roten Pin-Wand hängen.

Gelebte Hilfsbereitschaft

„Der Betrieb des ganzen Hauses basiert auf freiwilligen Kräften. Ich tue es gerne. Der größte Motivationsfaktor für mich ist, wenn ich damit anderen in einer ähnlichen oder schlimmeren Situation helfen kann“, erläutert er, während eine Cafébesucherin nach ihm fragt.

„Vor 20 Jahren bin ich auch sehr krank gewesen. Mittlerweile geht es mir besser, und ich bin froh, dass ich anderen helfen kann.“

Die Menschen, die hierherkommen, sind meine Kollegen und Freunde. Wir sprechen über lustige, ernste und auch sehr private Dinge. Entscheidend ist aber, dass das, worüber wir gesprochen haben, hier im Hause bleibt.

Frederik Mogensen, Vize-Vorsitzender

Die Preisverleihung bezeichnet er als ein besonderes Erlebnis. „Ich habe damit das Gefühl, dass man dann auch von politischer Seite geschätzt und der Einsatz bemerkt wird“, so Frederik.

Geschulte Antennen

Er hat mittlerweile geschulte Antennen für die Gemütslage der Besucherinnen und Besucher. „Ich merke schnell, ob es jemandem gut oder schlecht geht“, sagt er und macht sich wieder auf in die Küche.

Auch in dem Raum gab es vor drei Jahren in dem vom Lokalverein gemieteten Haus gähnende Leere. „Hier war damals rein gar nichts. Nicht mal eine Küche. Wir haben alles mit freiwilliger Arbeitskraft eingerichtet“, erläutert Anne Hvidberg Jørgensen, die nicht nur auf örtlicher Ebene, sondern auch in der Region Süddänemark Vorsitzende ist.

Sie und der damalige Vize brachten die ehemalige Pizzeria nach mehrjährigem Leerstand in Eigenarbeit für den neuen Zweck auf Vordermann.

Anne Hvidberg Jørgensen vor Bildern, die von den Nutzerinnen und Nutzer der Stätte gemalt worden sind. Foto: Monika Thomsen

Gedämpfte Farbtöne

Es kommt nicht von ungefähr, dass die Farbtöne Schwarz, Blau und Beige dominieren. „Wir haben diese Farben gewählt, da sie Ruhe im Kopf geben“, erläutert Anne Hvidberg Jørgensen, während im Café zwei Frauen stricken und eine dritte malt.

„Viele unserer Nutzerinnen und Nutzern haben vorher nie gemalt“, sagt sie. Wie das Malen und das Stricken sei auch das Puzzlelegen eine gute Sache für die Menschen mit Gemütserkrankungen, da die Gedanken sich dann auf diese Aktivität konzentrieren würden.

Der Lokalverein hat insgesamt 125 Mitglieder. „Das ist für einen Ort wie Tondern schon ganz schön viel. Hier kommen aber auch Bürgerinnen und Bürger, die nicht Mitglieder sind“, so die Vorsitzende.

Der Außenbereich wird zu jeder Tages- und Jahreszeit genutzt. Foto: Monika Thomsen

„Man kann immer irgendetwas"

„Ungeachtet dessen,  wie sehr man kaputtgeht, kann man immer irgendetwas“, lautet ihre Philosophie. Dabei zeigt sie auf das Bild von der „Kaputten Teekanne“ nach dem gleichnamigen Märchen von H. C. Andersen. Das von ihrem auf Fünen lebenden Sohn, dem lllustrator Nicolai Hvidberg Jørgensen, gemalte Motiv war auch in ihrer kurzen Ausbildung im Bereich der Psychiatrie Gegenstand ihrer Bachelorarbeit zum Thema Gesprächstherapie.

Der kommunale Zuschuss reicht nicht für die Hausmiete. Daher ist Anne Hvidberg Jørgensen, die für ihren ehrenamtlichen Job brennt, stets auf der Suche nach Sponsoren.

Im zivilen Leben arbeitet die frühere Hebamme seit einer Reihe von Jahren als Bestatterin.

Das Bild von der kaputten Teekanne in Anlehnung an das Märchen von H. C. Andersen hat Anne Hvidberg Jørgensens Sohn gemalt. Foto: Monika Thomsen

Ein Ort, der Geborgenheit vermittelt

Im Juli war sie mit 20 Leuten auf einer mehrtägigen Tour unterwegs, und am vergangenen Wochenende war sie mit 20 Personen zu einem Wochenendaufenthalt auf Fünen.

Bei den meisten Nutzerinnen und Nutzern handelt es sich um Menschen von 40 Jahren und älter mit psychischen Leiden. „Die Jüngeren sind oftmals in kommunalen Angeboten involviert.“

„Das Haus bietet ihnen Geborgenheit. Viele bezeichnen es als ihr zweites Zuhause und nennen mich ihre Mutter“, so Anne Hvidberg Jørgensen, die nicht jeden Tag Dienst schiebt, aber täglich hereinschaut. Sie kann gar nicht anders.

Sie steht seit 2008 an der Spitze des örtlichen Komitees von „Sind".

Ich habe immer ein Interesse für Menschen und die Verletzlichkeit von Menschen gehabt.

Anne Hvidberg Jørgensen, Vorsitzende

„2011 und 2012 machte ich mir viele Gedanken darüber, dass etwas geschehen musste. Die Bürgerinnen und Bürger gingen im System verloren, da örtliche Treffpunkte im Zuge von Einsparungen von der Kommune geschlossen wurden“, berichtet Anne Hvidberg Jørgensen.

Danach machte sie sich daran, ein Haus in zentraler Lage zu finden, das für den vorgesehenen Zweck groß genug war.

Die „Ersatzmutter" ist rund um die Uhr erreichbar

Und was ist die Antriebsfeder für ihren scheinbar unermüdlichen Einsatz für die Schwachen in der Gesellschaft?

„Ich habe selbst einen persönlichen Hintergrund. Dann habe ich auch einen Sohn und ein Enkelkind, die Autisten sind. Ich habe immer ein Interesse für Menschen und die Verletzlichkeit von Menschen gehabt“, so die 68-Jährige. Dies traf auch bereits in ihrer 30-jährigen Tätigkeit als Hebamme zu.

Das Tandem ist einem Sponsor zu verdanken. „Viele unserer Nutzerinnen und Nutzer leiden an Angst. Mit einer Begleitperson am Lenker des Tandems, können wir gemeinsam mit ihnen Radtouren unternehmen", so Anne Hvidberg Jørgensen. Foto: Monika Thomsen

„Die psychisch Kranken sind dankbar für sehr wenig. Sie sind schon dankbar, wenn jemand Lust hat, für sie da zu sein“, so die „Ersatzmutter“, die rund um die Uhr telefonisch erreichbar ist.

„Das ist auch weil unser System aufgrund der Gesetzeslage so schwerfällig ist“, sagt die Frau, die in der Einrichtung eine Schlüsselposition einnimmt.

In der Rolle als ehrenamtliche Bezugsperson hat sie den Schlüssel dafür gefunden, um die Bedingungen für ihre Mitmenschen mit psychischen Leiden zu verbessern.

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